Das ist ein echtes Erdbeben!
Watzke verkündet DFB-Hammer
Hans-Joachim Watzke hat den bisherigen Plänen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zur Verringerung des Leistungsdrucks im Kinderbereich eine Absage erteilt und eine Reform der Reform angekündigt - und wandte sich dabei in überdeutlichen Worten gegen die bisherigen Planungen.
Der DFB-Vizepräsident und BVB-Geschäftsführer bezeichnete die geplanten Änderungen beim DUP-Unternehmertag in Essen als „unfassbar“ sowie „für mich nicht nachvollziehbar“ und sprach von einem „grundsätzlich falschen Ansatz“, mit dem er in spöttischem Ton abrechnete: “Es gab ja auch die Diskussion, nicht mehr auf Tore zu spielen. Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft.“
Laut Watzke hat die DFB-Spitze um Präsident Bernd Neuendorf bereits beschlossen, dass der neue DFB-Direktor Hannes Wolf „in den nächsten ein, zwei Jahren Handlungsalternativen aufzeigen“ soll.
Der frühere Stuttgart- und HSV-Coach Wolf - der seine Vorstellungen jüngst im STAHLWERK Doppelpass auf SPORT1 ausführlich skizziert hatte - ist seit Ende August Sportdirektor mit den Aufgabenbereichen Nachwuchs, Training und Entwicklung.
DFB pries die Reform im Januar noch vollmundig an
Ursprünglich wollte der DFB ab 2024 neue Spielformen im Nachwuchsbereich umsetzen. Damit sollte in den Altersklassen von der U6 bis zur U11 der Leistungsdruck minimiert und die sportliche Entwicklung der Kinder stärker in den Vordergrund gerückt werden - mit dem Ziel, weniger Talente zu verlieren, die sich wegen geringer Einsatzzeit vom Fußball abwenden.
Zu den Plänen gehörte, in der G- und F-Jugend keine Meisterschaftsrunde mehr auszutragen, stattdessen waren Spielenachmittage und Festivals mit mehreren, kleineren Mannschaften und Spielfeldern in einem alternativen Wettbewerbsformat vorgesehen. Eine zentrale Rolle spielte auch ein Rotationsprinzip mit festen Wechseln, um allen Kindern Einsatzzeiten zu ermöglichen.
Der DFB-Bundestag hatte die Reform erst im Januar beschlossen, nach einer zweijährigen Pilotphase unter Beteiligung aller Landesverbände. DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann hatte die Veränderung damals als „konsequent und logisch“ gepriesen.
„Die Kinder sollen aktiv am Spiel teilnehmen und möglichst viele Tore schießen“, führte der langjährige DFB-Funktionär damals aus: „Deshalb wird auf kleinere Teams und viel Abwechslung gesetzt. Die neuen Spielformen geben allen auf dem Platz so häufig wie möglich die Chance, den Ball am Fuß zu haben. Wir müssen wie Kinder denken, nicht wie Erwachsene. Nur Kinder, die Spaß und Freude am Spiel entwickeln, werden dem Fußball erhalten bleiben. Und Spaß haben sie dann, wenn sie viele Aktionen mit dem Ball haben. Die Reform soll den gesamten Fußball und die Nachwuchsarbeit an der Basis langfristig stärken.“
Der nun mit einer Reform der Reform beauftragte Talentdirektor Wolf hat in einer Reaktion auf Watzke nun auch nochmal bekräftigt, dass er die von diesem kritisierte Grundrichtung der Reform nicht falsch findet: „In den neuen Spielformen im Kinder- und Jugendfußball wird Leistung gefordert und durch die unmittelbare Rückmeldung des Gewinnens und Verlierens gefördert.“ Wolf hatte die ursprünglichen Pläne auch schon vor knapp zwei Wochen im Dopa verteidigt; und die Vorzüge der neuen Spielformen und ihren Wettbewerbscharakter herausgestellt („Die Kinder haben gejubelt, sich geärgert und auch geweint“).
Helmer, Hamann und andere Größen übten Kritik
In den vergangenen Wochen und Monaten hatte sich jedoch die Kritik an der Neuordnung gemehrt. Skeptiker sahen das Leistungsprinzip ausgehebelt und falsche Signale für die Weiterentwicklung der jungen Spieler, unter anderem wunderten sich mehrere Ex-Nationalspieler wie Thomas Helmer (“Finde ich grotesk“) und Dietmar Hamann (“Ohne Ergebnis kein Erlebnis“). Auch Köln-Coach Steffen Baumgart und der langjährige Bundesliga-Trainer und -Manager Ralf Rangnick hatten Kritik geübt.
Der DFB hatte die neuen Spielformen dabei auch gerade damit begründet, „dass mehr Spiele verloren und gewonnen werden, so dass Kinder den Umgang mit Siegen und Niederlagen noch besser erlernen“ - und dass mit ihnen „die Selbstständigkeit der Kinder“ gefördert und die Einflussnahme von Trainern und Eltern verringert werden sollte.
Mehrere prominente Vertreter des DFB hatten die Reform zuletzt mit dem Hinweis auf diese Punkte verteidigt. „Bei den Kindern geht es immer um das Ergebnis, die wollen immer gewinnen, die wollen immer gut spielen“, sagte etwa U15-Nationaltrainer Christian Wück: „Wichtig ist, dass es bei den Trainern, Eltern und Verwandten nicht um das Ergebnis geht.“
Joti Chatzialexiou, der sportliche Leiter der DFB-Nationalmannschaften, hielt Kritikern in der ARD entgegen: „Auch mit Blick auf die Nationalmannschaften und den Profibereich wollen wir Fußballer haben, die intrinsisch motiviert gewinnen wollen und nicht, weil es eine Tabelle gibt.“
Watzke verkündet eine völlige Kehrtwende
Die Streitfrage um das richtige Maß des Leistungsprinzips im Kindersport hatte zuletzt weit über den Fußball hinaus für erhitzte Diskussionen gesorgt - auch im Kontext der ähnlich umstrittenen Veränderungen bei den Bundesjugendspielen und deutschen Misserfolgen im Fußball und anderen Sportarten wie zuletzt bei der medaillenlosen Leichtathletik-WM.
Watzke hat in Bezug auf den Kinderfußball nun klar Position bezogen - und im Ergebnis eine komplette Kehrtwende in Aussicht gestellt.
„Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, was es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen“, sagte Watzke nun - und spottete: „Wenn wir Angst haben, dass ein Achtjähriger komplett aus dem Lebensgleichgewicht geworfen wird, weil er mal 5:0 mit seiner Mannschaft verliert, dann sagt das auch sehr viel über die deutsche Gesellschaft aus.“
Auch in Richtung des eigenen Verbands führte CDU-Mitglied Watzke dann aus, es gebe „im DFB und in der Gesamtgesellschaft viele Leute, die sagen: Wir müssen weniger Leistungsdruck und Stress am Arbeitsplatz und lieber ein bisschen mehr Home-Office haben. Wir müssen alle fröhlich und friedlich sein und uns alle gut vertragen und am Ende gucken, dass wir noch einen finden, der das Ganze bezahlt.“
Der 64-Jährige will offensichtlich ein Konzept, das eine andere Handschrift trägt.
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Mit Sportinformationsdienst (SID)