Zuletzt hat Jens Keller sicher mit ein wenig Stolz hingeschaut, als Thilo Kehrer im Trikot der deutschen Nationalmannschaft aufgelaufen ist.
"Leroy musste ich immer mal in den A... treten" - Jens Keller über Sané, Kehrer, Goretzka und Kolasinac
Sané „darf auch mal frustriert sein“
Das war gegen Israel zum Start ins WM-Jahr - und wieder mal überzeugte der vielseitige Defensivspezialist. Seit Hansi Flick als Bundestrainer übernahm, stand der 25-Jährige in allen acht Länderspielen in der Startelf des DFB-Teams.
Kein Wunder also, dass Kehrer gerade mit neuem Selbstbewusstsein auftritt. Und er zeigt das auch ganz offen, traut sich im DFB-Team nun auch die wichtige Rolle als Sechser zu.
„Ich bin immer offen für alles“, sagte der Profi von Paris Saint-Germain der FAZ. „Ich habe in der Jugend oft als Sechser gespielt. Gut, das ist jetzt schon ein bisschen länger her, aber ich glaube, dadurch, dass ich mich schnell an eine Position anpassen kann, wäre das schon eine Möglichkeit.“
Kehrer in der U17 trainiert
Keller kennt Kehrer aus der Schalker Knappenschmiede, als er ihn 2012 etwa ein halbes Jahr in der U17 trainierte, ehe der Ex-Coach zunächst interimsweise die Profis des S04 für den entlassenen Huub Stevens übernahm.
„Thilo hat eine unglaubliche Entwicklung genommen. Ich glaube nicht, dass ihm alle solch eine Karriere zugetraut haben“, sagt Keller im Gespräch mit SPORT1.
Zuletzt trainierte der 51-Jährige den 1. FC Nürnberg, aktuell ist Keller ohne Job. Seine erfolgreichste Station als Trainer hatte er bei S04. Mit den Königsblauen schaffte er 2013 und 2014 zweimal die Qualifikation für die Champions League. Anschließend war er bei Union Berlin, beim FC Ingolstadt und schließlich in Nürnberg tätig.
Keller trainierte zu seiner Schalker Zeit nicht nur Kehrer, sondern hatte auch Leroy Sané in der U17 unter seinen Fittichen.
Dieser fiel unlängst beim 1:0-Sieg des FC Bayern gegen den FC Augsburg auf, als er bei seiner Auswechslung nur sehr widerwillig mit Trainer Julian Nagelsmann abklatschte.
Keller nimmt Sané in Schutz
„Das war überhaupt nicht typisch für Leroy, er ist normalerweise ein Typ, der viele Dinge sehr locker sieht und mit solchen Situationen entspannt umgeht, da er ein sehr lebensbejahender und positiver Mensch ist“, erklärt Keller und nimmt Sané zugleich in Schutz: „Ich hätte diese Situation entspannt gesehen, ein Spieler darf nach einer Auswechslung auch mal frustriert sein.“
Der 26-Jährige sei „mit seiner eigenen Leistung definitiv nicht zufrieden und hatte dadurch sicherlich Wut im Bauch. Ich bin überzeugt, dass der Frust nicht gegen Julian ging.“
Bei Kehrer wie Sané habe man schon in der Vergangenheit gesehen, „dass sie sehr viel Potenzial haben, aber in einer U17 zu sagen, dass sie solch eine Entwicklung nehmen würden, wäre vermessen“, weiß Keller natürlich. „In dem Alter kommen noch sehr viele Einflüsse und Faktoren zusammen, die passen müssen, um diese Karriere zu machen.“
Keller war sofort begeistert
Gerne denkt er an die vergangene Zeit zurück: „Thilo habe ich bei seinem ersten Jugend-Länderspiel gesehen. Ich war eigentlich wegen eines anderen Spielers dort, der mir nicht so gefallen hat. Als ich dann auf Schalke zurück war, sagte ich Oliver Ruhnert (damals Direktor der Knappenschmiede, heute Geschäftsführer bei Union Berlin; Anm. d. Red.), dass wir alles unternehmen sollten, um Thilo zu holen.“
So nahm die Geschichte ihren Lauf. 2018 wechselte Kehrer für rund 37 Millionen Euro zu Paris Saint-Germain. Den Durchbruch dort hatten ihm nur die Wenigsten zugetraut.
Das Lob von Keller ist daher groß: „Das Potenzial war sicher da gewesen, aber sich in einem Verein wie PSG mit solch einer Ansammlung von Stars durchzusetzen, zeigt, welche Persönlichkeit Thilo entwickelt hat.“
Zwei weitere Profis, die unter Keller auf Schalke spielten, waren in der Saison 2013/14 Leon Goretzka, der damals vom VfL Bochum nach Gelsenkirchen kam, und von 2012 bis 2014 Sead Kolasinac, der aktuell bei Olympique Marseille unter Vertrag steht.
Sané mit Bundesligadebüt unter Keller
„Es hat mir großen Spaß gemacht, mit den Jungs zu arbeiten, weil man sehen konnte, welche Qualität jeder von ihnen mitbringt“, erzählt Keller. Sané machte sein Bundesliga-Debüt unter dem 51-Jährigen.
„Es freut mich total, dass ich einen Anteil an der großartigen Karriere von Leroy hatte, er seinen Weg so entschlossen weitergegangen ist und sich zu einem Weltklassespieler entwickelt hat.“
Für Goretzka hat Keller derweil nur Lob übrig, nachdem dieser unlängst ganz offen über die hohen Gehälter der Profis sprach.
„Leons Aussage finde ich gut, ich bin der Überzeugung, dass wenn es ihm bei seinem Vertrag rein ums Geld gegangen wäre, er andere Optionen gehabt hätte“, meint Keller. „Wie Leon sagt, ist das Gesamtpaket bei Bayern überragend. Dass ihm das wichtig ist, nehme ich ihm ab.“
Nur „positive und schöne Erinnerungen“ hat Keller indes an die Zusammenarbeit mit Kehrer, Sané, Goretzka und Kolasinac. „Die Anfänge waren sehr unterschiedlich, da ich Leroy und Thilo schon bei der U17 trainiert habe.“
Kehrer kam damals vom VfB Stuttgart zu S04. „Er hat sich direkt in der Mannschaft wohlgefühlt und war sofort ein wichtiger Baustein im Team.“
Keller: „Musste ihm immer mal wieder in den A… treten“
Sané hatte sich beim ersten oder zweiten Training, nachdem Keller die U17 übernommen hatte, schwer verletzt.
„Leroy musste ich nicht entdecken, er hat unter Nobert Elgert (U19-Trainer bei Schalke; Anm. d. Red.) in der U19 nochmal einen großen Schritt gemacht und war als junger Jahrgang dort schon sehr dominant. Deshalb gab es für mich keine Frage, ihn zu den Profis zu holen“, erzählt Keller - und lacht bei einer der vielen Erinnerungen an damals.
„Am Anfang musste ich ihm immer mal wieder in den A… treten, da Leroy eine lockere Art hat und einige Dinge nicht immer ganz so ernst nimmt, was aber auch eine Stärke von ihm ist“, berichtet Keller.
Goretzka war von den Schalkern länger in Bochum beobachtet worden. „Er war als U19-Spieler schon in der 2. Liga Stammspieler und man hatte von außen schon das Gefühl, dass er ein Führungsspieler war“, erklärt Keller.
Goretzka habe „eine unheimliche Präsenz auf dem Platz“ gehabt. Zweifellos sei es für ihn ein großer Schritt von der 2. Liga zu einem Champions-League-Verein gewesen, „aber er hat mir vom ersten Tag gezeigt, dass er ins Team wollte“.
Großer Schritt für Goretzka
Die Kritiker, die daran gezweifelt hatten, dass Goretzka eine solche Persönlichkeit auf dem Platz werden würde, verstand Keller schon damals nicht.
„Das konnte man schon sehen“, betont der Fußballlehrer, „da er bereits als junger Kerl im Kopf sehr klar war und sportlich sehr viel mitgebracht hat“.
Seit 2018 spielt Goretzka für den FC Bayern. Inzwischen ist er eine der Säulen im Team. Zuletzt war er lange verletzt gewesen, feierte am vorletzten Spieltag in Freiburg aber sein Comeback auf dem Platz und traf prompt.
Bei der 0:1-Niederlage der Bayern im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Villarreal gab es für den 27-Jährigen indes erneut einen Rückschlag, als er mit einer Platzwunde am Kopf ausgewechselt werden musste, nachdem er erst in der 62. Minute für Thomas Müller ins Spiel gekommen war.
Insgesamt sei der 27-Jährige jedoch ein „ganz wichtiger Baustein“, weiß Keller, „da er zu einer Persönlichkeit gereift ist und sportlich mit seinen Qualitäten für jeden Top-Verein eine Bereicherung ist“.
Für Keller ist Goretzka ein „überragendes Komplett-Paket“.
Mentalitätsmonster überzeugt Keller
Kolasinac überzeugte Keller derweil durch seine Mentalität. „Sead war schon bei den Profis, als ich Trainer wurde, er hat mich direkt beim ersten Training beeindruckt, da man sehen konnte, was für ein Herz und was für eine Einstellung er hat.“
Keller und Elgert hatten mal ein Gespräch über Kolasinac, als Keller noch U17-Trainer war. „Norbert sagte mir, dass Sead ein Mentalitätsmonster ist, und genau das hat mir Sead stets gezeigt.“
Kolasinacs Debüt bleibt Keller bis heute im Gedächtnis: „Ich werde nie sein erstes Spiel von Beginn vergessen. Es war in der Champions League gegen Galatasaray Istanbul und Sead hat gegen keinen Geringeren als Didier Drogba gespielt. Er hat Drogba in diesem Spiel aufgefressen.“