Dieser Armine ist Spitze!
Ortega: Was mir Neuer gesagt hat
Stefan Ortega ist die unangefochtene Nummer eins im Tor von Aufsteiger Bielefeld. Was kaum jemand weiß: Der 28-Jährige ist mit 88 Prozent parierten Torschüssen der beste Torhüter der Liga.
In puncto vereitelter Großchancen ist er ebenfalls in der Spitzengruppe. Mit dem Aufsteiger (Platz 16) trifft Ortega am Samstag auf Borussia Dortmund (Platz 6). (Die Tabelle der Bundesliga)
Im SPORT1-Interview erklärt er ausführlich, wie er sich auf Top-Torjäger Erling Haaland vorbereitet, aus welchen Fehlern er gelernt hat, warum ihn besondere Sätze von Manuel Neuer stolz gemacht haben und was seine Zukunftspläne sind. (Spielplan und Ergebnisse der Bundesliga)
Ortega: Mit diesem Eier-Spruch macht uns Neuhaus heiß
SPORT1: Herr Ortega, Arminia Bielefeld schafft den Klassenerhalt, weil…
Stefan Ortega: … die Chance noch nie so groß war wie in diesem Jahr, denn man wird viel weniger Punkte brauchen als zuvor. Die 40-Punkte-Marke gibt es eh nicht mehr, ging auch schon runter auf 35. Diese Saison werden noch weniger reichen, um die Klasse zu halten. Inklusive Werder Bremen mit 23 Punkten auf Platz 12 hängen alle mit drin. Das ist für uns als krasser Außenseiter eine große Chance.
SPORT1: Samstag bekommen Sie es mit Erling Haaland zu tun. Wie bereiten Sie sich auf ihn vor? Auf was schauen Sie?
Ortega: Welchen Haken schlägt er, was ist sein starker Fuß, hat er überhaupt einen. Was passiert, wenn er Richtung Grundlinie geht: Flankt er oder kommt ein Torschuss zustande? Wir schauen uns auch an, wie der Gegner Standards tritt, wer antreten könnte. Ist ein Muster zu erkennen, auch bei Elfmetern? Bei Haaland fällt auf, was er für ein irres Tempo auf sehr kurzer Distanz hat. Haaland ist nicht berechenbar. Er trifft flach, hoch, am Kopf vorbei. Was er macht, ist cool.
SPORT1: Was ist drin gegen den BVB?
Ortega: Vor allem müssen wir anders auftreten als im Hinspiel. Da waren wir viel zu defensiv und haben 0:2 verloren. In der Hinrunde haben wir ohnehin oft viel zu defensiv gespielt, trotzdem verloren und dachten uns hinterher: Mist, wären wir mal mutiger gewesen. Wir haben es neulich beim 3:3 in München gesehen: Sind wir mutig und gierig, sind wir gegen Mannschaften einer solchen Kategorie nicht chancenlos. Unser Trainer hat es uns vor dem Spiel gegen die Bayern schön gesagt: "Wir brauchen richtig Klötze in der Buchse." Die haben wir gezeigt. Wir hätten gewinnen können und haben am Ende mit einem guten Auftritt einen wichtigen Punkt geholt.
Ortega verrät Trainingsgeheimnisse
SPORT1: Was hat sich für Sie durch den Aufstieg verändert?
Ortega: Ich stehe ganz anders im Fokus. Meine letzte Zweitliga-Saison war schon gut und jetzt mache ich nicht viel anders. Ich merke aber, dass der Blick auf die Bundesliga ein ganz anderer ist. Eine kleinere Aktion hat dort mehr Bedeutung als eine große Parade in der zweiten Liga.
SPORT1: Sie sind mit 88 Prozent parierten Torschüssen Ligaspitze. Sind Sie in der Form Ihres Lebens?
Ortega: Da müssen wir ein paar Jahre zurückgehen. Nach meiner schwierigen Zeit beim TSV 1860 München ist meine Entwicklung stetig nach oben gegangen. Nach meiner Rückkehr zu Bielefeld 2017 hatte ich noch Ausreißer nach oben und unten. Jetzt nicht mehr. Ich spiele relativ konstant auf gutem Niveau. Das hängt auch mit meinem Torwarttrainer zusammen, den ich schon länger kenne. Er ist ein großer Mentor für mich. Denn wir haben die gleichen Macken und sind sehr akribisch und ehrgeizig. Und ich verfolge klare Ziele, genieße im Verein ein großes Vertrauen. Deswegen läuft es so gut für mich.
SPORT1: Was sind Ihre Trainingsgeheimnisse?
Ortega: Wir haben alles parat. Eine Wand am Trainingsgelände und wir machen viele Reaktionsübungen. Ich arbeite mit einer Brille, bei der man nicht viel sieht. Das Spektrum unseres Trainings ist sehr groß. Ich habe in den vergangenen Jahren auch abgenommen und bin definierter geworden.
SPORT1: Hat Uwe Neuhaus einen Anteil an Ihrer Stärke?
Ortega: Ja, denn Vertrauen macht viel aus. Er hatte bereits in der zweiten Liga eine besondere Spielidee. Er steht für einen fußballerischen Ansatz, der auf Dauer Erfolg bringt und gut zu mir passt. Er will sicheren Ballbesitz und den Gegner dadurch locken. Sie sollen das Gefühl haben, dass sie uns packen können, sodass wir dann ihre Pressinglinien überspielen können. Dadurch komme ich mehr in den Fokus. Denn von mir aus entstehen deutlich mehr Aktionen. Es geht für mich nicht nur darum, Bälle zu halten und sie nach vorne zu schlagen.
Ortega: Was mir Neuer im Vieraugen-Gespräch gesagt hat
SPORT1: Im Hinspiel gegen die Bayern haben Sie sich länger mit Manuel Neuer unterhalten.
Ortega: Es war ein kurzer Plausch. Der Tenor war: Schön, dass du in der Bundesliga bist. Du machst das ordentlich. Mach weiter so. Das Gespräch hat mir gezeigt, dass ich nicht nur mitschwimme, sondern Akzente setze und man anfängt, über mich zu sprechen. Das macht mich stolz. Es ist eines der Etappen-Ziele, die ich mir gesteckt habe. Ich bin jetzt in einem sehr guten Alter und habe schon viele Erfahrungen sammeln können. Zu Beginn meiner Karriere auch viele negative. Gerade in meiner Zeit beim TSV 1860 München habe ich viel gelernt. Ich musste viel Kritik einstecken und habe auch einige Sachen verkehrt gemacht. Nachdem ich das verändert habe, ist mein Werdegang ordentlich. Jetzt ernte ich, was ich mir die letzten Jahre erarbeitet habe.
SPORT1: Was haben Sie verkehrt gemacht?
Ortega: Ich hätte früher lernen können, mehr bei mir zu sein, eine innere Mitte zu finden. Ich hätte auch früher schon professioneller Leben und auf meinen Körper hören können. Was tut mir gut und was nicht? Auch im privaten Umfeld habe ich viele Entscheidungen getroffen, die sich hinterher als Brustlöser erwiesen haben. Familie, Freunde sind auch sehr wichtig. Der Berater spielt auch eine sehr wichtige Rolle. Er darf nicht gierig sein, sondern sollte das Ziel haben, den Menschen hinter dem Spieler weiterzubringen. Aber es ist derzeit nicht so, dass jeder Spieler gut betreut wird. Bei meinem Berater Jörg Neblung weiß ich hingegen, dass er auch für mich da sein wird, wenn es mit der Karriere vorbei ist. Er würde mir dabei helfen, meine Schritte ins normale Leben zu gehen. Ich verdiene lieber etwas weniger, wenn ich mir dafür sicher sein kann, dass mich mein Berater nicht fallenlässt.
SPORT1: Haben Sie Vorbilder?
Ortega: Richtige Vorbilder waren früher Oliver Kahn, aufgrund seiner Mentalität und seinem Ehrgeiz, sowie Iker Casillas, weil er kein Klischee-Torwart mit 1,95-Meter war und trotzdem eine gute Karriere hingelegt hat. Manuel Neuer finde ich bewundernswert, weil er in seiner langen Verletzungspause von 80 Prozent der Menschen abgeschrieben wurde. Er kam aber zurück und ist für den Bayern-Erfolg der Vorsaison maßgeblich verantwortlich. Denn in den entscheidenden Momenten war er immer da. Seine Mentalität ist eine Riesen-Stärke.
Ortega verrät kurioses Detail über seinen Vater
SPORT1: Ihr Vater Pepe war früher selbst Torwart. Ist er der Grund für Ihre Karriere?
Ortega: Ja, absolut. Wenn er früher bei unserem Heimatverein Calden/Meimbressen im Tor stand, obwohl er selbst mit zugedrücktem Auge nur 1,65 Meter groß ist, saß ich als kleiner Junge dahinter (lacht). Mein Vater ist mein Held, also habe ich meinem Helden nachgeeifert. Durch ihn habe ich den Lattenschuss für das Torwartdasein bekommen.
SPORT1: Wie viel Dorfverein steckt in der Arminia?
Ortega: Vor Corona haben wir uns nach Spielen in der Bar getroffen und uns gesagt: "Schauen wir mal, was der Abend so bringt." So ist unsere Truppe, unser Mannschaftsklima. Wir sind vor dem Aufstiegsjahr auch mit 17 Mann nach Mallorca geflogen. Das gehört dazu. Man darf auch nicht zu verbissen sein. Wenn man wie zuletzt in München einen guten Punkt holt, gibt es bei uns in der Kabine auch mal ein oder zwei Bierchen. So, wie sich das Martin Hinteregger bei Eintracht Frankfurt wünscht.
SPORT1: Die Arminia wünscht sich sicherlich, dass Sie dem Verein erhalten bleiben. Ihr Vertrag läuft 2022 aus. Verraten Sie uns, was Sie tun?
Ortega: Das hängt davon ab, ob wir die Klasse halten und wie sich der Verein im kommenden Jahr aufstellt. Nach dieser Saison werde ich eine Entscheidung treffen. Ich habe ehrgeizige Ziele.
SPORT1: Die da wären?
Ortega: Ich möchte mich in der Bundesliga etablieren und nach Möglichkeit, irgendwann nochmal international spielen. Das wird schwer, ist aber nicht unmöglich.
"Wenn Real Madrid anruft, würde ich nicht nein sagen"
SPORT1: Heißt im Umkehrschluss: Bleibt die Arminia Bundesligist, stehen die Chancen gut, dass Sie bleiben?
Ortega: Absolut.
SPORT1: Vergangenen Sommer hat es bereits Anfragen für Sie gegeben. Auf was haben Sie verzichtet?
Ortega: Auf attraktive Klubs aus dem Ausland. Da waren gute Sachen dabei, worüber ich auch nachgedacht habe. Unter anderem Ajax Amsterdam und PSV Eindhoven. Bayer 04 Leverkusen wollte mich auch holen. Spielpraxis ist für mich aber das Wichtigste. Es bringt mir nichts, auf der Bank zu sitzen. Nur, um den ein oder anderen Taler mehr zu verdienen. Ich wollte mit Arminia Bielefeld unbedingt in der Bundesliga spielen. Das hier ist meine zweite Heimat.
SPORT1: Haben Sie einen Wunschverein, für den Sie gerne mal spielen möchten?
Ortega: Wenn Real Madrid anruft, würde ich nicht nein sagen. Ich habe spanische Wurzeln, meine Freundin hat zwei Jahre in Barcelona gewohnt. Von daher wäre es ein Traum, nochmal in La Liga spielen zu können. Diese Liga habe ich, wie die Bundesliga, schon als kleines Kind verfolgt.
Ortega über Nübel-Wechsel: "Ich wäre auf Schalke geblieben"
SPORT1: Würden Sie sich beim FC Bayern als Nummer zwei auf die Bank setzen?
Ortega: Für mich wird die Spielpraxis am wichtigsten bleiben, denn ich habe viel zu viel Lust am Spielen. Aber klar ist auch, dass der FC Bayern eine andere Kragenweite ist. Dort erlebt man Sachen, die man im Normalfall woanders nicht erlebt.
SPORT1: Können Sie Alexander Nübels Wechsel nachvollziehen?
Ortega: Ich kenne die Absprachen und Gesprächsinhalte nicht. Also kann kaum jemand bewerten, was für Alexander den entscheidenden Ausschlag gegeben hat. Ich wäre an seiner Stelle aber auf Schalke geblieben. Er war Kapitän und hätte dort die Möglichkeit gehabt, zu spielen. Trotzdem kann man ihm diese Entscheidung nicht verübeln, denn der FC Bayern ist der größte Verein in Deutschland.