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"Pelé bleibt ein Mythos" - Nachruf auf die verstorbene Fußball-Legende

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"Pelé bleibt ein Mythos" - Nachruf auf die verstorbene Fußball-Legende

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Pelés großer Schwur

Eine wahre Fußball-Legende ist tot. Es bleiben die Erinnerungen an eine große Persönlichkeit.
Edson Arantes do Nascimento wurde als einziger Fußballer dreimal Weltmeister. Pelé avancierte zum Weltfußballer des 20. Jahrhunderts und inspirierte Generationen von Fans und Spielern.
Eine wahre Fußball-Legende ist tot. Es bleiben die Erinnerungen an eine große Persönlichkeit.

Weltmeisterschaften waren seine Spezialität und Vorliebe. An vier hat er teilgenommen, drei sogar gewonnen - ein unerreichter Rekord.

Aber auch danach war Pelé immer irgendwie dabei, da sein Land als einziges zu jeder WM fuhr und irgendeine Funktion fand sich für den „König“ immer. Ob als TV-Kommentator, als brasilianischer Verbandsdirektor, als PR-Figur für einen FIFA-Sponsor oder einfach nur als umjubelter Sänger im Berliner WM-Studio des ZDF 2006. (Die Reaktionen zum Tod von Pelé)

Eine WM ohne Pelé war seit 1958 undenkbar. In Katar war er nicht dabei - und irgendwie doch. Nach dem Sieg gegen Südkorea, vor dem sich die Nachrichten über seinen Gesundheitszustand stetig verschlechtert hatten, hielten die Spieler ein Plakat in die Kameras und huldigten ihm so, wie es zuvor schon die Fans auf den Rängen getan hatten, die ein riesiges Trikot mit der Nummer 10 entrollt hatten.

Pelé, O Rei

Da lebte er noch und sandte, wie es seine Art war, Signale der Zuversicht an seine weltweite Fangemeinde. Nun ist Pelé tot. Wer war dieser Mann, der wie ein Heiliger verehrt wurde und wird?

Die Frage nach dem größten Fußballer der Weltgeschichte ist überall auf der Welt eine Generationenfrage. Wer ihn hat spielen sehen, muss nicht lange überlegen: Pelé. Die Jüngeren aber nennen Beckenbauer, Cruyff, Maradona oder Messi, in Afrika wird mancher Roger Milla über alles stellen. Nur in Brasilien gab und gibt es keine Zweifler: Pelé, O Rei (der König) - wer sonst?

Am 23. Oktober 1940 in dem Nest Tres Coracoes, 250 km nördlich von Sao Paolo, in ärmlichste Verhältnisse hineingeboren, stellte er den Standesbeamten gleich vor ein Rätsel. Sein Vater wollte ihn nach dem Erfinder Thomas Edison benennen, doch auf dem Amt wurde ein Edson daraus. Es war letztlich eine Marginalie.

Seinen vollen Namen lernte die Welt zwar kennen, als er auf der WM-Bühne auftauchte, doch er interessierte nicht weiter. Edson Arantes do Nascimento sagte niemand zu dem Jungen, für alle war er Pelé.

Rätsel um den Namen Pelé

Auch um seinen weltberühmten Namen gibt es ein Rätsel: Eigentlich weiß niemand, was er bedeutet - auch Pelé nicht. Eines Tages wurde er beim Straßenfußball von einem anderen Jungen so gerufen und von da an klebte er an ihm wie sein berühmtes gelbes Trikot mit der Nummer 10 in der Selecao.

Pelé ärgerte sich eine Weile über seinen Spitznamen, „Dico“ (wie ihn seine Mutter nannte), gefiel ihm viel besser. Schon früh ging er seinen vorgezeichneten Weg unbeirrt - und machte den ungeliebten Spitznamen zur Marke.

Vater Giovanni Dondinho war ein - allerdings nur leidlich erfolgreicher - Profi, und hatte ihm einen Haufen Talent in die Wiege gelegt. Noch oft witzelte der Sohn, dass er zwar im Leben viele Rekorde aufgestellt habe, aber fünf Kopfballtore in einem Spiel seien ihm nie gelungen - dem Vater schon.

Als sein Vater die WM-Tragödie von Maracana im Jahr 1950 weinend am Radio verfolgte, weil Brasilien gegen Uruguay verlor und den sicher geglaubten Titel im eigenen Land verspielte, schwor ihm der damals achtjährige Sohn, dass er Brasilien eines Tages zum Weltmeister machen würde.

Teamplayer und Individualist zugleich

Auch wenn er zuweilen daran dachte, Pilot zu werden. Mit elf aber bekam er seine ersten Fußballschuhe und bis zum Einbruch der Dunkelheit kickte er mit seinen Freunden auf dem Gelände einer heruntergekommenen Fabrik in Bauru, wohin die Familie gezogen war, weil der Vater dort einen Klub fand. Die Bälle bestanden aus Wolle.

Der Sportklub Bauru wurde sein erster Verein, Geld aber verdiente er sich als Botenjunge und mit seiner Schuhmacherlehre. Die brach er mit 15 ab und ging - welch Schicksalswendung - zum FC Santos, wo man auf das Riesentalent aufmerksam geworden war.

Sein erstes Gehalt: 6.000 Cruzeiros, umgerechnet 225 Euro. Schon in seiner ersten Saison schoss er für den Verein seines Lebens, dem er 18 Jahre trotz lukrativster Angebote die Treue hielt, 58 Meisterschaftstore. Als es Santos schlecht ging, spielte er sogar umsonst.

Ein Teamplayer eben - und doch ein Individualist, der Spiele allein entscheiden konnte. „Ohne ihn sind wir nur die Hälfte wert“, klagte Mitspieler Djalmo Santos bei der WM 1966. Warum?

„Besser kann man nicht Fußball spielen“

Neben seiner blendenden Technik, die für Brasilianer noch nichts Besonderes ist, zeichneten ihn hohe Spielintelligenz, sein Instinkt, Dynamik und Sprungkraft aus.

Trotz seiner 1,74 Meter erzielte er ungewöhnlich viele Kopfballtore. „Seine Kopfbälle kamen wie Schüsse“, schrieb der Kicker nach einer Karriere, die ihresgleichen suchte.

Er war erst 16, als er in die Nationalmannschaft berufen wurde. Am 7. Juli 1957 traf er als Joker gleich beim Debüt gegen Argentinien (1:2) und auch im zweiten Spiel gegen denselben Gegner (2:0) hieß der erste Torschütze Pelé.

Fortan blieb er im Kader Brasiliens, selbst eine Knieverletzung verhinderte seine WM-Teilnahme 1958 in Schweden nicht. Dort ging sein Stern auf, in vier Einsätzen kam er auf sechs Tore. Gegen Wales (1:0) schoss er das einzige Tor, im Halbfinale gegen Frankreich wurde er zum jüngsten Hattrick-Schützen der WM und ist es noch. Auch im Finale gegen Schweden (5:2) erzielte er zwei Tore, das letzte beendete die WM 1958.

Der neue König des Fußballs beendete sein erstes Fest, auf dem er tanzen durfte, höchstpersönlich. Der Schiedsrichter pfiff gar nicht mehr an. „Besser kann man nicht Fußball spielen“, schwärmten die Experten aus aller Welt und meinten nicht nur Brasilien, sondern auch diesen Wunderknaben Pelé.

„Als ich ihn spielen sah, wollte ich meine Schuhe nur noch an den Nagel hängen“, sagte der gefeierte Torschützenkönig jener WM, der Franzose Just Fontaine. Nur acht Jahre hatte Pelé gebraucht, um den seinem Vater geleisteten Schwur einzulösen.

Pelé und seine 1000 Tore

Dass seine erste WM auch die schönste bleiben würde, ahnte keiner. Sein Ruhm hatte einen Preis, niemand unterschätzte diesen Wunderknaben mehr. Die Trainer setzten ihre härtesten Hunde auf ihn an, aus den folgenden Turnieren in Chile und England wurde er regelrecht herausgetreten.

Konnte er sich 1962 noch mit dem erneuten Titelgewinn trösten, bei dem er im Finale fehlte, beschloss er nach dem Vorrunden-Aus 1966, nie mehr an einer WM teilzunehmen - obwohl er erst 25 war. Längst war Pelé, für den in England täglich bis zu 3.000 Briefe eintrafen, die oft nur mit „König Pelé“ (nach einem Kinofilm über ihn) adressiert waren, ein gemachter Mann. Er besaß drei Häuser, darunter einen 20-stöckigen Wolkenkratzer.

Sein Hunger nach Toren aber war noch nicht gestillt. Es war eine kaum überschaubare Menge, allein für den FC Santos sollen es 1.089 gewesen sein. Als er am 19. November 1969 mit einem schlichten Elfmeter gegen Vasco da Gama die 1.000 vollmachte, läuteten im ganzen Land die Kirchenglocken und das Spiel war wegen der Feierlichkeiten für 20 Minuten unterbrochen.

Wegen Pelé: Regierung drängt Brasilien-Trainer zu Rücktritt

So werden nur Könige verehrt oder Fußballgötter. Auf einen wie ihn konnte das Land nicht verzichten. Nationaltrainer Jose Saldanha war anderer Meinung, er warf dem noch nicht mal 30-jährigen Pelé Übergewicht und eine Sehschwäche vor und nominierte ihn zwei Jahre lang nicht.

Vor der WM in Mexiko kostete ihn das den Job, die Regierung griff ein, drängte Saldanho zum Rücktritt. Seinen Platz nahm Mario Zagallo ein, mit dem Pelé 1958 und 1962 Weltmeister geworden war.

Sein Mitspieler von einst baute wieder voll auf ihn und so wurde Pelé in Mexiko 1970 ein drittes Mal Weltmeister. Sein Beitrag war die Umkehrung der Werte von 1958: sechs Spiele, vier Tore, darunter das 1:0 im Finale gegen Italien (4:1). Bei dem Kopfball überragte er die italienischen Verteidiger fast um einen halben Meter - so hoch springt kein alter Mann.

Nun aber konnte der König allmählich abtreten, mit drei WM-Titeln gekrönt. Auch diesen Rekord hat bis heute keiner gebrochen!

Gemeinsame Zeit in den USA mit Beckenbauer

1971 bestritt er vor 140.000 in Maracana sein 92. und letztes Länderspiel, er ging als Rekordtorschütze des Landes (77 Treffer). Erst gut 50 Jahre später hat ihn Neymar in dieser Hinsicht eingeholt.

Mit Santos gewann er 26 Titel, darunter zweimal den Weltpokal. Seine letzte Meisterschaft fuhr er allerdings mit Cosmos New York ein, wohin es ihn des Geldes wegen 1975 zog. Der Geschäftsmann Pelé hatte nie denselben treffsicheren Instinkt wie der Fußballer. Die 4,5 Millionen US-Dollar, die er in der Major Soccer League in zwei Jahren verdiente, sanierten ihn und bildeten die Basis für seinen Wohlstand.

In New York lernte Pelé Franz Beckenbauer kennen, der auch seinetwegen über den großen Teich gewechselt war. „Die Verlockung, mit ihm zusammenzuspielen, war der größte Anreiz für meinen Wechsel zu Cosmos“, gestand der Kaiser. Wenn Kaiser und König in einem Team stehen, bleibt der Konkurrenz nichts anderes als niederzuknien: Der US-Meister 1977 hieß Cosmos New York. (NEWS: Beckenbauer verabschiedet sich von Pelé)

Während Beckenbauer noch fünf Jahre weiterspielte, trat Pelé nun standesgemäß ab. Als Triumphator, auch wenn die Meisterschaft in der MLS nicht annähernd den Stellenwert hatte wie seine Triumphe in und mit Brasilien.

„Pelé bleibt ein Mythos“

Noch etwas verdient Erwähnung: Vom Platz flog er nie. Als es einmal doch geschah, protestierten Mitspieler und Zuschauer so vehement, dass der Schiedsrichter seine Entscheidung revidierte und die Pfeife an seinen Assistenten abgab. „Königsmörder“ wollte er nicht sein.

Dem Fußball blieb Pelé danach immer treu, sein Name ermöglichte ihm indes sogar Auftritte auf diplomatischem Parkett. Drei Jahre war er Sportminister seines Landes, als UN-Sonderbotschafter setzte er sich weltweit für Entwicklungsprojekte ein.

Weil der Junge aus Tres Coracoes, wo schon zu Lebzeiten ein Denkmal für ihn errichtet wurde, nie vergessen hat, wo er herkam. Sein Leben ist nun zu Ende, seine Geschichte aber wird noch oft erzählt werden. Es ist keine ohne Makel. Er hat zwei uneheliche Kinder gezeugt und ein Weilchen gebraucht, sie anzuerkennen - und wenn ein Sohn wegen Drogengeschäften für lange Zeit im Gefängnis sitzt, fällt das auch immer auf die Eltern zurück.

Der stets bescheiden gebliebene Vater hat sich nie für unfehlbar gehalten, nur einen Teil von sich klammert er aus: „Edson ist ein Mensch mit Fehlern, Pelé bleibt ein Mythos.“