Ottmar Hitzfeld hat Titel gewonnen, reichlich an der Zahl. Ihm sind aber auch Titel entglitten. In allerletzter Sekunde.
"Meisterschaft 2001 war Doping"
Als Trainer hat er alles erlebt zwischen Tränen und Triumphen. Für seine Passion ist er bis an die Grenzen seiner Gesundheit gegangen - und sogar darüber hinaus.
Am 12. Januar wurde Ottmar Hitzfeld 70 Jahre alt - und sagt voller Zufriedenheit: "Mir ging es noch nie so gut wie heute."
Ein Gespräch über Erfolg und Dramen, das Verkennen körperlicher Alarmsignale und den Verzicht auf sportliche Abenteuer.
SPORT1: Herr Hitzfeld, es gab Phasen in Ihrer Karriere, von denen Sie heute sagen: 'Ich habe Raubbau an meinem Körper begangen'. Sind Sie froh, sich irgendwann zurückgezogen zu haben?
Ottmar Hitzfeld: Das war für mich eine wichtige Erfahrung. Wenn man im Bundesliga-Stress ist, achtet man auf alles: auf die Mannschaft, den Verein, aber zu wenig auf die Zeichen der eigenen Gesundheit. Man hat nicht mehr die Kraft, selbst die Reißleine zu ziehen. Das war bei mir 2004 der Fall. Nach sechs Jahren Bayern hatte ich ein Burnout.
SPORT1: Und trotzdem sind Sie 2008 noch mal zurückgekehrt.
Hitzfeld: Ich habe von Anfang an gesagt: Nach der Saison ist Schluss. Ich habe nach dem Double aufgehört, weil ich Angst hatte. Wieder eine Überlastung zu haben. Ich habe aus den Fehlern gelernt.
SPORT1: Nach Ihrem Job als Schweizer Nationaltrainer hieß es, Sie hätten ein Angebot aus China vorliegen. Bereuen Sie, sich damals nicht auf ein Abenteuer eingelassen zu haben?
Hitzfeld: Nein, überhaupt nicht. Ich habe gesagt, 2014 ist Schluss. Und dann kann mich auch niemand mehr überreden. Ich habe ja auch eine Familie, für die es auch immer Stress war. Ich kann sagen: Mir ging es noch nie so gut wie heute.
SPORT1: Können Sie Fußball als Zuschauer überhaupt genießen?
Hitzfeld: Mittlerweile schon. In der ersten Zeit habe ich immer noch als Trainer gedacht und die Anspannung gespürt nachmittags um halb vier. Das war so programmiert.
SPORT1: Gehen wir mal anderthalb Jahrzehnte zurück. Patrick Anderssons Freistoß 2001 in Hamburg. Der emotionalste Moment Ihrer Trainer-Karriere?
Hitzfeld: Das war der Wahnsinn. Es stand unglaublich viel auf dem Spiel, nicht nur die Deutsche Meisterschaft. Wir hatten vier Tage später das Endspiel gegen Valencia. Hätten wir den Titel verloren, wäre auch die Champions League in Gefahr gewesen. Von daher war die Meisterschaft Doping fürs Finale.
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SPORT1: Hatten Sie damals zumindest etwas Mitleid mit Schalke?
Hitzfeld: Ich habe Mitgefühlt mit Schalke. Ich habe das ja auch erlebt im ersten Jahr in Dortmund. 1991/92. Drei Minuten vor Schluss waren wir noch Meister. Dann gewinnt Stuttgart noch. Da dachte ich: Jetzt wirst du nie mehr Deutscher Meister. Über Barcelona 1999 reden wir erst gar nicht…
SPORT1: Das bittere Champions-League-Endspiel gegen Manchester United.
Hitzfeld: Wir haben in drei Minuten alles verloren. Das war fast so wie Schalke. Von daher konnte ich sehr wohl mitfühlen.
SPORT1: In dieser Saison könnte es wieder eine spannende Meisterschaft geben. Liegt das daran, dass Bayern schwächer oder der BVB stärker geworden ist?
Hitzfeld: Beides. Bayern hatte zwischendurch bei einigen Unentschieden Pech, hat dabei entscheidende Punkte verloren. Aber Dortmund hat sich eben auch keine Schwäche erlaubt. Und wenn der Abstand einmal da ist, wird es schwer, ihn aufzuholen. Da ist man immer auf andere angewiesen.
SPORT1: An welchem Klub hängt denn Ihr Herz?
Hitzfeld: Als Trainer versuche ich, dinge immer nüchtern zu sehen. Wer am Ende vorne steht, hat es verdient. Aber ich bin noch etwas näher an Bayern dran. Es war meine letzte Station. Und ich habe noch Kontakt zur Vereinsführung.
SPORT1: Apropos. Die Bayern-Bosse treiben derzeit den Umbruch voran. Zu spät?
Hitzfeld: Nein. Robben und Ribery sind verdienstvolle Spieler. Die Entscheidung war, mit ihnen zu verlängern. Dann kann man ja keinen weiteren Weltklassespieler auf der Position holen. Also hat man die Jungen, Coman und Gnabry nach und nach aufgebaut.
SPORT1: Franck Ribery haben Sie noch selbst trainiert. War Bayern gut beraten, ihn nach seinen Ausrastern in der Steak-Affäre so glimpflich davonkommen zu lassen?
Hitzfeld: Man hat richtig gehandelt. Man hat Druck aus der Sache rausgenommen. Die Geldstrafe ist ja für einen guten Zweck. Von daher ist die Sache erledigt.
SPORT1: Macht es sich Ribery mit seiner Persönlichkeit nicht selbst schwer?
Hitzfeld: Nein, die Stärke von Franck ist doch, dass er auf dem Platz den Unterschied macht, weil keiner weiß, was er macht. Da muss man in Kauf nehmen, dass man im Leben manchmal auch nicht weiß, was er macht.