In der Karriere jedes Sportlers und jeder Sportlerin gibt es Momente, die besonders prägen. Manche auch über die Zeit als Aktive*r hinaus. Für Lina Bürger war ein solcher Moment ihr Schienenbeinbruch. Als Jugendliche spielte sie damals im Verein noch „mit den Jungs“, war aber bereits im U-Nationalteam. „Da war ich dann raus aus dem System“, erinnert sie sich.
Psychische Gesundheit im Fußball
Gemeint ist „das DFB-System“, wie Bürger, heute Sportpsychologin der U12 bis U14 bei der TSG Hoffenheim, ergänzt. „Bei den Jungs hatte ich weder eine professionelle Reha noch sonst irgendwas – und so kann man ja als Verband nicht mit seinen Talenten umgehen.“
Aus dieser Erfahrung hat Bürger ein Gefühl dafür mitgenommen, wie viel Luft strukturell im Fußball der Frauen noch nach oben ist. Auch deswegen kann sie sich gut vorstellen, später beruflich in diesem Bereich zu arbeiten. Mitgemacht hat sie auch eine Erfahrung, die sich im späteren Verlauf ihrer Karriere wiederholt: Wie sehr Verletzungen vom Team trennen.
„Ich habe sehr, sehr viele Verletzungen erlebt“, blickt Bürger zurück. Unter denen leide man als Leistungssportlerin nochmal ganz anders. „Man wird total aus seinem Umfeld gerissen.“ Das unfreiwillige Ende ihrer aktiven Karriere sei dann ganz klar „ein Bruch“ für sie gewesen.
Psychologie als Muskel: Training gehört dazu!
Ihre Arbeit heute, der Fokus auf den sportpsychologischen Bereich und der Wunsch danach, dass dieser im Fußball nicht nur defizitorientiert genutzt wird, sind verwoben mit dem eigenen Erleben. Es sei ein Fehler, erklärt Bürger, in Sachen Psychologie immer nur zu reagieren, also ihre Kraft erst zu nutzen, nachdem der Schaden bereits entstanden ist.
Wichtig wäre vielmehr, in diesem Bereich genauso selbstverständlich zu trainieren, wie das im körperlichen gemacht wird: Psychologie als Muskel, sozusagen. Diesen „Muskel“ und wie er bei Fußballer*innen über den Verlauf einer Saison reagiert, hat die Sportpsychologin der TSG-Akademie sich in Zusammenarbeit mit dem Verein und der Uniklinik Heidelberg in einer Studie genauer angeschaut. Entstanden ist diese im Rahmen ihrer Masterarbeit.
Über den Verlauf einer kompletten Saison (2022/23) arbeitete Bürger mit allen Teams der TSG von der U12 bis zu den männlichen Profis sowie den beiden höchsten Teams der Frauen. Etwa im Abstand von zehn Wochen wurden insgesamt 205 Spieler*innen über die Saison vier Mal als Langzeitbeobachtung befragt zu Symptomen von Depression und Angststörung.
Die Winterpause erhöht Angststörungen
Die Themen ergeben sich auch aus früheren Forschungsarbeiten, wonach Depressionen und Angststörungen bei Teamsportler*innen besonders häufig sind, bei Individualathlet*innen ist zudem Essstörung ein großes Thema. Bestätigen konnten Bürger und ihr Team bestehende Daten, wonach die Themen im Sport ähnlich oft vorkommen wie in der Gesamtbevölkerung, und zahlenmäßig bei Frauen häufiger als bei Männern. Zu bedenken sei, dass dies auch an einem unterschiedlichen Antwortverhalten liegen könne.
Während Symptome von Depression nach den anonym erhobenen Daten im Verlauf einer Saison leicht linear ansteigen, womöglich, weil diese kräftezehrend ist, nehmen Symptome einer Angststörung um die Winterpause herum deutlich zu. Möglicherweise ein Zeichen dafür, dass die Sportler*innen beschäftigt, hier erfolgt in der Regel eine Zwischenabrechnung der Saison, erläutert Bürger.
Die Anonymität der Befragten sei einerseits enorm wichtig, um Vertrauen zu bilden. Auf der anderen Seite können die Daten dadurch nicht verknüpft werden mit dem Wissen über eine Verletzung oder andere körperliche Symptome. Ein Traum wäre es für die Sportpsychologin deswegen, irgendwann eine großangelegte Studie machen zu können, in der Rückschlüsse auf die Sportler*innen nicht mehr möglich sind.
Zunächst wird Bürger aber neben dem Fortgang ihrer Ausbildung zur Kinder- und Jugend-Psychologin bei der TSG Hoffenheim und da speziell im Bereich der Frauen weiterforschen. Die Ergebnisse fließen außerdem in Workshops für die Trainer*innen, damit Spielerinnen und Spieler davon profitieren können. Um die geht es schließlich unterm Strich.