An einem guten Tag war das Spiel des Mesut Özil die pure Magie. Da vollbrachte sein von Gott geküsster linker Fuß Wunderdinge, seine Augen sahen Lücken und Wege, die allen anderen verborgen blieben.
Die bewegte Karriere des Mesut Özil
2010, gegen England und Argentinien, das waren solche Tage. Auf dem Weg zur WM-Krönung 2014, bei der heute noch fast unglaublichen Leistungsschau des deutschen Fußballs gegen Brasilien.
Und in den Hochzeiten als filigraner Künstler und Lieblings-Assistent von Cristiano Ronaldo bei Real Madrid.
Doch diese Momente sind zuletzt immer seltener geworden, die Beine langsamer, Verletzungen eine Qual. Deshalb hört Mesut Özil, der letzte große Zehner in Deutschland, auf: Sofort und für immer. Der Magier legt den Zauberstab beiseite.
Ein letzter Seitenhieb gegen den DFB?
„Es war eine wunderbare Reise, gefüllt mit unvergesslichen Momenten und Emotionen“, schrieb Özil seinen mehr als 50 Millionen Followern bei Twitter und Instagram. Er dankte seinen Klubs von Schalke 04 bis Basaksehir Istanbul, jenem Verein in der Türkei, der Recep Tayyip Erdogan nahe steht. Auch da schließt sich ein Kreis.
Özil würdigte zudem seine unzähligen Trainer, unter anderem Arsène Wenger beim FC Arsenal und José Mourinho bei Real Madrid. Pikant: Den DFB erwähnt er in seiner Danksagung nicht.
Nun, mit 34, ist es Zeit zu gehen. „Jetzt freue ich mich auf alles, was vor mir liegt mit meiner schönen Frau und meinen zwei schönen Töchtern“, schrieb er, die kleine Ela ist noch kein Jahr alt. Selig blickte er zurück auf „das große Privileg, 17 Jahre lang Profi gewesen zu sein. Ich bin für diese Gelegenheit unendlich dankbar. Ihr könnt euch sicher sein, dass ihr von Zeit zu Zeit von mir hören werdet.“
Dies hat Özil stets sichergestellt - lange allerdings auf dem Platz, ansonsten war er eher wortkarg, seine Sprache war der Ball. Dann aber lässt er sich vor der WM 2018 mit dem türkischen Staatspräsidenten fotografieren, der später sein Trauzeuge wird.
Die WM wird ein Desaster.
Erdogan-Foto ändert alles
Özil fühlt sich dabei nicht gegen Anfeindungen geschützt und antwortet mit einer krachenden, vierseitigen Generalabrechnung: Er verspüre ein Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit. Zudem tritt er aus der Nationalmannschaft zurück. Einige Zeit später sagte er über sich selbst: „Ich bin ein Spieler, der das absolute Vertrauen spüren muss.“
Der Aufstieg eines Jungen einer Gastarbeiterfamilie aus dem Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck war fortan keine Geschichte über gelungene Integration und Chancengleichheit mehr, keine über Mesut Özil, der mit nacktem Oberkörper in der Kabine der Kanzlerin die Hand schüttelt. Es wurde nun eine Geschichte von einer tiefen Zerrissenheit: Özil war Diener zweier Herren, er spielte für Deutschland, wollte aber nicht seine Wurzeln verleugnen.
„Ich habe mehr Zeit in Spanien als in der Türkei verbracht“, hat Özil einmal gesagt: „Bin ich ein deutsch-türkischer Spanier oder spanischer Deutsch-Türke?“ Er wollte viel lieber als Fußballer gemessen werden, „denn Fußball ist international“. Sein Twitter-Profilbild zeigt ihn mit dem WM-Pokal.
Im Sommer 2018 wendete sich die Öffentlichkeit zunächst gegen ihn. Doch je mehr Zeit verging, desto größer wurde das Verständnis dafür, dass auch die DFB-Führung mit dem Präsidenten Reinhard Grindel, der ein öffentliches Statement von Özil einforderte, und Oliver Bierhoff keineswegs frei von Fehlern war.
Bundestrainer Hansi Flick, 2014 Löws Assistent, beschrieb Özil so, wie ihn viele sportlich in Erinnerung haben. „Er war einer unserer herausragenden Nationalspieler“, sagte Flick.
„Er hat die Nationalmannschaft fast ein Jahrzehnt lang mitgeprägt. Ich habe sehr gerne mit ihm zusammengearbeitet, er hatte außergewöhnliche Fähigkeiten, seine Technik und Spielübersicht waren überragend.“ Özil habe „in seiner erfolgreichsten Zeit“ zu den „besten Fußballspielern der Welt“ gehört.
Für die Zeit nach der Karriere wünschte Flick alles Gute. Wahrscheinlich wird man sich nicht mehr allzu oft über den Weg laufen.
-----
Mit Sport-Informations-Dienst (SID)