Mit Thibaut Courtois (32) verliert die belgische Nationalmannschaft einen der derzeit weltweit besten Torhüter. Für viele, darunter auch Nationaltrainer Domenico Tedesco (38), ist der Schlussmann von Real Madrid aktuell sogar der beste auf seiner Position. Und trotzdem ist Tedesco der Grund, weshalb Courtois am Donnerstag seinen Rücktritt von den Roten Teufeln bekannt gab.
Ende einer heftigen Schlammschlacht
Zumindest unter dem Deutsch-Italiener will Courtois nicht mehr für sein Land spielen. „Courtois kehrt Tedesco den Rücken“ titelte das belgische Sport-Portal Sudinfo.
Unüberwindlich sind die Differenzen der beiden „Sturköpfe“, wie sie Fußball-Chef Ludo Vandewalle von der belgischen Tageszeitung Het Nieuwsblad nennt. Keiner rückt von seiner Meinung ab, beide bezichtigen einander der Lüge. Das sei einfach nur „schade“.
War die Kapitänsbinde wirklich der Auslöser?
Auslöser für die öffentlich ausgetragene Schlammschacht war eine Meinungsverschiedenheit der beiden im Juni 2023. Beim Qualifikationsspiel gegen Österreich hatte damals in Kevin De Bruyne (33) der etatmäßige Kapitän der Nationalmannschaft verletzungsbedingt gefehlt, woraufhin Tedesco die Binde an Stürmer Romelu Lukaku (31) vergab.
Daraufhin reiste Courtois - zunächst noch ohne Begründung - von der Nationalmannschaft ab. Ins Rollen kam der Streit zwischen Tedesco und seinem Torwart dann wenige Tage später, als der Trainer die Abwesenheit seines Spielers öffentlich damit begründete, „weil er (Courtois, d. Red.) enttäuscht sei und sich beleidigt fühle“, nachdem ihm Lukaku bei der Kapitänswahl gegen Österreich vorgezogen worden war.
Das habe ihm der Belgier nach der Partie erklärt und als Grund für seine vorzeitige Abreise aus der Nationalmannschaft angeführt.
Courtois begründete Abreise mit Verletzung
Tedesco führte bei jener Pressekonferenz außerdem noch an, dass Courtois und Lukaku für ihn gleichrangige Stellvertreter von De Bruyne wären und für beide jeweils ein Spiel mit der Binde geplant gewesen sei. „Ich bin überrascht und schockiert, dass er sich beleidigt und enttäuscht fühlt“, ließ Tedesco damals verlauten. Gleichzeitig bezeichnete er seinen Schlussmann als den besten Torhüter der Welt.
Courtois wollte die Sichtweise seines Trainers allerdings nicht so stehen lassen und bezichtigte ihn wenige Tage später in einem ausführlichen Statement der Lüge. „Ich bin zutiefst enttäuscht darüber, aber ich möchte klarstellen, dass die Einschätzungen des Trainers nicht der Realität entsprechen“, erklärte er über Instagram.
Er habe „in keinem Fall irgendetwas gefordert“, sondern versucht, seinem Trainer zu erklären, welche Entscheidungen getroffen werden müssten, „um Situationen zu vermeiden, die uns in der Vergangenheit geschadet haben“. Als Grund für seine Abreise nannte er außerdem eine Verletzung seines rechten Knies, wegen der sich die medizinischen Abteilungen von Real Madrid und der belgischen Nationalmannschaft auf eine vorzeitige Abreise geeinigt hätten.
Über eine Verletzung sei nie gesprochen worden
Letzterem widersprach Tedesco allerdings deutlich. Nachdem schon Courtois‘ Vater Thierry mit einer Verletzung seines Sohnes argumentiert hatte, verriet Tedesco öffentlich weitere Details aus dem Gespräch.
Dieses Thema sei in seinem Gespräch mit Courtois nie thematisiert worden. „Es ging um die Frage der Kapitänsbinde. Glauben Sie mir, für mich wäre es viel einfacher zu sagen, dass er verletzt ist. Aber das ist nicht wahr. Ich werde Sie, den Stab und die Spieler nicht anlügen. (...) Das kann ich wirklich nicht tun“, hatte Tedesco damals bei Het Nieuwsblad widersprochen.
Pikant: Laut Tedesco habe ihn der Torwart „gefragt, ob ich trotzdem nach außen hin sagen würde, dass er verletzt ist, aber das habe ich sofort abgelehnt“.
„Keiner hat einen sinnvollen Schritt auf den anderen zu gemacht“
Die Europameisterschaft in Deutschland lag damals noch ein gutes Jahr in der Zukunft, sodass bei allen Beteiligten durchaus Hoffnung vorhanden war, dass Trainer und Torwart ihre Streitigkeiten zum Wohle der gemeinsamen Interessen ruhen lassen - doch dazu kam es nie.
Bei der Bekanntgabe des EM-Kaders Ende April dieses Jahres wurde das deutlich, denn von Courtois fehlte jede Spur. „Zu dem Thema ist alles gesagt. Jeder Innenstehende und jeder Außenstehende kann sich ein Gesamtbild machen. Ich bin da mit mir im Reinen“, blieb Tedesco seinem Standpunkt treu. In der Zwischenzeit hatte sich Courtois zwar das Kreuzband im linken Knie gerissen, sich aber zu diesem Zeitpunkt bereits davon erholt. Allerdings hatte auch Courtois von sich aus verlauten lassen, dass er unter Tedesco nicht mit zur EM fahren würde.
„Naiv wie wir sind, denken wir, dass die Dinge funktionieren, wenn Erwachsene das wirklich wollen. Aber das wollten diese Herren offenbar nicht. Keiner der beiden hat einen sinnvollen Schritt auf den anderen zu gemacht. Das ist das Fazit dieser traurigen Geschichte“, kritisiert Vandewalle das Verhalten beider Akteure via Het Nieuwsblad.
Spekulierte Courtois auf Tedescos Entlassung?
Denn sowohl Tedesco als auch Courtois hätten sich - unabhängig davon, in wessen Version mehr Wahrheit steckt - beide nicht richtig verhalten. Einsicht war bei beiden Akteuren nicht zu erkennen. Die belgische Presse geht davon aus, dass Courtois bis zuletzt wegen der schlechten EM mit einer Entlassung Tedescos gerechnet habe, um unter einem neuen Cheftrainer zurückzukehren.
Er habe - auch wenn er das wörtlich nie so ausgedrückt hat - den belgischen Verband mit seinen Äußerungen zu einer Entscheidung zwischen ihm und dem Trainer gedrängt. Stand jetzt, fiel diese Entscheidung zu Tedescos Gunsten aus. Der Verband teilte zwar mit, dass man Courtois‘ Rücktritt bedauere, aber ihn akzeptiere. Es scheint, als wäre diesmal wirklich das letzte Wort gesprochen.