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"An dem Tag ist etwas kaputt gegangen"

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„Da ist etwas kaputt gegangen“

Torsten Lieberknecht spricht erstmals über seinen Abgang bei Darmstadt - und den Tag, an dem „etwas kaputt gegangen“ ist.
Für SPORT1 gibt Torsten Lieberknecht sein erstes Interview seit seinem Rücktritt bei Darmstadt 98. Der Coach spricht über seine Zeit bei den Lilien und ein Angebot aus der MLS.
Reinhard Franke
Torsten Lieberknecht spricht erstmals über seinen Abgang bei Darmstadt - und den Tag, an dem „etwas kaputt gegangen“ ist.

Im September 2024 trennten sich die Wege von Darmstadt 98 und Torsten Lieberknecht. Seit dem 8. Juni 2021 war er dort als Trainer tätig. Nach seinem Abschied am Böllenfalltor zog er sich rund fünf Monate aus der Öffentlichkeit zurück. Doch für SPORT1 bricht er nun sein Schweigen.

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Für sein erstes Interview nach der Trennung von den Lilien hat er das „Amore Vino“ in Mainz gewählt - ein Restaurant seines Freundes, Ex-Profi Fabrizio Hayer. Lieberknecht wirkt mit sich im Reinen. Der 51-Jährige hat viel zu erzählen.

Torsten Lieberknecht an der Seitenlinie für SV Darmstadt 98
Torsten Lieberknecht an der Seitenlinie für SV Darmstadt 98

SPORT1: Herr Lieberknecht, Sie verließen die Lilien vor rund fünf Monaten. Ihren noch bis 2027 gültigen Vertrag lösten Sie vorzeitig auf und verzichteten auf viel Geld. Warum?

Torsten Lieberknecht: Ich habe Darmstadt 98 schweren Herzens verlassen, der Impuls kam von mir. Es stimmt, der eigentliche Vertrag lief bis 2027, mit meinem Rücktrittsangebot, war es mir auch aus moralischen Gründen wichtig, dass der Verein die Möglichkeit bekam, sagen zu können ‚wir vergessen diesen Vertrag'. Die saubere Trennung war mir sehr wichtig, weil ich eine zu erfolgreiche und schöne Zeit bei und mit den Lilien hatten.

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SPORT1: Wie geht es Ihnen jetzt?

Lieberknecht: Gut, weil es die richtige Entscheidung war. Ich habe einfach gemerkt, dass mit dem Rucksack der Bundesliga und der vertraglichen Konstellation ein Gefühl da war, den Verantwortlichen in ihren eventuellen Hemmungen, Entscheidungen zu treffen, entgegenkommen und helfen zu wollen und das alles zum Wohle des Vereins. Auch wenn es momentan eine etwas schwierigere sportliche Phase ist, habe ich mich bestätigt gefühlt, dass es gut war, dass ein neuer Trainer übernommen hat.

„Ich habe in den ersten Tagen gar nicht gut geschlafen“

SPORT1: Was ging Ihnen nach der Trennung besonders durch den Kopf?

Lieberknecht: Ich brauchte erstmal eine gewisse Zeit, um Abstand zu gewinnen, habe in den ersten Tagen gar nicht gut geschlafen, weil sehr viele Dinge, Situationen und Gespräche wieder hoch kamen. Ich bin nachts oft mit einem glühenden Kopf aufgewacht. Letztendlich überwog das Gefühl der Zufriedenheit und Befreiung, weil ich das Feld top übergeben habe.

SPORT1: Warum war Darmstadt 98 so etwas Besonderes für Sie?

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Lieberknecht: Die ersten beiden Jahre waren unglaublich erfolgreich, schon in meinem ersten Jahr wären wir fast aufgestiegen. Zusammen haben wir in beiden Spielzeiten 127 Punkte geholt. Aber wie der Verein sich für seine Mitarbeiter darstellt, ist etwas sehr Enges und Persönliches. Es gibt nichts Größeres für einen Klub wie Darmstadt 98 als der Bundesliga-Aufstieg. Die Kultur in diesem Verein und wie ich in der Stadt aufgenommen wurde, war schon sehr wertschätzend. Ich wollte immer Integration außerhalb des Klubs aufbauen. Und die saubere Trennung war ja dann auch nicht alltäglich.

„Ich hatte ihm eine Nachricht im Trainerbüro hinterlassen“

SPORT1: Das macht sicherlich nicht jeder Trainer.

Lieberknecht: Vermutlich, aber ich ticke da etwas anders. Wir leben in der Familie stark nach Werten und Haltung. Es gab nun mal viele Menschen, die dazu beigetragen haben, dass ich erfolgreich sein konnte.

SPORT1-Reporter Reinhard Franke (r.) im Interview mit Torsten Lieberknecht
SPORT1-Reporter Reinhard Franke (r.) im Interview mit Torsten Lieberknecht

SPORT1: Florian Kohfeldt hatte bei seinem Amtsantritt verraten, dass Sie ihm eine persönliche Nachricht hinterlassen haben. Mit welchem Inhalt?

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Lieberknecht: Ich hatte ihm eine Nachricht auf dem Flipchart im Trainerbüro hinterlassen, damit er es auch nicht übersehen konnte. Ich habe ihm gratuliert, dass er da einen ganz besonderen Klub hat und habe ihm alles Gute gewünscht. Es gehört für mich zum guten Stil dazu. Ich habe das auch schon erlebt, kann aber nicht verraten von wem. Da wäre er mir böse. (lacht)

„Da ist etwas kaputt gegangen“

SPORT1: Eine Szene blieb vielen Fans im Gedächtnis: als ein Lilien-Ultra nach einem 0:6 gegen Augsburg wie von Sinnen auf das Team und Sie eingeredet hat. Ganz ehrlich, war das wirklich so klar abgesprochen? Der Klub hat es hinterher als Schulterschluss verkauft. Oder hatten Sie in dem Moment Angst?

Lieberknecht: Ich hatte keine Angst. Es war natürlich eine außergewöhnliche Situation, aber sie war nicht beispiellos. So etwas hat man schon öfter in Stadien gesehen. Es war kein spezielles Darmstadt-Ding, dass ein Ultra zur Mannschaft spricht. Es war keine angsteinflößende Situation. Im Kern war das sogar total verständlich. Wir haben uns eigentlich sehr ansprechend präsentiert - aber vier Spiele haben vieles kaputt gemacht. Das hat in der Bundesliga am meisten wehgetan.

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SPORT1: Was war mit einem Schulterschluss, von dem Präsident Fritsch sprach?

Lieberknecht: An dem Tag gab es keinen Schulterschluss. Gegen Augsburg hatten wir eine große Chance, doch die wurde nicht genutzt. Da ist etwas kaputt gegangen, wo man vorher viel zwischen Team und Fans aufgebaut hatte. Die Ansage des Ultras war emotional, aber inhaltlich gar nicht verkehrt.

SPORT1: Gab es nochmal Kontakt?

Lieberknecht: Klar, im Nachgang gab es viele Gespräche, persönliche aber auch mit der Fanbetreuung. Es ging um die Gesprächsführung, dass er lernen muss, irgendwann einen Punkt zu finden. Ich konnte den Ultra verstehen. Aber das war auch für ihn ein Lernprozess.

SPORT1: Wenn Sie zurückblicken, welchen Fehler haben Sie gemacht?

Lieberknecht: Ich bin ein sehr reflektierter Mensch und suche Fehler bei mir. Ich hinterfrage mich immer wieder. Im Nachhinein wurde mein Bauchgefühl bestätigt: Ich hätte dem Team ein neues Spielsystem vermitteln müssen. Doch das konnte ich nicht umsetzen, obwohl ich oft mit Paul Fernie (Sportdirektor, d. Red.) darüber gesprochen habe. Vom Gefühl her wollte ich einen neuen Impuls setzen. Ich bin meinem Bauchgefühl nicht gefolgt - das war ein Fehler. Und schließlich hat sich gezeigt, dass ich mit meinem Bauchgefühl richtig lag, denn unter meinem Nachfolger gab es diesen Systemwechsel. Es hat das Team wieder in die Spur gebracht.

Lieberknecht: „Das hat man nicht bei jedem Kollegen“

SPORT1: Zuletzt haben Sie eine Woche bei Oliver Glasner hospitiert. Wie war das?

Lieberknecht: Es war toll. Seit unserem Pokalspiel mit den Lilien bei Eintracht Frankfurt hatten wir guten Kontakt. Wir haben damals leider verloren, aber es war ein hoch spannendes Spiel. Oliver Glasner war vor und nach dem Spiel sehr wertschätzend, was unseren Spielstil betraf. Er begegnete mir auf Augenhöhe - und das hat man nicht bei jedem Kollegen. So ist etwas entstanden. Dieser positive Eindruck hat sich dann verfestigt. Als wir aufgestiegen sind, kam sofort eine Glückwunsch-SMS von ihm.

SPORT1: Und wie kam es dann zu Ihrer Hospitanz?

Lieberknecht: Er machte mir das Angebot, vorbeizuschauen, wenn ich Zeit und Lust habe - und ich bin komplett begeistert worden. Oliver ist ein Trainer, der zeigt, warum er Erfolg hat und das hat neben seiner Fachlichkeit hauptsächlich damit zu tun, dass er ein total offener Mensch ist mit einer sensationellen Teamführung. Ich durfte überall dabei sein. Er hatte nichts zu verbergen. Es war eine ganz tolle Erfahrung für mich.

SPORT1: Haben Sie bei ihm gewohnt?

Lieberknecht: Nein. Ich habe in einem Hotel in der Nähe gewohnt. Und er wohnt nicht schlecht. (lacht)

SPORT1: Merkt man als Trainer, dass man einer Mannschaft nicht mehr das geben kann, was sie braucht und wie war das in Ihrem konkreten Fall?

Lieberknecht: In Darmstadt ging es gar nicht so sehr um die Mannschaft, sondern um viel mehr – um das, was man im Gefühl hat. Ich lasse als Trainer viel Nähe zu und habe einfach gemerkt, dass es mehr braucht.

„Ich glaube, dass es für den FCK ein guter Moment wäre“

SPORT1: Natürlich müssen wir auch über ihren Herzensverein, den 1. FC Kaiserslautern, sprechen. Steigen die Roten Teufel auf?

Lieberknecht: Ich glaube an die Dramaturgie. In Braunschweig unter meiner Regie und in Darmstadt unter Dirk Schuster gab es damals auch eine besondere Entwicklung – der Doppel-Aufstieg von der Dritten Liga in die Bundesliga. Wenn man Kaiserslautern in den vergangenen Jahren verfolgt, erkennt man Parallelen. Sie standen kurz vor dem Abstieg in die Regionalliga, doch aus dieser Situation hat sich eine enorme Kraft entwickelt. Das Selbstverständnis, wieder auf den Betzenberg zu gehen, und die Gewissheit, dass das Stadion eine absolute Macht ist, sind beeindruckend. Ich glaube, dass es für den FCK ein guter Moment wäre.

SPORT1: Wie groß ist Ihr Wunsch, einmal FCK-Trainer zu werden?

Lieberknecht: Es war damals mein Kindheitstraum, Profi bei meinem Herzensverein, dem FCK, zu werden - und das ist mir gelungen. Ob sich der Traum erfüllt, diesen Klub eines Tages zu trainieren, weiß ich nicht. Aber ich verfolge den FCK mit großem Herzen und wünsche den Menschen dort, dass sie endlich wieder Bundesliga-Fußball erleben dürfen. Ich hoffe, Thomas Hengen (Geschäftsführer des FCK) reißt mir jetzt nicht den Kopf ab, aber ich glaube an diese Dramaturgie. Die Sehnsucht ist da, und sie wollen sie wecken.

SPORT1: Wie sieht Ihr Zukunftsplan aus?

Lieberknecht: Es gab Anfragen und tatsächlich auch die eine oder andere aus dem Ausland, unter anderem von einem Klub aus der MLS. Aber bei keinem dieser Vereine hatte ich das richtige Gefühl. Ich bin komplett mit mir im Reinen, hatte genügend Abstand und hätte schon früh wieder etwas machen können. Ich lasse es auf mich zukommen. Dass etwas kommt, davon bin ich überzeugt