„Er konnte nichts dafür. Er ist einfach krank gewesen. Das war ein Drama für uns.“
Deislers dramatischer Karriereweg
Es waren emotionale Worte, die Uli Hoeneß im „OMR“-Podcast mit Philipp Westermeyer über Sebastian Deisler verlor. Emotional, obwohl Deislers Rücktritt vom Profifußball nun fast 15 Jahre her ist - und damit praktisch auch sein Rückzug vom öffentlichen Leben.
Trotzdem kennen fast alle deutschen Fußball-Fans den Namen Deisler - selbst die jüngeren, was auch dadurch zu erklären ist, dass das Internet nichts vergisst. Best-of-Videos von Deisler haben auf YouTube teilweise über 200.000 Klicks - mit teilweise furchtbarer Bildqualität, oder auch mit chinesischem Kommentar. In der Hauptrolle in allen ein außergewöhnlich talentierter Fußballer. Und die Fans, die Deisler live spielen gesehen haben, werden diesen Namen ohnehin nicht vergessen. Zu groß waren die Hoffnungen in den jungen Kicker. Und zu tragisch war sein Trauma, das ihm in seiner aktiven Karriere immer mehr zusetzte. Bis es irgendwann nicht mehr ging.
Deisler sollte den deutschen Fußball retten
Als Deisler 15 Jahre alt war, da war vieles um ihn noch gewöhnlich. Nur eines nicht: sein herausragendes Talent, wegen dem er in diesem Alter seine Heimatstadt Lörrach verließ und in das Internat von Borussia Mönchengladbach ging. Wenig später galt er als der Nachfolger von Günter Netzer bei den Fohlen und wurde 1998 von Nationaltrainer Berti Vogts mit Michael Owen verglichen, der die Fußball-Welt gerade bei der Weltmeisterschaft in Frankreich verzaubert hatte.
Deutschland war bei dem Turnier durch ein blamables 0:3 gegen Kroatien im Viertelfinale ausgeschieden. Bei der EM 2000 folgte mit dem Aus in der Gruppenphase ein historischer Tiefpunkt. Dem deutschen Fußball ging es nicht sonderlich gut - im Gegensatz zu Deisler, der als Teenager noch keinen Druck verspürte.
Der Rucksack, der ihm aufgesetzt wurde, hatte es aber in sich. Denn der lebensfrohe und fußballbegeisterte Youngster galt nicht weniger als DER Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft im DFB-Team.
„Ich war 19, 20, als die Deutschen meinten, ich könnte ihren Fußball retten. Ich allein“, sagte Deisler im Laufe seiner Karriere. Bereits als Heilsbringer gefeiert, wechselte der Mittelfeldspieler im Sommer 1999 in die Hauptstadt zu Hertha BSC. Die große Aufmerksamkeit machte ihm da schon zu schaffen und wenn er auf Anonymität in Berlin gehofft hatte, dann wurde er enttäuscht. Die Ankunft von „Basti Fantasti“ löste bei der Hertha Begeisterungsstürme aus.
FC Bayern gibt ein Vermögen für Deisler aus
Auf dem Rasen war Deisler fortan ein Mann, der für Spektakel und große Fußballkunst stand. Sobald er diesen verließ wollte er ein schüchterner junger Mann sein, der nicht in der Öffentlichkeit steht, der nicht von den Covern der großen Zeitungen blickt. Ein junger Mann, der gegen den Ball tritt und „sein Spiel“ spielt, wie er den Fußball oft nannte.
Doch Deisler war für Fans, Medien und Verantwortliche des Fußball-Geschäfts immer mehr. Im Hintergrund hatten sich längst die Verantwortlichen des FC Bayern in Stellung gebracht und im Sommer 2002 folgte dann der Wechsel nach München - für „Handgeld und 15 Millionen Euro Ablöse“, wie Hoeneß im Podcast verriet. Das Handgeld soll 20 Millionen Mark (damals etwa 10 Millionen Euro) betragen haben. Fast schon ein Vermögen in diesen Zeiten.
Für Deisler war der Abschied aus Berlin schwierig, denn viele Fans betrachteten ihn als Verräter. Der Kicker hatte nicht über seine Wechselabsichten gesprochen und als diese enthüllt wurden, pfiffen 50.000 Menschen im Berliner Olympiastadion. „Ich hätte mich hinstellen und den Fans sagen können: Hey, ihr pfeift den Falschen aus“, sagte Deisler später. Hertha hatte ihn darum gebeten, nichts über den Wechsel preiszugeben.
Deisler lässt sich wegen Depressionen behandeln
In der bayerischen Landeshauptstadt wurde Deislers Traum von „seinem Spiel“ immer mehr zum Trauma. Verletzungen warfen ihn immer wieder zurück. Deisler selbst erklärte manche von diesen als Auszeiten, die sich sein Körper nehmen musste. Der Druck des Profi-Fußballs machte ihm zu schaffen und der ewige Rummel, der in schweren Zeiten nicht weniger wird, ließ die Lust am Fußball immer mehr in den Hintergrund rücken.
Schlimmer als die Verletzungen war seine Erkrankung, die immer mehr sein Handeln bestimmte. „Das ist ein Irrsinn. Wir sitzen alle auf einem Karussell. Und es dreht sich immer schneller“, versuchte er sich seine Gefühlswelt anfangs noch mit dem Profi-Geschäft zu erklären. Im Jahr 2003 wurde bekannt, dass Deisler unter Depressionen leidet. Er ging offen mit der Situation um - eine Flucht nach vorne, die mutig war. „Depression ist ein hässliches Wort“, sagte er. „Ich möchte das nicht mehr verdrängen. Ich bin krank.“ Der Mut wurde aber nicht belohnt.
In den knapp fünf Jahren bei den Bayern wurde „einer der besten Fußballer, die es in Deutschland je gegeben hat“, wie ihn Hoeneß damals nannte, zweimal stationär therapiert. Doch seine Welt des Fußballs, einer Frau und einem Kind, wurde trotzdem von Tag zu Tag grauer. Deisler kämpfte und schaffte es immer wieder zurück auf den Rasen. Dort zeigte er den Bayern-Fans immer wieder Kostproben seines Talents und absolvierte einige gute Spiele, die Hoffnung machten.
Selbst im Januar 2007 hofften Hoeneß und viele andere noch, dass Deisler die Depressionen hinter sich lassen könne und den deutschen Fußball vielleicht nicht mehr retten, aber doch ein ganzes Stück besser machen könne.
Hoeneß berichtet von Deislers letztem Trainingslager
Doch am 17. Januar 2007 war endgültig Schluss. Es ging nicht mehr. Der 27 Jahre alte Deisler musste raus aus dem Fußball und vor allem raus aus der Öffentlichkeit.
„Kurz bevor er aufgehört hat, waren wir im Trainingslager in Dubai. Und jeden Abend um 10, halb 11, hat er mich angerufen und gesagt: ‚Herr Hoeneß, ich muss mit Ihnen sprechen!‘ Dann bin ich zu ihm aufs Zimmer. Jeden Abend. Weil er nicht mehr konnte“, verriet Hoeneß nun fast 15 Jahre später. Ein menschliches Drama und auch ein sportliches für den FC Bayern, wie Hoeneß heute sagt: „Das war der größte Geldverlust für einen Spieler, den wir je hatten. Aber er kann ja nichts dafür. Das Ganze hat uns 50 Millionen gekostet.“
- „Meine Bayern-Woche“, der SPORT1 Podcast zum FC Bayern - immer freitags auf podcast.sport1.de, in der SPORT1 App, auf Spotify, Apple Podcasts, Podigee und überall, wo es Podcasts gibt
„Die Entscheidung steht, und darüber bin ich glücklich“, sagte Deisler bei der Pressekonferenz zu seinem Abschied. Es sollte sein letzter großer Auftritt in der Öffentlichkeit sein. 2009 erschien seine Biografie „Sebastian Deisler. Zurück ins Leben“. Doch wie sein Leben heute aussieht, weiß kaum jemand. Er lebt wohl zurückgezogen in Freiburg, doch nicht einmal das ist gesichert.
Womöglich ist es Deislers größter Erfolg nach seiner Karriere, dass er es geschafft hat, wieder Privatperson zu sein. Weg vom Fußball-Zirkus und der Öffentlichkeit.