Daniel Bierofka ist ein Idol bei 1860 München. Von 2014 bis 2019 war er Jugend-, Assistenz- und Cheftrainer bei den Löwen.
Bierofka: „Bin Nagelsmann dankbar“
Zuletzt betreute er den österreichischen Zweitligisten Wacker Innsbruck. Sein Lebensmittelpunkt war immer München. Ab dem 1. Juli wird der 43-Jährige die U17 der Spielvereinigung Unterhaching trainieren.
Im SPORT1-Interview spricht der gebürtige Münchner unter anderem über die neue Aufgabe, die Jugendarbeit in Deutschland, Julian Nagelsmann, Karim Adeyemi - und verrät sein Trainer-Vorbild.
SPORT1: Herr Bierofka, warum haben Sie sich als Löwe für Haching entschieden?
Daniel Bierofka: Es gibt keine Feindschaft zwischen Haching und Sechzig. Ich habe in der Jugend ein Jahr bei der Spielvereinigung gespielt und habe mich damals sehr wohl gefühlt. Danach bin ich zwar zum FC Bayern gewechselt, aber ich hatte die Spielvereinigung immer im Blick. Ich habe mich mit Manni Schwabl (Haching-Präsident, Anm. d. Red.) oft ausgetauscht und jetzt war das Timing sehr gut. Zumal ich wegen der Familie auch in München bleiben will. Manni und ich waren uns ziemlich schnell einig.
SPORT1: Ist es kein Rückschritt, wieder im Jugendbereich zu arbeiten?
Bierofka: Das ist eine Sache der Bewertung. Die einen werden sagen ‚Warum geht er wieder zurück?‘ und die anderen finden es gut. Ich hätte ohne Probleme im Profibereich bleiben können, hatte Angebote aus der 3. Liga. Aber man muss es auch aus meiner Perspektive sehen. Ich war anderthalb Jahre in Innsbruck und da verlierst du schon etwas den Draht zur Familie. Ich wollte nicht wieder weg aus München. Und deshalb war Haching eine gute Option für mich.
SPORT1: Es war damals ein sehr tränenreicher Abschied bei 1860. Wie lange hat es gedauert, bis sie das verarbeitet hatten?
Bierofka: So schlimm war es mit den Tränen nicht. Ich konnte meine Emotionen auf dem Weg zum Auto schon ganz gut kontrollieren. Es war ein schwerer Schritt, aber es gab da für mich nur diesen Ausweg. Aufgrund von Strömungen im Verein, die nicht mehr gut waren. Ich wollte einfach, dass die Mannschaft weiter arbeiten kann mit einem Trainer, der mit ganzer Energie dabei ist. Und deshalb war es besser zu sagen ‚Wir beenden das Thema‘. Es waren zweieinhalb extrem anstrengende Jahre bei Sechzig und wir waren erfolgreich, denn wir sind zurückgekommen in den Profibereich. Es ist viel passiert, aber heute kann ich sagen, dass alles okay ist für mich. Ich bin mit 1860 im Reinen.
Bierofka: „Mit Ismaik hatte ich einen guten Austausch“
SPORT1: Wie blicken Sie zurück auf das erste Engagement im Ausland?
Bierofka: In Innsbruck war es am Anfang eine schöne Zeit, weil sich das Thema auch toll entwickelt hat. Am letzten Spieltag haben wir es verpasst, in die Relegation einzuziehen, doch wir waren auf einem sehr guten Weg. Leider gab es Schwierigkeiten mit dem Investor. Es folgte der Zahlungs-Stopp. Dann kam Herr Ponomarev und es gab wieder Probleme, das aber war nach meiner Zeit. Der Verein wird wohl leider Konkurs anmelden müssen. In meiner Trainerkarriere war es eigentlich immer schwierig. Das prägt einen aber auch.
SPORT1: Sie sind Investor-erprobt. Birgt ein Geldgeber eine Gefahr?
Bierofka: Mit Hasan Ismaik hatte ich einen guten Austausch. Aber leider war zeitweise kein Vertrauen mehr da zwischen dem e.V. und ihm. Momentan hat sich die Situation etwas beruhigt. Aber es geht nur, wenn man gemeinsam ein Ziel hat, das man erreichen will. Ich hoffe, dass es Wacker Innsbruck auch in der nächsten Saison noch gibt, aber es wird sehr schwer.
SPORT1: Wie haben Sie sich als Trainer durch diese schweren Begebenheiten weiterentwickelt?
Bierofka: Mir hat die Zeit in Innsbruck durch Sechzig geholfen, weil es da ähnlich zuging. Auch bei Wacker wussten wir am Ende nicht mehr, wie lange das noch gut ausgehen wird. Ich habe demnächst in Haching ein ruhigeres Umfeld und das freut mich. Das macht das Arbeiten wesentlich einfacher, aber man wächst mit den Aufgaben. Ich freue mich die jungen Spieler weiterzuentwickeln.
Bierofka über Jugendarbeit: „Das darf nicht sein“
SPORT1: Wie sehen Sie generell die Jugendarbeit in Deutschland?
Bierofka: Wir haben in der Vergangenheit mit Jugendmannschaften in Deutschland schon Erfolge gefeiert. Was wieder in den Fokus gestellt werden muss, ist die Individualisierung. Bestimmte Positionen müssen einfach besser ausgebildet werden. Das heißt, wir müssen Jungs ausbilden, die zum Beispiel dribbeln können oder Lust auf das 1 gegen 1 haben. Die Stärken eines Spielers sollten mehr heraus gestellt werden.
SPORT1: Wird den Talenten zu viel abgenommen?
Bierofka: Ich habe mal einen ganz interessanten Beitrag von Thomas Tuchel bei einem Trainer-Kongress gesehen. Er sieht das ähnlich, nämlich, dass momentan den Spielern zu viel abgenommen wird. Junge Spieler müssen sich heutzutage zu wenig gegen Widerstände zur Wehr setzen und solche auch überwinden müssen. Es ist alles schon zu perfekt bei uns. Das darf nicht sein.
SPORT1: Für 16-Jährige werden inzwischen schon Ablösesummen gezahlt.
Bierofka: Wir werden das Rad nicht mehr zurückdrehen können. Die Berater versuchen so früh wie möglich an die Jungs ranzukommen und dann ist es auch die Sache der Eltern. Ab wann wollen sie, dass ihr Kind schon so früh beraten wird? Ich finde es problematisch, wenn man dem Kind etwas vorgaukelt, was passieren könnte. Es gibt viele Probleme im Jugendbereich, die die Karriere beeinflussen können. Es ist ziemlich schwer, da den richtigen Zeitpunkt zu finden.
„Tuchel gehört zu den Aushängeschildern“
SPORT1: Ist Tuchel ein Trainer, zu dem Sie gerne hinschauen?
Bierofka: Definitiv ja. Er ist ein sehr interessanter Trainer und gehört für mich zu den Top-3-Trainern in Deutschland. Man muss aber auch Christian Streich gesondert sehen. Was er in Freiburg leistet, ist sensationell. Aber Tuchel gehört schon zu den Aushängeschildern auf dem Trainermarkt. Ich habe bei Julian Nagelsmann hospitiert, das war sehr interessant. Er ist auch ein toller Trainer, der einen anderen Weg geht. Wie er gewisse Dinge aus den Spielern heraus kitzelt, ist extrem spannend.
SPORT1: Ist er zu schwierig für die Spieler?
Bierofka: Nein. Was er mit Leipzig erreicht hat, war top. Er war mit denen im Halbfinale der Champions League, hat einen überragenden Job gemacht. Und mit den Bayern ist er jetzt auch im ersten Jahr Meister geworden. Für ihn war es wichtig, sich im ersten Jahr zu akklimatisieren. Der FC Bayern ist nun mal das Aushängeschild in Deutschland. Da musst du immer liefern.
Bierofka: So lief es mit Nagelsmann
SPORT1: Erzählen Sie mal von Ihrer Zeit bei Nagelsmann.
Bierofka: Es war super mit ihm. Ich durfte überall dabei sein, auch bei den Besprechungen. Ich war beim Training auf dem Platz dabei, er hat mich überall mitgenommen und wir konnten auch mal eine Stunde miteinander reden. Deshalb bin ich Nagelsmann sehr dankbar. Das war nicht selbstverständlich. Ich bin total überzeugt von ihm. Ich kann die Nagelsmann-Skeptiker nicht verstehen. Er ist in überragender Trainer und wird mit dem FC Bayern noch viele Erfolge feiern. Nagelsmann ist sich auch nicht zu schade, sich selbst zu hinterfragen.
SPORT1: War das nicht komisch, als Blauer auf dem Trainingsplatz der Roten zu stehen?
Bierofka: Das war noch zu seiner Zeit in Leipzig. Sonst hätten wir ein Problem gehabt. Da hätte ich mich schon verstecken müssen. (lacht laut)
SPORT1: Haben Sie ein Trainer-Vorbild?
Bierofka: Natürlich will ich als Trainer meine eigene Identität haben. Aber ich kann schon sagen, dass Jürgen Klopp mir extrem gefällt. Bei ihm geht mir das Herz auf. Es ist der Wahnsinn, was Liverpool da spielt, seit er da ist. Vor allem, wie er den Verein und die ganze Stadt emotionalisiert und mitgenommen hat. Das macht Klopp einzigartig. Das war schon in Mainz und in Dortmund so. Vor allem Empathie zeichnet Klopp aus. Er bringt die Leute und den Klub hinter sich. Das ist wirklich außergewöhnlich.
„Nachhaltig durchgesetzt hat sich seit Alaba keiner mehr“
SPORT1: Wie würden Sie die Jugendarbeit von Bayern, 1860 und Haching vergleichen?
Bierofka: Haching holt seit Jahren das Maximum aus den Möglichkeiten heraus. Die U19 hat die Klasse in der Bundesliga gehalten, die U17 war Zweiter. Das ist der Weg, den Haching gehen muss. Irgendwann wird sich das auch auf die erste Mannschaft niederschlagen. Es gab mal eine Zeit, da war Sechzig in der Jugendarbeit vor Bayern. Mit Spielern wie den Bender-Zwillingen oder Kevin Volland. Inzwischen hat der FCB mit dem Campus Möglichkeiten geschaffen, die andere Vereine nicht haben. Es gilt wieder mehr Spieler wie einst Müller, Badstuber oder Alaba bei den Profis zu etablieren. In den vergangenen Jahren kam wenig aus der Bayern-Jugend. Alphonso Davies kam aus Kanada, aber nachhaltig durchgesetzt hat sich seit Alaba keiner mehr.
SPORT1: Ist Jamal Musiala der nächste Thomas Müller?
Bierofka: Er ist einer, der sich nachhaltig bei den Bayern fest spielen kann. Es wäre so wichtig, dass sich ein Spieler aus dem Campus mal wieder dauerhaft ins Rampenlicht spielt.
Bierofka: Sandro Wagner „ist ein guter Typ“
SPORT1: Träumen Sie davon, einen nächsten Adeyemi rauszubringen, der einst in Haching spielte?
Bierofka: Das kannst du nicht planen. Man darf sich als Trainer auch nicht zu wichtig nehmen und sagen: ‚Den habe ich entdeckt‘. Ich habe Adeyemi bei Salzburg aus nächster Nähe verfolgen können, weil ich ja in Innsbruck war. Der Junge hat einen überragenden Weg gemacht. Inzwischen hat er in der Champions League seine Fußstapfen hinterlassen und ist Nationalspieler. Er hat jetzt mit Dortmund den nächsten Schritt gemacht. Das freut mich für ihn.
SPORT1: Bei Haching ist Sandro Wagner seit einem Jahr Cheftrainer der Profis. Mit Ihnen und ihm hat Haching zwei gute Namen im Stall. Kennen sie sich eigentlich?
Bierofka: Wir haben uns schon getroffen, er ist ein guter Typ. Wir werden super miteinander klarkommen. Wir haben mal gegeneinander gespielt, als er bei Hertha BSC war und ich bei Sechzig. Ich will in der U17 eine gute Arbeit abliefern und Sandro dann in ein, zwei Jahren Spieler zur Verfügung stellen, die ihm helfen. Ich stehe Sandro jeder Zeit zur Verfügung.