Solvejg Wolfers-Pommerenke hätte vermutlich im Vorfeld ihrer Promotion selbst nicht damit gerechnet, an welchem Ort sie dafür sehr viel Zeit verbringen würde: In der Umkleide eines männlichen Fußballteams. Die Sprachwissenschaftlerin hatte dort allerdings nur ein Interesse:
Teamgeist und Humor – als Linguistin in der Kabine
Wie die Männer kommunizieren – und was das über die Dynamik der Gruppe sagt.
„Ich will das Bewusstsein dafür schärfen, was Sprache bewirken kann“, sagt die Linguistin, die an der University of Warwick studiert hat, über die Herangehensweise an ihr Fach. Bereits für den Master in Interkultureller Kommunikation wandte sie sich 2015 dem Fußball zu, damals war die Mannschaft, die sie für ihre ethnografische Studie begleitete, eine U19.
- „Flutlicht an. Im Gespräch mit der Wortpiratin“, der neue Podcast auf SPORT1 in dem Journalistin und Autorin Mara Pfeiffer Menschen in den Mittelpunkt stellt, die im schnelllebigen und lauten Fußballgeschäft oft zu wenig im Rampenlicht stehen.
Ihr Thema? Die Sprache. Ihr Ansatz? Explorativ. Mittels Audioaufnahmen und Interviews mit den Spielern taucht sie ein in deren Welt der Kommunikation und stößt dabei immer wieder auf ein Thema: Humor.
Wolfers-Pommerenke interessiert, welche Effekte der hat, auf welche Art und Weise er angewendet wird. Schnell wird klar, Humor dient der Positionierung, damit auch der Abgrenzung. Er kann liebevoll neckend sein (bonding), offen frotzelnd (nipping) – oder unmissverständlich scharf (biting). Und sehr oft trägt er rassistische Züge.
Wenn die Soziologin, die auf Englisch publiziert, im Deutschen über diese Form des Humors spricht, benutzt sie das Wort rassifiziert statt rassistisch, da der auf rassistischen Stereotypen aufgebaute Humor häufig auch selbstgerichtet ist.
Die jungen Spieler handeln Zusammenhalt und Hierarchien ebenso darüber aus wie die Einteilung in Subgruppen innerhalb des Teams.
Wolfers-Pommerenke wagt einen Blick in die Kabine
Für die Promotion führt Wolfers-Pommerenke erneut eine ethnografische Studie durch, die Spieler sind nun älter. Diesmal öffnet sich der Forscherin die Tür zum Heiligtum: der Kabine. Dort wendet sie ein Learning aus ihrer ersten Studie an, bei der ihr von Spielern gespiegelt wurde, ihre Anwesenheit sei schon immer sehr aufgefallen: Vom Verein lässt sie sich mit den Trainingsklamotten der Kicker ausstatten und schafft passende Sneaker an.
„Du bist ja auch tätowiert“, stellen die jungen Männer zudem fest und ordnen die Linguistin deutlich stärker ihrer Gruppe zu.
Diese Art der Forschung, erklärt sie, sei immer Balanceakt: jede*r Wissenschaftler*in verändert das Feld. Doch je weniger sie auffällt, umso authentischer verhalten sich die Spieler. Der nächste Schritt? Anerkennung. „Man muss sich den Platz in der Mannschaft erst erarbeiten.“ Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage nach Grenzen.
Fußball ist nach wie vor eine Welt, die stark an vermeintlich maskulinen Idealen ausgerichtet ist. Als einzige weiblich gelesene Person unter cis Männern ist es für Wolfers-Pommerenke schwierig, einerseits Sonderbehandlungen zu vermeiden und andererseits Sexismus.
Ersteres kann beispielsweise der bereitwillig freigeräumte Platz auf der Bank sein, der Sexismus äußert sich auf unterschiedlichste Weise. „Endlich mal wieder was für‘s Auge hier“ ist eine davon.
Als die Linguistin nach einem Sieg ihr Aufnahmegerät bei der gut gelaunten Mannschaft auf dem Tisch liegen lässt, um zur Toilette zu gehen, nehmen die Männer nicht nur mit verstellten Stimmen vermeintliche Liebesbekundungen auf, sondern auch heftiges Stöhnen. Und bei der Planung eines Grillfestes, zu dem sie ebenfalls kommen soll, versichert ein Spieler im Vorfeld vermeintlich scherzhaft, es stünde ein Eimer Kondome bereit.
Sexismus von zwei Seiten
Sie habe in der Forschung beschlossen, Sprüche zu kontern und ihre Rolle in der Gruppe dadurch mit mehr Respekt auszukleiden, erklärt sie und betont, sexistische Vorfälle seien nicht die Regel gewesen; was aber nicht davon entbinde, einen Umgang damit zu finden.
Zumal Wolfers-Pommerenke findet, Forscherinnen würden zu wenig darauf vorbereitet, was ihre Rolle im Feld einerseits verändern kann und wie sie andererseits damit umgehen sollen. Sie argumentiert, es müsse neben dem Forschungsinteresse Raum für Verletzlichkeit geben und die Frage, wie damit umzugehen ist, müsse Teil der Ausbildung werden.
Umso mehr, weil die Forschung in vielen Bereichen ebenfalls stark männlich dominiert ist. Als Frau, die im Fußball forscht, trifft der Sexismus sie insofern von zwei Seiten: Nicht nur bei den Studien, sondern auch in der Arbeit mit Kollegen – von denen ihr einer mal vorwarf, sie könne als Frau doch männliche Realität gar nicht erforschen.
Sprach‘s und schickte ihr im Nachhinein ein Buch über seine Forschung – im Frauenfußball. Gleiches Recht gilt offenbar nicht für alle.