Ziemlich genau ein dreiviertel Jahr ist Thomas Tuchel nun Cheftrainer beim FC Bayern München. Und auch wenn der 50-Jährige beim Rekordmeister nach wie vor einige Baustellen hat, so dürfte er die Weihnachtstage wesentlich entspannter verbringen als noch vor drei Jahren.
Dieser Knall blüht Tuchel nicht erneut
Als es nämlich am Heiligabend 2020 in Paris zu einem Paukenschlag kam, der die Fußballwelt in helle Aufregung versetzte, da war Tuchel urplötzlich seinen Job los. Französische Medien hatten damals berichtet, dass der deutsche Coach nicht länger Trainer von Paris Saint-Germain sei.
SPORT1 rekonstruiert die turbulenten Tage in der französischen Hauptstadt.
„Ich möchte Thomas Tuchel und seinen Mitarbeitern für alles danken, was sie in den Klub gebracht haben. Thomas hat viel Energie und Leidenschaft in seine Arbeit gesteckt, und wir werden uns natürlich an die guten Zeiten erinnern, die wir gemeinsam verbracht haben. Ich wünsche ihm alles Gute für seine Zukunft.“
Das waren die Abschiedsworte von PSG-Präsident Nasser El-Khelaifi an Tuchel, die der Scheichklub am 29. Dezember 2020 veröffentlichte.
Die offizielle Bestätigung der Tuchel-Entlassung war nur noch ein formeller Akt, denn zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass der deutsche Trainer in Paris seinen Hut würde nehmen müssen.
Entlassung nach 4:0-Sieg gegen Straßburg
Genau genommen hatte sich die Lage schon Monate zuvor zugespitzt, bevor sie kurz vor Heiligabend eskalierte.
Tuchel soll sein Aus direkt nach dem letzten Spiel gegen Straßburg (4:0) am 23. Dezember mitgeteilt bekommen haben, wie in französischen Medien zu lesen war.
Der deutsche Trainer soll aus dem Presseraum getreten sein, als ihn Leonardo zum Gespräch bat. Kurz und schmerzlos habe ihn der brasilianische Sportdirektor mitgeteilt, dass seine Zeit bei PSG abgelaufen sei.
Mbappé bestätigt Tuchels Aus
Die Entlassung zum Fest war für Tuchel, der mitten in der Nacht zum 24. Dezember seine Sachen aus dem Klubzentrum geholt haben soll, sprichwörtlich eine schöne Bescherung.
Und während PSG noch tagelang schwieg, traute sich Kylian Mbappé am ersten Weihnachtsfeiertag aus der Deckung. „Das sind leider die Gesetze des Fußballs, aber niemand wird Ihre Zeit hier vergessen. Sie haben ein tolles Kapitel in der Geschichte dieses Vereins geschrieben und ich bedanke mich, Coach“, wandte sich der Star-Stürmer, der mit Frankreich im Dezember 2022 Vize-Weltmeister wurde, in seiner Instagram-Story direkt an Tuchel.
Die Amtszeit des früheren Mainz- und BVB-Coaches hatte also nur zweieinhalb Jahre gedauert und das, obwohl er seit seinem Start im Juli 2018 eine eindrucksvolle Bilanz vorweisen konnte.
Eindrucksvolle Bilanz mit Schönheitsfehler
Mit sechs Titeln in zwei Jahren, einem Schnitt von 2,37 Punkten pro Spiel und 96 Siegen in 127 Pflichtspielen hatte der deutsche Trainer herausragende Statistiken, in seiner letzten Hinrunde jedoch bot er auch sportlich Angriffsfläche.
Platz 3 in der Ligue 1 und vier Niederlagen in den ersten 17 Spielen lagen unter den höchsten Ansprüchen, die bei PSG gelten. Ein verpatzter Saisonstart mit zwei Niederlagen und den Coronafällen von Neymar, Ángel Di María, Leandro Paredes, Marquinhos, Mauro Icardi und Keylor Navas - die den Sommerurlaub gemeinsam verbracht hatten - wurden für Tuchel zu einer weiteren Hypothek.
Der eigentliche Grund für Tuchels bröckelnde Unterstützung im Pariser Edelklub war aber ein Mann, den El-Khelaifi im Sommer 2019 an die Seine zurückholte: Der Sportliche Leiter Leonardo, der im Mai 2022 ebenfalls seinen Hut nehmen musste.
Leonardo und Tuchel - das war von Anfang an eine schwierige Beziehung zweier Männer, die sich nicht in ihr Kerngeschäft reinreden lassen wollten. (Wie Tuchel sich bei PSG zerrieb)
Offener Streit mit Leonardo
Zu einem produktiven Miteinander fanden die beiden nie, auch wenn ihre erste gemeinsame Saison noch vergleichsweise reibungslos funktionierte. Als sich der Klub im Sommer 2020 aber von Kapitän Thiago Silva, Stürmer-Routinier Edinson Cavani und Thomas Meunier trennte, kam es zum ersten öffentlich ausgetragenen Disput.
Tuchel hatte massive öffentliche Kritik an der Kaderzusammenstellung geäußert, sah die Abgänge nicht ausreichend kompensiert. „Wenn die Mannschaft so bleibt, können wir nicht mehr über die gleichen Ziele sprechen“, sagte er.
Leonardo weist Tuchel zurecht
Dafür gab es von seinem Chef eine verbale Zurechtweisung. „Das hat uns nicht gefallen“, sagte Leonardo, der seit seinen aktiven Zeiten eng mit dem Klub verbunden war. Er fügte angefressen an: „Falls jemand nicht glücklich ist, wenn er sich entscheidet zu bleiben, muss er sich entweder an die sportliche Politik oder die internen Regeln halten.“
Tuchels Ruf als eigenwilliger Charakter, der schon bei seinem von Mysterien begleiteten Aus bei Borussia Dortmund Thema war, hatte ihn wieder eingeholt.
Auch der Umgang des damals 47-Jährigen mit den großen Stars sorgte immer wieder für Debatten. Er gewährte ihnen Freiheiten, suchte das richtige Maß zwischen der nötigen Lockerheit, um sie bei Laune zu halten, und Strenge, um nicht seine Autorität zu verspielen.
Tuchel-Krach mit Stars?
Mehrere französische Medien berichteten etwa, dass der Trainer im März 2020 nach dem verlorenen Achtelfinal-Hinspiel gegen Dortmund zu einem Trainingslager nach Südspanien reisen wollte. Die Spieler hatten darauf laut L‘Equipe, die sich auf einen Pariser Mitarbeiter bezieht, keine Lust, hätten lieber Zeit mit ihren Familien verbracht. Für Aufsehen sorgte damals auch ein Instagram-Video, in dem der Bruder von Presnel Kimpembe Tuchel unflätig beschimpfte.
Einen Monat vorher hatte auch ein öffentlicher Krach mit Mbappé für Aufsehen gesorgt, der verärgert auf eine vorzeitige Auswechslung beim 5:0 gegen Montpellier reagiert hatte.
Der Marsch ins Champions-League-Finale lenkte von den Spannungen ab, die für Tuchel schon damals bedrohlich waren und seine sportlich an sich starke Bilanz mit insgesamt sechs Titeln überschatteten. Im zweiten Jahr verhinderte das 0:1 gegen den FC Bayern im Champions-League-Finale eine sportlich fast perfekte Saison.
PSG-Entlassung letztlich ein Glücksfall
Ironischerweise erwies sich die Entlassung für Tuchel letztlich als Glücksfall. Wenige Wochen nachdem er in Paris seine Hut nehmen musste, holte ihn der FC Chelsea als Nachfolger von Frank Lampard.
Die Blues standen zu diesem Zeitpunkt nach 19 Spieltagen auf Platz neun der Premier League, von den vergangenen acht Ligaspielen hatten sie nur zwei gewonnen.
Wenngleich der Abstand auf die Champions-League-Plätze nur fünf Zähler betrug, schien das Erreichen der Top vier nur schwer möglich. Doch Tuchel stabilisierte das Team der Londoner in Windeseile, aus Chelsea wurde in nur wenigen Wochen wieder ein Top-Team.
Tuchel gewinnt mit Chelsea Champions League
In seinen ersten 14 Pflichtspielen als Trainer blieben die Londoner ungeschlagen, dabei gelangen zehn Siege. Darunter war der Einzug ins Viertelfinale der Champions League durch zwei Erfolge gegen Atlético Madrid.
Abgesehen von wenigen Dämpfern wie dem 2:5 gegen West Brom ging es erfolgreich weiter. In der Premier League erreichte Tuchels Team tatsächlich noch den vierten Platz, in der Königsklasse schaltete man den FC Porto und Real Madrid aus, ehe der größte Höhepunkt wartete.
Denn nur vier Monate nach seinem Amtsantritt und fünf Monate nach seinen PSG-Aus reckte Thomas Tuchel den Champions-League-Pokal in die Höhe - nach einem Sieg gegen Pep Guardiola und Manchester City.
Tuchel-Aus beim FC Chelsea
Im September 2022 musste Tuchel allerdings nach der Übernahme durch die neuen Eigentümer um Todd Boehly nach einer 0:1-Niederlage in der Champions League gegen Dinamo Zagreb auch bei Chelsea gehen. (NEWS: Tuchel-Aus bei Chelsea: Das sind die brisanten Hintergründe)
Eine ebenfalls überraschende Maßnahme, die allerdings nicht ganz den Knalleffekt hatte wie der Paukenschlag in Paris an Heiligabend.
Wie lange Tuchel bei den Bayern bleiben wird, steht zwar noch in den Sternen. Dieses Weihnachtsfest, so viel ist sicher, wird aber ohne unliebsame Überraschungen seines Arbeitsgebers stattfinden.