Roberto Mancini hat Italien wach geküsst.
Mancini: „Ich bin kein Partytyp“
Mit dem Gewinn der Europameisterschaft krönte der 56-Jährige, der 2001 als Trainer beim AC Florenz begann, seine bisherige Arbeit.
Seit Mai 2018 betreut er die italienische Nationalmannschaft. Unter ihm ging es Stück für Stück bergauf. Auch was die Sympathie-Werte der Squadra Azzurra in Europa betrifft. Nach dem EM-Triumph spricht Mancini jetzt bei SPORT1.
SPORT1: Herr Mancini, wie fühlt es sich an, Europameister zu sein?
Roberto Mancini: Ich fühle mich sehr sehr gut als Europameister. Es ist wirklich ein tolles Gefühl und ich bin absolut glücklich. Ich freue mich vor allem für alle Italiener zuhause und in der ganzen Welt.
Mancini: Empfang in Rom „ein außergewöhnlicher Moment“
SPORT1: Wie haben Sie gefeiert?
Mancini: Natürlich haben wir gefeiert, es ging aber alles rasend schnell. Wie ein Film ist das an mir vorbeigezogen. Wir hatten nichts vorbereitet. Aber in den Straßen von Rom wurden wir von so vielen Menschen empfangen, es war einfach nur schön. Das war ein außergewöhnlicher Moment, der immer noch anhält. Und der gehörte meinen Jungs voll und ganz, sie haben ihn zu Recht erleben dürfen. Jetzt sind alle als Europameister in ihrem wohlverdienten Urlaub.
SPORT1: Sind Sie ein Partytier? Sie wirken immer sehr ruhig am Spielfeldrand.
Mancini: Nein, ich bin kein Partytyp, war ich nie. Aber es war richtig ordentlich zu feiern. Vor allem für das italienische Volk. Ich denke die Menschen werden den ganzen Sommer über noch weiter feiern. Und das ist auch richtig so.
SPORT1: Was bedeutet der EM-Titel für Ihr Land?
Mancini: So unendlich viel. Wir sind alle so glücklich, weil wir etwas Überragendes geschaffen haben. Italien bleibt in den Geschichtsbüchern. Ich ziehe den Hut vor meinen Spielern.
„Der Kreis hat sich geschlossen“
SPORT1: 1992, als Stürmer für Sampdoria Genua, verloren Sie und Gianluca Vialli im Finale im Wembley-Stadion mit 0:1 gegen Barcelona. Ist der Triumph bei der Europameisterschaft nun eine Art Wiedergutmachung?
Mancini: An dieses Spiel erinnere ich mich noch heute sehr gut. Wir hätten es nicht verlieren dürfen, das war nicht verdient. Aber nun hat sich der Kreis geschlossen. 30 Jahre später. Wahnsinn! Ich freue mich auch deshalb, weil dieser Pokal auch ein wenig den Sampdoria-Fans gehört. Sie mussten damals leider die bittere Niederlage hinnehmen. Jetzt werden die Wunden geheilt.
SPORT1: Was war das Geheimnis ihres Erfolgs bei der Europameisterschaft?
Mancini: So ganz kann ich das eigentlich gar nicht erklären. Vor drei Jahren sind wir angetreten und haben das bis heute mit sehr guten Jungs durchgezogen. Es hat sich ein super Teamgeist entwickelt und diesen Jungs lag viel daran sich bei der EM zu zeigen. Sie haben alles gegeben und es lief alles top. Deshalb haben wir es am Ende auch geschafft.
„Italien war 2018 am Boden“
SPORT1: Cristian Zaccardo lobte Sie bei SPORT1 und nannte Ihre Arbeit ein Meisterwerk. Vor allem aber sind alle verrückt nach dem Teamgeist. Wie haben Sie dieses Ergebnis erreicht?
Mancini: Nachdem wir uns nicht für die WM 2018 qualifizieren konnten, war Italien am Boden. Aber man hat sofort gespürt, dass alle Wiedergutmachung wollten und bereit waren, sich für das Land den Arsch aufzureißen. Wir haben dann einen guten Mix von jungen und alten Spielern hinbekommen und es entwickelte sich eine echte Einheit. Wir haben auch Spielern eine Chance gegeben, die vor drei Jahren im Ausland nicht so bekannt waren. Sie haben sich aber für die Squadra Azzurra regelrecht zerrissen und haben sich nun bei der EM einen Namen gemacht.
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SPORT1: Das neue Italien ist plötzlich in ganz Europa beliebt. Im Jahr 2006, bei der Weltmeisterschaft in Deutschland, wäre das undenkbar gewesen. Was sagen Sie dazu?
Mancini: Italien hatte schon immer große Spieler. Es gibt auch mal Jahre, in denen man nicht so erfolgreich ist. Doch das Team 2006 hat es auch bewiesen, da waren Weltklassespieler dabei, die auch beliebt waren. Den Titel von 2006 kann man durchaus mit dem jetzigen vergleichen, weil man großes leisten muss, um solche Titel zu holen. Das haben die Jungs geschafft.
SPORT1: Giorgio Chiellini ist der Spieler, der mit den meisten Sympathien aus dieser Europameisterschaft hervorgegangen ist.
Mancini: Alle, die ganze Mannschaft kam mit viel Sympathie aus dieser EM heim. Man hat ein neues Gesicht von Italien gesehen. Wir haben guten Fußball gespielt und gezeigt, dass wir es in Italien drauf haben. Wir haben verdient den Titel gewonnen, wenn auch nicht alles einfach war. Giorgio und Leo (Leonardo Bonucci, Anm. d. Red.) haben natürlich einen ganz großen Anteil an unserem wunderbaren Erfolg. Sie haben es so sehr verdient, weil sie 20 Jahre italienische Fußballgeschichte repräsentieren.
Grifo-Aus: „Keine schöne Entscheidung“
SPORT1: Aus deutscher Sicht ist die Frage nach Vincenzo Grifo naheliegend, da er hier in Deutschland spielt. Es war ein harter Schlag für ihn. Er ist aber nicht böse auf Sie, sagte er im SPORT1-Interview.
Mancini: Vincenzo war immer ein Teil von uns. Er hat eine besondere Rolle auf dem Platz, aber leider musste ich mich entscheiden. Mir tut es für ihn und alle anderen Spieler leid, denen ich absagen musste. Wir hatten 35 Spieler und zehn mussten daheimbleiben. Das war keine schöne Entscheidung. Vincenzo ist ein guter Junge und wenn ich ihn wieder anrufen werde, dann wird er kommen und gerne für sein Land spielen. Da gibt es keine Zweifel.
SPORT1: Sie haben gesagt, dass dieser europäische Titel für alle Italiener ist. Sie haben sich unsterblich gemacht, richtig?
Mancini: Das ist schwer zu sagen. Es ist ein großes Wort. Dieser Titel ist einfach für alle Italiener in unserem Land. Corona war schrecklich für die jungen Burschen, die die ganze Zeit zuhause sitzen mussten und nicht in die Schule gehen durften oder zum Kicken mit den Freunden. Für alle meine Landsleute ist das jetzt eine riesige Freude und Erleichterung. Aber es ist auch ein Geschenk an alle Italiener im Ausland. Es herrscht gerade eine grenzenlose Freude.
SPORT1: Nach dem Finale hatten Sie Tränen in den Augen, aber ein Fernsehjournalist zeigte mehr Freude als Sie. Wie haben Sie sich in diesem Moment wirklich gefühlt?
Mancini: Ich war schon sehr emotional in dem Moment. Und natürlich sind mir die Tränen gekommen. Es waren 50 anstrengende Tage voller Emotionen. Deshalb musste ich weinen, weil die ganze Anspannung von mir abfiel. Durch solch einen großen Sieg wird man noch emotionaler. So war es.
SPORT1: Nach dem WM-Triumph 1990 spazierte Franz Beckenbauer allein auf dem Rasen des Olympiastadions in Rom. Hatten Sie auch den Wunsch, mehr allein zu sein?
Mancini: Ich erinnere mich an diese Szene, aber jeder hat seine eigene Art, so etwas aufzunehmen. Ich war sofort nach dem Schlusspfiff bei meinen Spielern. Ich hätte in diesem historischen Augenblick nicht alleine sein wollen, ich war glücklich, mit ihnen zu feiern. Aber wie gesagt: Jeder Trainer reagiert auf seine eigene Art. Besonders nach großen Siegen.
Mancini: Deutschland ist immer noch „eine große Fußball-Nation“
SPORT1: Dino Zoff sagte, dass die Azzurri unter Ihnen aufgestiegen sind. Was sagen Sie zu solch großen Worten?
Mancini: Seine Worte machen mich einfach nur glücklich und stolz. Er ist ein Idol für alle Italiener. Er war einer der größten Torhüter und ist ein super Typ ein großartiger Mensch. Ich danke Dino für dieses Lob.
SPORT1: Was kann die deutsche Nationalmannschaft am Beispiel Italiens lernen?
Mancini: Ich weiß nicht, was Deutschland machen kann. Ich halte sie immer noch für eine große Fußball-Nation. Sie hatten immer gute Mannschaften und großartige Spieler. Auch die Trainer der Deutschen waren immer ganz hervorragend. Aber jeder muss seinen eigenen Weg einschlagen. Es ging uns vor drei Jahren nicht anders. Klar, Joachim Löw ist mit seiner Truppe im Achtelfinale gegen England rausgeflogen, aber sie hatten auch nicht die einfachste Gruppe. Aber ganz ehrlich? Meiner Meinung nach hatten es die Deutschen nicht verdient rauszufliegen. Für mich haben sie gegen die Engländer ein super Spiel gemacht.