„Sie haben Krebs!“ So lautet die Überschrift im 14. von 17 Kapiteln im Buch „Kämpfen. Siegen. Leben.“ von Marco Russ.
Russ‘ offener Umgang mit der Krankheit
Hodenkrebs lautete die Diagnose, die Krankheit wurde nur durch eine Dopingkontrolle entdeckt. Am 23. Mai 2016 folgte die Operation. Vom Krankenbett aus drückte er den Mitspielern die Daumen, Eintracht Frankfurt packte gegen den 1. FC Nürnberg den Sieg in der Relegation und verhinderte den Abstieg.
Und Russ? Kämpfte sich zurück. Ins Leben. Und auf den Fußballplatz.
Es ist nicht verwunderlich, dass ihm ein ganz besonderer Tag seiner Karriere in Erinnerung geblieben ist. „Der 28. Februar 2017. 285 Tage nach der Diagnose. 90. Minute im Viertelfinale des DFB-Pokals. Gegen Arminia Bielefeld führen wir mit 1:0. 39.000 Fans sind im Stadion und schreien meinen Namen. RUSS! RUSS! RUSS! Wie sehr habe ich diesen Augenblick herbeigesehnt. 285 Tage. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht“, heißt es in seinem Buch.
Russ: „Es gab beschissene Tage“
Es war das Ende einer langen Leidenszeit, der Weg in eine Normalität. „Ich wurde schon sehr oft auf meine Krankheit angesprochen. Ich habe keine Scham darüber zu sprechen. Es ist krass, wenn man das alles selbst noch einmal durchlebt. Die Krebserkrankung war aber kein belastendes Thema mehr. Ich kann ganz normal darüber sprechen“, erklärte Russ nun bei der Vorstellung seines Buches.
Eine Botschaft, die ihm dabei besonders am Herzen liegt: „Der wichtigste Tipp war, dass ich nicht zu sehr hadern und klar im Kopf bleiben soll. Es gab beschissene Tage, an denen ich gesagt habe: ‚Boah, kotzt mich das alles an.‘ Doch im Kopf entscheidet sich so viel. Man muss positiv bleiben und die Dinge mental annehmen. Dann schwappt das auch auf die Angehörigen über und sie bleiben auch positiver.“
Der emotionalste Moment seiner Karriere hat nichts mit seiner Genesung, nicht mit seinem Comeback zu tun, sondern mit seinem größten sportlichen Erfolg. „Es war der Pokalsieg 2018. Du spielst, um Titel zu holen“, sagte Russ auf Nachfrage von SPORT1. Sein Sohn schaue sich das Video noch immer an, auch Eintracht-Fans sprechen ihn drei Jahre danach auf den Coup an.
Dieser Coup sorgte für strahlende Augen
„Jeder hatte strahlende Augen, weil es außergewöhnlich war. Der FC Bayern war das Nonplusultra, Jupp Heynckes hatte das Team auf die Bahn“, erklärte Russ. Die Chancen auf den Sieg? „Unterirdisch. Aber das machte den Sieg noch größer. Wir waren ein super Haufen zu der Zeit. Die Bilder bleiben immer im Kopf.“
Russ nennt weitere Erlebnisse, die besonders haften geblieben sind: den Aufstieg 2005, den Abstieg 2011, den Erfolg in der Relegation.
Für die Frankfurter Anhänger wird Marco Russ immer eng mit der Eintracht in Verbindung gebracht werden. Er ist ein Eigengewächs, das bereits im Alter von zehn Jahren am Riederwald im Osten der Stadt ankam und auch heute noch mit inzwischen 36 Jahren als Analyst hinter den Kulissen mitarbeitet.
Mit Ausnahme von 18 Monaten, die er beim VfL Wolfsburg verbrachte, blieb Russ dem Traditionsverein treu.
Begonnen hatte alles mit dem Startelfdebüt als Profi am 29. Oktober 2004. Ein verregneter Tag im Sportpark von Unterhaching und eine 0:2-Niederlage nach Doppelpack von Francisco Copado. „Natürlich schmerzt es, wenn dein Gegenspieler zwei Tore erzielt“, gab Russ zu.
Lange Profikarriere auch dank Friedhelm Funkel
Wäre er daran zerbrochen, „dann wäre es eine kurze Karriere gewesen“. Stattdessen hakte Russ diesen Moment schnell ab: „Trainer Friedhelm Funkel wusste, worauf er sich einlässt, wenn er einen jungen Spieler gegen einen abggezockten Stürmer, der die zweite Liga in- und auswendig kennt, aufstellt. Deswegen hat mich Friedhelm danach auch schnell aufgebaut.“
Funkel ließ ihn nicht fallen und so kamen nach dem schmerzhaften Auftritt in Haching noch 304 Bundesliga-, 29 DFB-Pokal- und 15 Europapokaleinsätze auf das Konto von Russ.
25 Partien fielen dabei in seine kurze Zeit von Sommer 2011 bis Winter 2012 in Wolfsburg, in denen er Felix Magath erlebte: „Rein sportlich gesehen war vor allem das letzte halbe Jahr für den Kopf scheiße.“ Keine Kadernominierung, keine Einsatzzeiten - und die Rückkehr nach Frankfurt.
Schwierige Zeit unter Felix Magath
Dennoch zog Russ auch daraus seine Lehren: „Diese Zeit hat mich reifen lassen. Man ändert den Blickwinkel auf die Sache, die man schon von klein auf liebt.“
Wer den heute 36-Jährigen sieht, mit Vollbart, einem markanten Zopf und seinem schwarzen Eintracht-Pullover, spürt in jedem Wort den Stolz, mit dem er auf eine lange und durchaus erfolgreiche Karriere zurückblickt. Auch wenn sich Russ selbst als „Eisklotz“ bezeichnet, so lässt er Emotionen häufiger zu, als er es selbst möglicherweise wahrhaben mag.