Home>Fußball>

Flutlicht an! Das Stadion ist ein guter Ort für Trauer - Porträt-Kolumne #57 Carmen Mayer

Fußball>

Flutlicht an! Das Stadion ist ein guter Ort für Trauer - Porträt-Kolumne #57 Carmen Mayer

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

Stadion ein guter Ort für Trauer

Fußball als Unterstützung in der Trauer - das bespricht Carmen Mayer im Podcast „Flutlicht an! Im Gespräch mit der Wortpiratin“ mit Mara Pfeiffer.
Carmen Mayer ist zu Gast im Podcast "Flutlicht an!"
Carmen Mayer ist zu Gast im Podcast "Flutlicht an!"
© SPORT1-Grafik: Marwi/Imago
Fußball als Unterstützung in der Trauer - das bespricht Carmen Mayer im Podcast „Flutlicht an! Im Gespräch mit der Wortpiratin“ mit Mara Pfeiffer.

Manchmal erkennen Menschen beim Blick zurück auf die eigene Biografie, dass jeder Schritt, den sie bisher gegangen sind, eine Bedeutung hatte dafür, wo sie gerade sind. So ist es auch bei Carmen Mayer. „Alles, was ich jemals gelernt und studiert habe, findet sich im Projekt ‚Trauer und Fußball‘ wieder“, sagt die Trauerbegleiterin mit einem Lächeln in der Stimme.

{ "placeholderType": "MREC" }

Da war ihr Papa, der Fußballfan, der jeden Samstag zur Gartenarbeit oder beim Autoputz in voller Lautstärke die Spiele verfolgte. „Damit bin ich aufgewachsen, dass Samstagnachmittag die ganze Nachbarschaft bedröhnt wurde mit dem Bundesligaradio von meinem Vater.“ Da war die eigene Sozialisation als Jugendliche, Protestkultur, Atomkraft nein danke, Demos.

Mayers erste Berufsausbildung ist die zur Jugend- und Heimerzieherin, anschließend ist sie in der offenen Jugendarbeit tätig. Was Jugendsubkulturen, zu denen auch die Fankultur gehört, angeht, könne sie „aus einem guten Fundus schöpfen“, findet Mayer. Sie selbst sehnt sich mit der Zeit nach einem Tapetenwechsel und zieht 2000 aus Süddeutschland nach Berlin.

{ "placeholderType": "MREC" }

Fußball als Unterstützung in der Trauer

Mit 25 Jahren beginnt sie ein Studium der Geschichte und Bibliothekswissenschaft, arbeitet im „Archiv der Jugendkulturen“. Überall öffnen sich neue Horizonte. „Für mich hat immer alles zusammengepasst.“ In Berlin lernt sie ihren heutigen Mann kennen, sie werden Eltern. 2006 erwartet das Paar ein Geschwisterkind, doch ihr Sohn kommt in einer Stillgeburt zur Welt.

Mayer fällt durch den Verlust des Kindes aus ihrem bekannten Bezugsrahmen. „Die Welt drehte sich normal weiter, aber ich war der Welt ein Stück weit abhandengekommen.“ In der Zeit leben sie mit einem fußballbegeisterten Schweizer zusammen und die verwaiste Mutter findet sich wie zufällig bei den Spielen der WM 2006 vorm Fernseher wieder. Und schaltet, während die Begegnungen laufen, 90 (oder 120) Minuten lang alles ab, was sie schmerzt.

„Ich habe gemerkt, Fußball ist etwas, das mich total unterstützt in meiner Trauer.“ Und auch die Freund*innen des Paares machen diese Erfahrung, weil die Spiele einen Anlass bieten, sich zu treffen, mit einem gemeinsamen Ziel, dafür ohne die Last, über den Verlust sprechen zu müssen. „Das war in dieser Trauer eine total wertvolle Ressource. Vor allem auch dieses Gefühl, nicht alleine zu sein, Menschen um sich zu haben, die das aushalten können.“

Aus der eigenen Erfahrung heraus beginnt Mayer eine Weiterbildung zur Trauerbegleiterin. In der Arbeit stellt sie fest, wie gut Fußball als Thema in schlimmen Phasen auch für Menschen funktioniert, die sich nicht als glühende Fans bezeichnen würden. „Ich glaube, dass es einfach einen guten Rahmen schafft für die Trauer, zumal wir ja im Fußball auch gefühlserprobt sind.“

{ "placeholderType": "MREC" }

Hinzu komme, vermutet die Trauerbegleiterin, dass es in der Kurve leichter falle, einander in den Arm zu nehmen, als zwischen Supermarktregalen oder bei der zufälligen Begegnung im Park. Im Fußball existieren alle Gefühle der Palette, und alle sind okay. Auch die Trauer.

Die trifft die gebürtige Freiburgerin 2008 noch einmal mit voller Härte, als auch ihre Tochter in einer Stillgeburt zur Welt kommt. Wieder ist der Fußball für sie da. In ihrer eigenen Praxis erfährt sie immer wieder, wie Trauer von anderen in richtig und falsch eingeteilt wird, betont aber: „Jeder hat das Recht auf seine eigene Trauer.“ Ihre führt Mayer zeitweise nachts aus dem Haus, auf Spaziergänge durch die dunklen Straßen, weil sie den Tag nicht erträgt.

Im September 2018 gründet Mayer „Trauer und Fußball“, wagt sich mit ihrer Arbeit ins Netz, startet einen Account in den sozialen Medien, über den sie sich vernetzt, erarbeitetet mit dem wachsenden Team ein erstes Fanzine. Das Feedback ist enorm. Sie arbeitet zu Trauerkultur im Fußball, Schweigeminute und Trauerflor, die Rituale, die zu diesem Sport gehören und wie Rituale gleichzeitig ein Halt sind für Trauernde. „Man ist nirgends so im Hier und Jetzt.“

Inzwischen gehört sie mit ihrer Tätigkeit zum Team von „KickIn“, der Beratungsstelle Inklusion im Fußball. Mit dem Projekt „Trauer unterm Flutlicht“ wollen Mayer und Kollege Carlo Kosok die Arbeit der Vereine zu Trauer bündeln, Verantwortliche fortbilden, neue Impulse setzen.

„Getrauert wird immer da, wo gelebt wurde. Deswegen ist das Stadion ein total guter Ort.“ Dabei gehe es auch um vermeintliche Kleinigkeiten, wie die Trauerkarte des Lieblingsvereins beim Verlust eines geliebten Menschen. Das Potential, glaubt Mayer, ist riesig.