Für Stefan Krämer war es keine einfache Zeit. Nachdem der Fußballlehrer bereits in der Saison 2018/2019 Trainer beim KFC Uerdingen war, heuerte er 2020 erneut beim damaligen Drittligisten an. Dies überraschte, denn Krämer hatte den Verein nach der ersten Amtszeit auf ausstehende Gehaltszahlungen verklagt.
Jetzt spricht Uerdingens Ex-Coach
Der ehemalige Präsident Mikhail Ponomarev erschwerte dem Trainer die Arbeit. Inzwischen sind beide weg. Krämer trainiert nun den belgischen Erstligisten KAS Eupen. Jetzt spricht der 54-Jährige im SPORT1-Interview erstmals ausführlich über die Zeit beim KFC und Ponomarev.
SPORT1: Herr Krämer, wie kam es, dass Sie Trainer in Eupen geworden sind?
Stefan Krämer: Der Kontakt kam zustande über Siegfried Marti (Chefscout des Vereins, d. Red.). Ihn kenne ich schon etwas länger. Er war früher mein Ausbilder an der Sporthochschule, als ich da studiert habe. Wir haben seit dieser Zeit immer Kontakt gehalten, uns über Spieler und den Fußball ausgetauscht und haben uns auch oft bei Spielbeobachtungen getroffen. Er hat mich gefragt, ob ich mir das in Eupen vorstellen könnte und da habe ich sofort ja gesagt. Ich finde den belgischen Fußball super spannend und mochte schon immer die Mentalität der belgischen Spieler.
SPORT1: Wie waren die ersten Wochen?
Krämer: Wenn du als Trainer zu einem neuen Verein im Ausland kommst, dann ist die große Herausforderung natürlich die Sprache. In Belgien gibt es viele Kulturen und die Trainingssprache ist englisch. Mein Englisch ist okay, aber wenn alles in dieser Sprache gemacht wird, also Spielersitzungen, Pressekonferenzen und Trainingseinheiten, dann musst du auf ein Level kommen, wo du gut mit den Spielern kommunizieren kannst. Ich hatte nicht viel Zeit mich vorzubereiten, aber dank eines Privatlehrers hat das ganz gut geklappt. Wenn du als Trainer in die Köpfe und in die Herzen der Spieler willst, musst du dich mit ihnen unterhakten können. Ich musste auch noch in einer Rekordzeit alle Spieler kennen lernen. Das 2:2 gegen Brügge am Wochenende war ein guter Start für uns.
SPORT1: War die Zeit beim KFC so krass, dass Sie gleich aus Deutschland fliehen mussten?
Krämer: (lacht ) Nein. Es war der Reiz der Liga, nicht das schlimme Jahr mit Uerdingen, Es war eine sehr herausfordernde Zeit, aber die hat nichts mit meinem Wechsel ins Ausland zu tun. Im Vergleich zu Deutschland, England, Italien oder Spanien ist es eine kleinere Liga, aber es ist die 1. Liga in Belgien und die meist gescoutete Liga in Europa. Mich hat einfach der Fußball gereizt - sehr physisch und mit unglaublich viel Tempo. Hier gibt es viele tolle Talente. Die Jungs, die in Belgien ein gutes Jahr spielen, wechseln dann fast alle zu großen Vereinen.
SPORT1: Wie sehr haben Sie gelitten in dem einen Jahr beim KFC?
Krämer: Es war unfassbar schwer. Gelitten habe ich aber nicht. Doch wir haben es geschafft, dass das Team und der Staff bis zum letzten Tag zusammengehalten haben. Man hat zusammengehalten wie Pech und Schwefel und wurde durch diese unwürdigen Umstände so zusammengeschweißt, dass sportlich der Klassenerhalt gelungen ist. Bei allem Scheiß, den wir da durchmachen mussten, war das eine tolle Erfahrung. Aber die Arbeit als Trainer hat wenig Spaß gemacht.
SPORT1: Warum?
Krämer: Es war eine einzige Katastrophe. Wir hatten keinen Trainingsplatz und die normalsten Dinge der Welt, die jeder Kreisliga-Verein hat, haben nicht funktioniert. Es gab keine Getränke für die Spieler, kein Massageöl für die Physios, wir mussten uns den Kram selber besorgen. Ganz banale Sachen für einen Klub. Teilweise mussten wir über mehrere Wochen auf der Tartanbahn trainieren. Es war wirklich zum Fremdschämen. Und deshalb ist es das größte Kompliment an die Spieler, dass sie sportlich in dieser anspruchsvollen 3. Liga nicht abgestiegen sind. Das war eine Sensation.
SPORT1: War es als Trainer die schlimmste Zeit in Ihrer Karriere.
Krämer: Ja, was die Umstände betrifft. Nicht, was die Zusammenarbeit mit der Mannschaft angeht. Die Umstände hatten mit Profifußball rein gar nichts zu tun. Jedes Kreisligateam hatte bessere Bedingungen als wir.
SPORT1: Sie sagten bei SPORT1 mal, dass diese Umstände so weit weg sind wie die Erde vom Mars. Wie konnten Sie so lange durchhalten?
Krämer: Das hat mich selbst manchmal gewundert, hatte aber nur mit meiner Verbindung zu den Spielern zu tun. Im Winter hatte ich das Glück, dass ich aus verschiedenen Angeboten hätte wählen können. Aber ich konnte die Spieler in diesem Umfeld nicht im Stich lassen. Das war für mich undenkbar.
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SPORT1: Chapeau. Investor Mikhail Ponomarev hat den Verein gegen die Wand gefahren, sagten viele Kritiker. Wie krass war dieser Mann?
Krämer: Es ist mir immer noch unbegreiflich, was Herr Ponomarev gemacht hat. Er hat irgendwann das Interesse am Klub verloren. Dann hat er den Klub eiskalt gegen die Wand gefahren. Oder vor die Wand fahren lassen. Das war schlimm genug.
SPORT1: Viele nennen Ponomarev einen Despoten. Sie haben mit ihm zusammengearbeitet. Ist der Begriff falsch?
Krämer: Das sollen andere beurteilen. Ich will mir gar keine Gedanken darüber machen, wie ich ihn bezeichnen würde. Ich habe zwei Mal mit ihm zusammengearbeitet. Ich bin froh, dass es vorbei ist und will über diese Zeit nicht mehr groß nachdenken. Er ist bei Wacker Innsbruck eingestiegen und ich hoffe einfach, dass die Zusammenarbeit besser läuft als zwischen Ponomarev und dem KFC.
SPORT1: Wie war Ihr Verhältnis?
Krämer: Ach, das war ganz okay, wenn wir uns über Fußball unterhalte haben. Gerade am Anfang, als wir die gemeinsame Idee hatten mit dem Klub erfolgreich zu sein und etwas zu entwickeln. Das waren auch oft interessante und spannende Gespräche. Aber die Qualität der Gespräche war sehr von den Ergebnissen abhängig.
SPORT1: Es gab rund 31 Auseinandersetzungen vor Gericht wegen ausbleibender Gehaltszahlungen. Auch Sie haben geklagt. Warum haben Sie 2020 überhaupt noch mal als Trainer beim KFC begonnen
Krämer: Als ich den Anruf bekam, ob ich zum zweiten mal den KFC übernehmen könne, da dachte ich an die versteckte Kamera. Weil wir uns wirklich nicht im Guten getrennt hatten. Herr Ponomarev hat dann aber in diesem ersten Gespräch, auf das ich mich eingelassen habe, den Eindruck gemacht, als hätte er aus den Fehlern gelernt und würde gewisse Dinge anders machen wollen. Das war für mich glaubhaft und wurde von ihm mit Fakten gefüttert.
SPORT1: Was konkret?
Krämer: Die Kaderzusammenstellung war bei meiner zweiten Amtszeit eine ganz andere. Wir haben auf viel jüngere, talentiertere und deutlich preiswertere Spieler gesetzt als noch beim ersten mal, als viele ehemalige Bundesligaspieler für viel Geld geholt wurden. Mit diesen Spielern wollten wir in zwei drei Jahren etwas aufbauen. Es war eine ganz andere Herangehensweise als beim 1. Mal. Das hat so für mich mehr Sinn gemacht, weil eine andere Philosophie da war. Damit konnte ich mich absolut identifizieren. Also sagte ich zu Ponomarev ‘Versuchen wir es noch mal zusammen’. Dass es dann noch viel schlimmer wurde als beim ersten Mal, war nicht absehbar.
SPORT1: Ponomarev hat einen Trümmerhaufen hinterlassen. Was werfen Sie ihm vor?
Krämer: Ich werfe ihm vor, dass er Zusagen gegenüber dem Verein einfach nicht eingehalten hat. Vor allem finanzielle Zusagen. Ab Dezember bekamen wir keine Gehälter mehr und die Spieler standen vor großen Problemen. Untereinander wurde dann gesammelt, dass einige der Jungs ihre Miete bezahlen konnten. Das waren unzumutbare Zustände. ich bin ein Freund davon, dass Zusagen eingehakten werden müssen.
SPORT1: Es soll auch Momente gegeben haben,. als Ponomarev nach einer Niederlage in der Kabine randaliert haben soll. Können Sie das bestätigen?
Krämer: Da war ich nicht dabei. Nach meiner ersten Zeit gab es ja dieses ominöse Youtube-Video, aber da kann ich nichts Näheres erzählen, weil ich es nicht mitbekommen habe. Zu meiner Zeit war Herr Ponomarev nach Spielen nie in der Kabine.
SPORT1: Wurden Spieler von ihm eingeschüchtert?
Krämer: Angst musste keiner vor Ponomarev haben. Er hat sich natürlich über Siege gefreut und war dementsprechend sauer, wenn wir verloren haben. Dann forderte er Erklärungen. Das war als Präsident auch sein gutes Recht. Aber er hat keinem Spieler gedroht.
SPORT1: Wie kam es, dass neben ihrer Klage 30 weitere Rechtsstreitigkeiten gegen Ponomarev ausgetragen wurden?
Krämer: Eine ganze Menge. Das war schon Wahnsinn. Und das spricht nicht unbedingt für die damalige Klubführung. Da ging es bei vielen Spielern oder auch ehemaligen Trainern um ausstehende Gehälter oder nicht gezahlte Rechnungen. Das war leider ein Dauerthema beim KFC. Es war ein Jammer, dass zu viele Zusagen nicht eingehalten wurden. Irgendwann hat sich das summiert mit dem Ergebnis, dass der Klub jetzt solche Probleme hat und absteigen musste. Ich wünsche der aktuellen Führung, der Stadt und den Fans, dass man es hinkriegt irgendwie eine Mannschaft für die Regionalliga auf die Beine stellen zu können. Doch das wird nicht einfach, weil das Finanzamt auch beim E.v. noch Forderungen eintreiben muss. Ich hoffe, dass der Klub die Kurve kriegt.
SPORT1: Hat Ihnen als Trainer das Chaos-Jahr geschadet oder sagen Sie sich ‘Ich habe das überstanden, das wird da draußen hoffentlich positiv wahrgenommen’.
Krämer: Das ist mir egal. Die Sachen, die ich angehe, mache ich mit ganzem Herzen, ohne da strategisch an die Sache ran zu gehen. Die Zusammenarbeit konnte ich genießen, so schwer es auch war. Unter normalen Bedingungen hätten wir auf Strecke an die Tür zur 2. Liga anklopfen können. Es ist leider anders gekommen. Ich hätte dem zweiten Versuch keine Chance geben sollen, dann hätte ich mir viel Ärger erspart. Ich bin jetzt in der 1. Liga in Belgien und absolut happy. Den Kontakt zu meinen Spielern beim KFC werde ich weiter aufrecht erhalten.
SPORT1: Friedhelm Funkel hatte zuletzt mal Gesprächsbereitschaft signalisiert. Wäre er der Richtige für einen Neuanfang?
Krämer: Für den Klub wäre es super, wenn ein Mann wie Friedhelm dem Verein zur Seite stehen würde. Egal in welcher Position. Eine beratende Funktion könne er sich vorstellen, habe ich gelesen. Er hat so viel Erfahrung. Friedhelm wäre wie ein Sechser im Lotto.
SPORT1: Im Fußball kann vieles passieren und man sieht sich oft zweimal. Würden Sie mit Ponomarev noch mal zusammen arbeiten?
Krämer: Nein!