„Wenn es einen Übergriff gibt, ist es für Betroffene manchmal gar nicht so leicht, zu reagieren. Sie merken die Grenzüberschreitung erst später.“
Das Bezeichnende am Rubiales-Skandal
Dieser Satz, den Familienrechtsanwältin Asha Hedayati so ruhig ausspricht, sagt viel aus über die Problematik sexualisierter und auch anderer grenzüberschreitender Gewalt. Denn oft passieren diese in einem System, innerhalb dessen Menschen sich kennen, einander vielleicht sogar vertraut sind. Übergriffe werden so erstmal eher unbewusst registriert - und es ist nicht einfach, sie später anzusprechen.
Hedayati vertritt in ihrem beruflichen Alltag vor allem Frauen, die sich aus gewaltsamen und toxischen Beziehungen lösen. Fußball, das ist eigentlich nicht ihr Gebiet. Doch den Übergriff von Luis Rubiales, zu diesem Zeitpunkt Präsident des spanischen Fußballverbandes, hat sie natürlich mitbekommen. Sie habe es als positiv wahrgenommen, dass man dem Vorfall quasi nicht entgehen konnte, sagt Hedayati, weil es so wichtig sei, darüber zu sprechen.
- „Flutlicht an. Im Gespräch mit der Wortpiratin“, der Podcast auf SPORT1, in dem Journalistin und Autorin Mara Pfeiffer Menschen in den Mittelpunkt stellt, die im schnelllebigen und lauten Fußballgeschäft oft zu wenig im Rampenlicht stehen.
„Wir reden hier von einem enormen Machtgefälle“, betont die Anwältin. Der mächtige Chef des Verbandes, der zuvor bereits die Vorwürfe von 15 Spielerinnen gegenüber ihrem Trainer Jorge Vilda weggewischt hatte, als Mann mit sehr viel Macht, Spielerin Jennifer Hermoso, die ihren Kopf wie in einem Schraubstock zwischen seinen Händen wiederfand und Berührungen gegen ihren Willen aushalten musste, als kleines Schräubchen im System.
„Das ist das Absurde“
„Das ist nicht nur beim Fußball ein Thema“, verdeutlicht Hedayati. „Je größer das Machtgefälle ist, desto größer ist auch das Risiko für Machtmissbrauch.“ Weil diejenigen, die sich innerhalb der eigenen Macht sicher fühlen, sich alles nehmen, ohnehin glauben, ihnen stünde alles zu. Während diejenigen, die im System kleingehalten werden, auf die Schwierigkeiten hinweisen, weil es sonst niemand tut: „Das ist das Absurde, dass die Betroffenen noch die Verantwortung dafür tragen, so ein toxisches, übergriffiges Verhalten benennen zu müssen.“
Bezeichnend findet Hedayati die Sicherheit, mit der Männer wie Rubiales agieren: „Man muss sich vor Augen halten, mit welcher Anspruchshaltung, mit was für einer Selbstverständlichkeit, viele Männer durchs Leben gehen und sich diesen Raum nehmen.“ Grenzüberschreitungen machten den Raum aber immer für alle anderen kleiner, warnt Hedayati.
Rubiales agiert im Licht der Öffentlichkeit
Während Übergriffe sonst häufig im Verborgenen passieren und das Misstrauen gegenüber der Betroffenen damit begründet werde, dass sie den Vorfall nicht beweisen können, agierte Luis Rubiales im Lichte der Öffentlichkeit und vor laufenden Kameras. Dass Hermoso dennoch angezweifelt wird, ist für Hedayati ein Zeichen, dass es in diesen Fällen nicht um die vielfach bemühte Unschuldsvermutung geht: Vielmehr gehe es darum, Übergriffe zu normalisieren.
„Es führt dazu, dass Betroffene, die das zur Sprache bringen, sich in einer Rolle befinden, das Störsignal zu sein.“ All das führe den Übergriff fort - und belaste unvorstellbar. „Mit was für einer Brutalität das deutlich wurde, dass es überhaupt nicht um Beweise geht. Dass es auch überhaupt nicht mehr darum geht, ob es nun passiert ist oder nicht. Sondern dass es eigentlich nur darum geht, ob irgendwelche machtvollen Funktionäre das okay finden oder nicht.“ Dabei gerate völlig aus dem Blick, welche Abhängigkeitsverhältnisse hier wirken.
Doch die Familienrechtsanwältin, deren Buch „Die stille Gewalt“ am 12. September im Verlag Rowohlt erscheint, ruft trotz allem dazu auf, sich nicht entmutigen zu lassen. Ihr selbst habe die große Solidarität gerade unter Frauen im Fußball imponiert. Daran müsse man sich halten, um den eingeschlagenen Weg entschlossen gemeinsam weiterzugehen.