Antonin Panenka absolvierte 59 Länderspiele für die Tschechosolwakei und stand in seiner Karriere unter anderem für Bohemians Prag und Rapid Wien auf dem Feld. Wirkliche Bekanntheit errang der technisch versierte Mittelfeldspieler aber bei der EM 1976.
Exklusiv: Panenka im Interview
Er war es schließlich, der die deutsche Torwart-Legende Sepp Maier im Elfmeterschießen mit einem frechen Heber in die Tormitte düpierte und damit sein Heimatland zum Europameistertitel schoss.
Im exklusiven SPORT1-Interview anlässlich seines 75. Geburtstags spricht der gebürtige Prager über die Bedeutung des „Panenka“-Elfmeters, die Wertschätzung gegenüber Deutschland - und die Auslosung zur EM 2024 (ab 17.30 Uhr im Livestream von Magenta auf SPORT1).
SPORT1: Herr Panenka, heute findet die Auslosung der EM 2024 statt. Tschechien könnte auf Deutschland sowie Österreich bereits in der Gruppenphase treffen. Auf welche der drei Nationen setzen Sie?
Antonin Panenka: Das wäre sicherlich interessant, und ich bin gespannt auf die Auslosung. Danach wird es eine Menge Vorhersagen geben, wer weiterkommen könnte. Ich habe den Vorteil, dass ich drei Mannschaften im Spiel habe. Und ich werde natürlich ein Auge darauf haben, wie Tschechien abschneidet. Aber auch der Slowakei und Österreich drücke ich die Daumen und hoffe, dass sie alle die Gruppenphase überstehen. Weiter werde ich mich aber nicht vorwagen.
SPORT1: Haben Sie das Testspiel Deutschlands gegen Österreich im November in Wien gesehen?
Panenka: Ich habe es nicht gesehen, aber ich habe mit einem österreichischen Freund darüber gesprochen, ihm sogar gratuliert und gesagt, dass es ein großer Erfolg war. Er hat mir geantwortet, dass es heute nicht mehr so toll wäre, weil die Deutschen eine schlechte Mannschaft haben und eine schwache Leistung gezeigt hätten. Da habe ich gesagt: ‚Vielleicht haben sie eine schwächere Mannschaft, aber wenn man von Deutschland spricht, denkt jeder immer noch an die Supermacht, und jeder Sieg gegen sie wird wertgeschätzt!‘ Deutschland schlägt man nicht jeden Tag.
SPORT1: Der deutsche Trainer Ralf Rangnick hat die österreichische Nationalmannschaft vorzeitig durch die Qualifikation durchgeführt. War das eine Überraschung für Sie?
Panenka: Nein, sicher nicht. Auch, weil ich ihn in diesem Fall nicht als Fremden betrachten würde. Es geht lediglich um das Nachbarland, es gibt keine Sprachbarriere, es gibt also keine Erklärungsprobleme, alles funktioniert. Außerdem sind Österreicher und Deutsche daran gewöhnt, Trainer und Spieler zwischen den beiden Ländern „auszutauschen“. Und natürlich leistet Rangnick mit der Nationalmannschaft großartige Arbeit, ich bin neugierig, was bei der EM von der Mannschaft zu erwarten ist.
Panenka düpiert Sepp Maier - eine legendäre EM-Szene
SPORT1: Was halten Sie von Format der Europameisterschaft mit 24 Teams?
Panenka: Das ist nicht gut! Ich denke, es ist eher ein kommerzieller als ein sportlicher Schachzug. Wenn fast jedes zweite Land an der Meisterschaft teilnimmt, kann das nicht bedeuten, dass die Qualität trotz der Teilnahme der „kleineren“ Länder höher ist.
SPORT1: Bei Ihnen war das damals noch anders. Da nahmen an der der Endrunde nur vier Mannschaften teil...
Panenka: 1976 gab es ein ganz anderes Modell, wir mussten eine Qualifikation und ein Viertelfinale mit Hin- und Rückspiel absolvieren, um zur Endrunde in Belgrad zu gelangen. In Italien 1980 spielten acht Mannschaften, und es war ein großartiges Turnier für die wirklich Besten Europas. Ich halte 16 teilnehmende Nationen für ideal: Da wird in den Qualifikationsgruppen schon ausgedünnt, und doch nehmen ein paar mehr als nur die allerbesten Nationen am Turnier teil. Ich finde, dass der gesamte Sport, auch der Fußball, zu sehr von Kommerz und Fernsehrechten beeinflusst wird. Es sollte nicht nur um Geld gehen....
SPORT1: Sie haben sich mit dem Elfmeter gegen Sepp Maier im EM-Finale 1976 einen Namen gemacht. Aus einem Lupfer wurde der heute bekannte „Panenka“-Elfmeter. War das Ihre klare Absicht? Und seit wann hatten Sie die Idee?
Panenka: Die Idee hatte ich schon etwa zwei Jahre vorher, ich habe es ehrlich gesagt in fast jedem Training versucht, auch in den Vorbereitungsspielen oder in der tschechoslowakischen Liga. Ich wage zu behaupten, dass ich ihn perfekt eingeübt hatte. Als wir nach Belgrad aufbrachen, wusste ich, dass ich, wenn es zum Elfmeterschießen kommen würde, einfach so schießen würde. Vielleicht war es gut für mich, dass es im Finale geschah, denn da rechnete wohl niemand damit.
SPORT1: Warum suchten Sie sich für den Lupfer gerade die Mitte des Tores aus?
Panenka: Weil sich Torhüter in den allermeisten Fällen eine Ecke aussuchen, in die sie abtauchen. Und die wenigsten würden erwarten, dass jemand den Ball in die Mitte des Tores schießt. Mit einem langsamen Lupfer in die Mitte ist es unmöglich, darauf zu reagieren.
Panenka: „Zu tausend Prozent sicher“
SPORT1: Hatten Sie keine Angst, dass Sepp Maier Sie durchschauen würde?
Panenka: Nö, nicht wirklich. Ich wusste, dass es so kommen würde. Es mag so aussehen, als würde ich prahlen, aber das tue ich nicht. Aber ich wusste einfach, dass ich den Elfmeter so verwandeln würde. Nicht zu einhundert Prozent, sondern zu tausend Prozent. Sepp Maier war zuvor noch nie in Böhmen, also hat er mich auch noch nie gesehen, wie ich die Elfmeter trainiert habe.
SPORT1: Habe Sie den Verlauf des Elfmeterschießens mit einkalkuliert?
Panenka: Ich habe auf die Entwicklungen im Elfmeterschießen reagiert. Ich wusste, wie der Sepp zuvor gehalten hatte. Es war nichts Ungewöhnliches. Er hat bis zum letzten Moment gewartet und ist dann auf einer Seite ein Risiko eingegangen. So wie es damals alle Torhüter gemacht haben. Ich habe also erwartet, dass es so weitergeht.
SPORT1: Wie hat Sepp Maier direkt nach dem Spiel reagiert?
Panenka: Ich weiß es nicht genau, weil wir uns nicht direkt nach dem Spiel gesehen haben. Aber nicht nur für ihn, sondern für alle deutschen Spieler war es eine große Enttäuschung. Ihr klares Ziel war es, das Finale zu gewinnen, Europameister zu werden. Aber irgendwie ging es schief - und ihr Fußballerleben trotzdem weiter.
SPORT1: Hatten Sie dennoch jemals die Gelegenheit, mit Sepp Maier über den Elfmeter zu sprechen?
Panenka: Später dann, viele Jahre später, haben wir uns ein paar Mal getroffen. Ich habe die Bilder des Elfmeters viele Male bei Jubiläen gesehen, in Fernsehsendungen. Auch mit Sepp Maier. Er ist privat ein sehr netter Mensch, er verdirbt keinen Spaß. Er war immer lustig und fröhlich - bis der Name Panenka fiel. Da verwandelte er sich in eine Bestie und es war offensichtlich, dass er immer noch nicht darüber hinweg war. Es war und ist ihm immer noch unangenehm, wenn ihn jemand daran erinnert. Aber mir war das egal. Etwa 35 Jahre nach dem Finale trafen wir uns in Prag, tranken ein Bier, spielten Golf, und dann schluckte er es runter.
SPORT1: Hat er Ihnen am Ende ein Kompliment gemacht, zum Treffer gratuliert?
Panenka: (lacht) Nein, das hat er nie gesagt. Aber es macht mir nichts aus.
Messi, Ronaldo und Co. ahmen Panenka nach
SPORT1: Nun ahmen zahlreiche Stars ihren Elfmeter nach. Wer war bis dato Ihr bester Imitator?
Panenka: Zunächst einmal bin ich begeistert, dass meine Idee nicht gestorben ist und ich von mehreren Generationen nachgeahmt wurde. Jeder Versuch, der mit einem Tor endet, ist gut ausgeführt. Ich bin fast schon stolz darauf, dass Spieler wie Messi, Ronaldo, Ibrahimovic, Ramos, Zidane und andere mich ebenfalls imitieren. Zu meinem 70. Geburtstag kam ein mexikanischer Fernsehsender nach Prag, um ein Porträt zu filmen, und sie hatten Aufnahmen von etwa 100 Elfmetern, die auf diese Weise verwandelt wurden. Sie wollten, dass ich den spektakulärsten auswähle. Wir haben darüber diskutiert, und am Ende war es ein Spieler aus der zweiten argentinischen Liga, der den Ball noch besser geschossen hat als ich.
SPORT1: Sie werden immer in den Fußball-Annalen bleiben, weil der Elfmeter letztlich gar ihren Namen bekam...
Panenka: Es ist nicht so einfach, den Ball genau in die Mitte des Tores zu lupfen. Man muss schon sehr geübt sein und den Torwart sogar dazu „anleiten“, irgendwo hin zu springen. Damit er nicht eine Sekunde lang denkt, dass ich den Ball in die Mitte schießen könnte. Ich habe also immer versucht, den Torwart mit meinem Verhalten vor dem Elfmeter davon zu überzeugen, dass ich ihn ganz normal schießen werde. Als ich mit „Panenka“ anfing, hatte ich keine Ahnung, dass er in die Fußballgeschichte eingehen würde. Manchmal kommen mir die Tränen, wenn ich sehe, dass sogar die bestbezahlten Spieler der Welt mich kopieren. Und sich vielleicht an mich erinnern (lacht).
SPORT1: Erkennt man Sie in Ihrer Heimat auf der Straße - und werden Sie auf ihren legendären Elfmeter angesprochen?
Panenka: Ja, ich werde erkannt, manchmal sogar von den jüngeren Jahrgängen. Aber sie sprechen nicht mehr über den Heber. Ich muss zugeben, dass man mich in Österreich besser behandelt. Ich habe einen Stammplatz im Stadion von Rapid Wien, wo ich viereinhalb Jahre lang gespielt habe. Ich kann kommen, wann immer ich will, und am 12. Dezember, während des prestigeträchtigen Spiels gegen RB Salzburg, wird gar eine Feier auf dem Spielfeld für mich organisiert.
SPORT1: Das ist in Tschechien anders?
Panenka: Das ist es. Ich war als Zuschauer beim Spiel der tschechischen Nationalmannschaft in Prag. In der Pause stand ich in der Schlange für eine Wurst und ein Bier. Eine lange Schlange. Nach einer Weile tauchte hinter mir ein kleiner, dunkelhäutiger Mann auf, der mit Gold geschmückt war und schlecht Tschechisch sprach. Etwas italienisch angehaucht fragte er mich ‚Sind Sie Herr Panenka?‘ Ich nickte ihm zu, dass ich das sei. Er war entsetzt und sagte zu mir, wie es käme, dass diese Leute nicht zur Seite treten würden und mich zuerst bestellen lassen. Ich entgegnete nur ‚Wir sind hier in Tschechien‘. Er begann zu erzählen, wie es in Italien wäre. Dass dort alle den Fußballer vorlassen würden...