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Uwe Seelter: Diese Szene machte ihn unsterblich

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Uwe Seelter: Diese Szene machte ihn unsterblich

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Eine Szene macht Seeler unsterblich

Uwe Seeler wurde als Fußballer weit über seinen Hamburger SV hinaus zur Legende – und als Mensch wegen seiner Bodenständigkeit zum Idol. Ein Nachruf.
Er ist eine Legende beim HSV und in der Nationalmannschaft: Uwe Seeler gilt als bodenständiger Superstar und als einer der größten deutschen Torjäger aller Zeiten.
Uwe Seeler wurde als Fußballer weit über seinen Hamburger SV hinaus zur Legende – und als Mensch wegen seiner Bodenständigkeit zum Idol. Ein Nachruf.

Das Bild, wie Uwe Seeler nach dem verlorenen WM-Finale 1966 gegen England in Wembley gebeugt vom Platz trottet, mit hängenden Schultern und einem noch tiefer hängenden Kopf, ist eine jener Erinnerungen, die seither stets mit ihm assoziiert werden.

Dabei charakterisiert diese Momentaufnahme, später zum deutschen Sportfoto des Jahrhunderts gewählt, ihn überhaupt nicht.

Eher schon die recht unbeachtete Szene, die sich kurz zuvor zugetragen hatte. Die Szene blieb auch deshalb so klein, weil Seeler sie unerwähnt ließ, was viel über ihn erzählt - und die am 21. Juli 2022 im Alter von 85 Jahren verstorbenen Ikone bis heute unsterblich erscheinen lässt.

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Seeler stand für Sportsgeist und Bescheidenheit

Maßgeblich entschieden wurde das Finale damals durch Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz und Linienrichter Tofik Bachramow aus Aserbaidschan, die das berühmte Wembley-Tor zum 3:2 für England nach einer kurzen Beratung gegeben hatten.

Zu Unrecht, wie sich später beweisen ließ.

„Natürlich fühlte auch ich mich betrogen“, erinnerte sich Seeler 50 Jahre später im Spiegel, „ich war ziemlich wütend, zugleich aber kurioserweise auch sehr kontrolliert.“

Er ging als Kapitän dazwischen, als seine Mitspieler die Unparteiischen bestürmten.

Nach dem Abpfiff schüttelte Seeler dem Gespann die Hände, trotz Wut und Verärgerung, aber weil es sich eben so gehörte. Dann trottete er wie ein Häuflein Elend vom Platz.

In seinen Erinnerungen kommt das Händeschütteln mit den Unparteiischen gar nicht vor: „Ich war physisch wie psychisch fix und fertig und erlebte die Minuten nach dem Abpfiff wie in Trance: das Händeschütteln und die Umarmungen mit den Engländern, der Gang hoch in die Royal Box zu Queen Elizabeth II.“

Sein bemerkenswerter Anstand gegenüber den Unparteiischen? War ihm nicht mehr bewusst, vielleicht schon damals in Wembley nicht, als er mit seiner tiefen Enttäuschung beschäftigt war.

Vieles geschah bei ihm in diesen Momenten automatisch, gesteuert von seinem Charakter und seiner Prägung. Für Sportsgeist, Bodenständigkeit und Bescheidenheit stand Seeler immer. Vermittelt hatten ihm seine Eltern diese Werte, und er pflegte sie stets.

Als Seeler für verrückt erklärt wurde

Auch im April 1961, als er in die Lobby des nobelsten Hamburger Hotels Atlantic geladen wird. Inter Mailands Helenio Herrera, ein Argentinier und damals bestbezahlter Trainer der Welt, wartet dort auf Seeler.

Mitgebracht aus Italien hat der Begründer des Catenaccio einen leeren Koffer, der nun vor Seeler auf dem Tisch liegt. Der Koffer werde randvoll mit Geld auf ihn in Mailand warten, verspricht Herrera, wenn Seeler zu Inter wechselt.

Die damals immense Summe von mehr als einer Million D-Mark steht für Seeler in Aussicht. Ein Profi ist er zu jener Zeit nicht, eher nebenbei kickt er für den Hamburger SV. Tagsüber arbeitet er als Vertreter.

Die Mannschaftskollegen beim HSV rieten ihm, das Angebot anzunehmen. Doch Seeler lehnte ab, was Herrera dazu veranlasste, ihn für verrückt zu erklären.

„Das Ganze war auch mein Naturell, so ein bisschen die Sicherheit zu suchen, das Sichere, was ich habe, nicht aus den Händen zu geben“, sagte Seeler später.

Der große Glamour in Mailand erschien ihm eher bedrohlich und passte nicht zusammen mit den bescheidenen Verhältnissen, in denen er aufgewachsen war.

In Hamburg feierten die Menschen ihn für seine Treue zum HSV. Zudem bekam er den besser bezahlten Job als Generalvertreter für adidas. Auf seinen Dienstreisen für den Sportartikelhersteller trainierte er abends irgendwo in der Republik auf fremden Dorfplätzen.

Das Phänomen Seeler

Es sind vor allem seine Charakterzüge, die ihn früh so beliebt machen. Zu erkennen sind diese auch daran, wie er Fußball spielt.

1946 fängt Seeler in der Jugend beim HSV an, mit 16 bestreitet er 1953 sein erstes Seniorenspiel für den HSV, ein Jahr später debütiert er in der Nationalmannschaft, als bis heute Jüngster. Mehr als 1000 Tore kommen in seiner Karriere zusammen, 43 davon in 72 Länderspielen.

Viele seiner Tore erzielt er mit Kraft, Dynamik und sogar Artistik. Er gilt als Phänomen, weil er nicht selten aus unmöglichen Lagen trifft und Spiele fast im Alleingang entscheidet. Und weil er trotz seiner nur 1,68 Meter der vielleicht beste Kopfballspieler der Welt ist.

„Uwe hat genau in seine Zeit hinein gepasst. Uwe hat geschuftet, geschafft, gerackert und geackert. Das, was die Menschen in Deutschland getan haben, so hat er Fußball gespielt“, sagte die Reporter-Legende Rudi Michel einmal, „das war eine Versinnbildlichung ihrer Arbeit. Und sie konnten sich mit ihm identifizieren, er war sofort einer der ihren. Er war halt Uns Uwe.“

Seeler bleibt Hamburg treu

Beinahe wäre seine Karriere durch einen Achillessehnenriss im Februar 1965 früh geendet. Doch Seeler schaffte die Rückkehr mit seinem enormen Ehrgeiz und schoss die Nationalelf zur WM 1966. Vier Jahre später beim Turnier in Mexiko gelang ihm sein berühmtestes Tor mit dem Hinterkopf.

1972 beendete er seine Laufbahn als Fußballer. Viele Auszeichnungen bekam Seeler, unter anderem als erster Sportler das Große Bundesverdienstkreuz, zudem wurde er 2003 Ehrenbürger Hamburgs.

Der Hansestadt und seinem HSV blieb er immer treu, ab 1995 versuchte er sich dort als Präsident, gab wegen der Affären anderer Führungskräfte aber nach rund drei Jahren entnervt auf.

Seeler interessierte sich nicht für Verlockungen, mit seiner Frau Ilka feierte er im Februar 2019 Diamantene Hochzeit, geheiratet hatten sie 1959, natürlich in Hamburg. Er stellte sich auch nie über andere.

„Ich bin ein stinknormaler Mensch, das möchte ich auch bleiben“, sagte er zu seinem 80. Geburtstag.

Damals sprach er in einem Interview auch über seinen Tod. „Mein einziger Wunsch ist es, dass meine Familie gesund und munter bleibt. Den Rest mache ich selbst“, sagte Seeler.

Wirklich nachdenken wolle er darüber aber nicht, „weil, wenn es kommt, ist es immer zu früh“.