Vor etwas mehr als einem Jahr stellte der 1. FC Kaiserslautern Dirk Schuster als Trainer frei. Das Geschehen bei den Roten Teufeln hat der 56-Jährige seitdem weiterhin im Blick. Am Samstag treffen im Topspiel Darmstadt 98 und der FCK (ab 19.30 Uhr LIVE im TV auf SPORT1), Schusters ehemalige Klubs, aufeinander. Mit den Lilien gelang ihm in den Jahren 2013 bis 2016 der Durchmarsch von der 3. Liga in die Bundesliga sowie der anschließende Klassenerhalt. 2022 führte er den FCK ebenfalls zum Aufstieg und hielt dann die Klasse. Jetzt spricht Schuster bei SPORT1 erstmals über seine Zeit beim FCK.
Schuster-Klartext über FCK-Zeit
SPORT1: Herr Schuster, vor gut einem Jahr wurden Sie in Kaiserslautern beurlaubt. Wie geht es Ihnen?
Dirk Schuster: Mir geht es gut. Ich war gerne beim FCK, es hat mir großen Spaß gemacht, dort zu arbeiten. Es war auch eine erfolgreiche Zeit. Wir konnten mit dem Verein den Aufstieg feiern und die Mannschaft souverän in der Zweiten Liga halten. Eine Trennung ist immer unangenehm, aber so ist das im Fußballgeschäft nun mal.
SPORT1: Wie war für Sie die Situation, als Ihnen die Entscheidung mitgeteilt wurde?
Schuster: Ich bin nicht aus allen Wolken gefallen, aber es kam doch überraschend. Zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht damit gerechnet, weil wir in der Tabelle vernünftig dastanden. Ich konnte das aber gut einordnen und habe es relativ schnell verarbeitet.
„Danach ist einiges kaputtgegangen“
SPORT1: War es damals ein Fehler, FCK-Stürmer Ragnar Ache nach einem Flaschenwurf nochmal auf das Feld zurückzuschicken? Kurz danach fiel er verletzt aus. Für viele Fans war das der Knackpunkt für die schlechten Spiele danach.
Schuster: Diese Situation hat etwas mit der Mannschaft gemacht. Aber der vierte Offizielle und der Linienrichter fragten Ragnar damals, ob alles okay sei, und er sagte: „Ja.“ Damit war für mich klar, dass er weiterspielen kann.
SPORT1: Wurde Ihnen das zum Hauptvorwurf gemacht?
Schuster: Gar nicht. Ich habe das nie als Vorwurf gegen meine Person wahrgenommen. Wir haben damals eine gemeinschaftliche, sportliche Entscheidung getroffen, die ich voll unterstützt habe. Es war Ragnars Ehrgeiz, klar. Dass er nicht im vollen Besitz seiner kognitiven Fähigkeiten war, haben wir nicht so gesehen. Dafür waren auch Ärzte dabei, die reagiert haben.
SPORT1: Sie geben SPORT1 das erste Interview, in dem Sie tiefer über den FCK sprechen. Wie sehen Sie die Entwicklung am Betzenberg seit Ihrem Abschied?
Schuster: Es war zunächst schwierig. In Dimi (Dimitrios Grammozis, d. Red.) hatte man große Erwartungen gesetzt. Leider hat das nicht geklappt. Es kam Friedhelm Funkel, ein erfahrener Mann, der diese Kämpfe in der unteren Tabellenregion kennt. Er hat nachgewiesen, dass er ein Top-Trainer ist. Das Pokalfinale war super und hat gewiss manches überschattet, was vorher nicht gut lief. Am Ende war es eine halbwegs ordentliche Saison. Im Sommer kam dann Markus Anfang, und unter ihm hat sich die Mannschaft toll entwickelt. Zuletzt hat man sich gefangen und spielt richtig guten Fußball. Das beste Beispiel war das 3:0 zuhause gegen Paderborn. Jetzt ist der FCK wieder oben dabei, und das freut mich.
„Man wollte zu schnell zu viel“
SPORT1: Sie sagten, dass manches überschattet wurde. Was meinen Sie damit?
Schuster: Der FCK ist ein Traditionsverein und in der Pfalz der Fußballmagnet schlechthin. Die Erwartungshaltung war schnell wieder enorm hoch, und von Seiten der Investoren und des Aufsichtsrats haben viele Personen regelmäßig ihre Meinung kundtun wollen. Oft lebt man etwas in der erfolgreichen Vergangenheit. Ein Platz zwischen sieben und zehn wäre gut gewesen. Doch man wollte zu schnell zu viel. Das Wunschdenken war nach dem tollen Saisonstart von uns vor einem Jahr, als wir oben dran waren, wieder extrem.
SPORT1: Hat Sie das genervt?
Schuster: Intern wussten wir immer, wie wir die Sache realistisch einschätzen mussten. Uns war klar, dass bei großen Traditionsvereinen die Realität schneller verlassen wird als anderswo. Ich konnte damit umgehen, konnte aber nicht alle Wünsche erfüllen. Aus der 3. Liga kommt man nicht sofort in die 1. Liga und in die Champions League...
„Thomas stand auch unter enormem Druck“
SPORT1: Wie war die Zusammenarbeit mit Thomas Hengen, der Sie ja geholt hat?
Schuster: Es war lange Zeit eine positive, vertrauensvolle Zusammenarbeit, bei der wir viele Entscheidungen gemeinsam getroffen haben, die sich im Nachhinein auch als richtig herausgestellt haben. Erst gegen Ende haben wir uns etwas auseinandergelebt. Aber Thomas stand auch unter enormem Druck.
SPORT1: Waren Hengen oft die Hände gebunden?
Schuster: Der Druck kam vor allem von Leuten, die viel Geld gegeben haben und natürlich auch gewisse Ansprüche an den Klub stellen. In der Gemengelage es allen recht zu machen - das war alles andere als leicht. Der Einfluss von oben ist bei solchen Vereinen schon sehr mächtig. Ich kann mir vorstellen, Thomas steckte öfter in einer Zwickmühle. Trotzdem hat er immer versucht, das Beste für den Verein zu erreichen.
SPORT1: Sie hätten gerne Ihren Vertrag verlängert. Warum kam es nicht dazu?
Schuster: Das war ein Thema. Es ging auch in die Richtung, aber leider wurde es nicht final zu Ende gebracht. Warum das so war, kann ich nicht sagen.
SPORT1: Es gab anschließend einen Medienbericht, in dem über ein Treffen von Thomas Hengen und Enis Hajri mit Michael Wimmer, zuletzt Trainer von Austria Wien, berichtet wurde. Anschließend wurde ihnen gesagt, dass Sie beurlaubt wurden. Was hat Sie am Ende enttäuscht?
Schuster: Am Ende fehlte es an offener Kommunikation. Man hätte offener aufeinander zugehen müssen. Das hätte aberauch von mir und Sascha (Co-Trainer Sascha Franz, d. Red.) geschehen können. Damals war uns das vielleicht nicht so klar, aber nach einer Trennung denkt man über vieles nach und weiß, was man auch selbst hätte besser machen können.
SPORT1: Hengen hat im vergangenen Winter viel Kritik für die Kaderplanung einstecken müssen, dieses Jahr hat er fast alles richtig gemacht. Wie erklären Sie sich das?
Schuster: Wintertransfers, die sofort einschlagen sollen, sind deutlich schwieriger umzusetzen als Sommertransfers. In der Sommerpause laufen Verträge aus und man kann früher an die Spieler herantreten. Vor allem mit Kaloč (Filip, d. Red.) ist Thomas Hengen allerdings ein Glücksgriff gelungen - er war die Lebensversicherung in der vergangenen Rückrunde.
SPORT1: Es gab nicht wenige, die skeptisch gegenüber der Verpflichtung von Markus Anfang waren. Inzwischen hat er alle überzeugt. Sieht man beim FCK jetzt den typischen Anfang-Fußball?
Schuster: Die ersten Saisonspiele waren etwas holprig. Doch der Sieg gegen Paderborn war ein Wendepunkt. Danach gab es tolle Spiele, wie das 4:3 in Düsseldorf oder das 3:0 auf Schalke. Und am Betze ist ohnehin alles möglich, wenn die Fans hinter der Mannschaft stehen. In dieser „Kathedrale“ da oben macht es richtig Spaß, Fußball zu spielen. Markus wird bis zur Winterpause alles aus dem Team herausholen - da bin ich sicher. Ich freue mich sehr auf das Spitzenspiel am Samstag zwischen Darmstadt und dem FCK. Wer hätte das zu Saisonbeginn gedacht?
„Beste Freunde werden wir sicher nicht mehr“
SPORT1: Enis Hajri wurde als Chefscout geholt. Mit ihm hatte schon Friedhelm Funkel Probleme, der ihn auf die Tribüne schickte. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?
Schuster: Problematisch, beste Freunde werden wir sicher nicht mehr. Bis er kam, lief intern alles gut - danach ist einiges kaputtgegangen. Obwohl besprochen war, dass seine Themen Kaderplanung und Scouting sind, wollte er auf die Bank oder in die Kabine, wo es etablierte Strukturen und Abläufe gab. Das hat mir von der Art und Weise her überhaupt nicht gefallen und meinen Nachfolgern auch nicht.
SPORT1: Aaron Opoku will seinen Vertrag beim FCK nicht verlängern. Das hat Hengen bestätigt. Wie schwer wiegt dieser Verlust?
Schuster: Sehr schwer. Wir haben ihn damals geholt, obwohl er aufgrund einer roten Karte länger gesperrt war. Aaron hat etwas, das man nicht lernen kann: Tempo und Bewegungen, die man sich nicht antrainieren kann. Bei uns war er noch schwankend in seinen Leistungen, aber wir haben sein großes Potenzial immer gesehen. Er hatte auch mit der einen oder anderen Verletzung zu kämpfen. Ich glaube ihm hätten zwei weitere Jahre beim FCK sicher gutgetan.
SPORT1: Am Samstag spielen Ihre beiden Ex-Klubs gegeneinander. Für Sie ein besonderes Spiel?
Schuster: Auf jeden Fall. In Darmstadt hatte ich meine beste und erfolgreichste Zeit: Doppelaufstieg, Klassenerhalt, und auch mit dem FCK habe ich den Aufstieg in die 2. Liga geschafft. Darmstadt liegt mir emotional aber noch etwas näher. Dieses Spiel ist für mich ein Highlight.
Trainer beim HSV? „Ja klar…“
SPORT1: Hätten Sie Florian Kohfeldt zugetraut, dass er die Lilien so schnell zurück in die Spur bringt?
Schuster: Er hat in Bremen schon über einen längeren Zeitraum gute Arbeit geleistet. Dass es bei den Lilien so schnell gehen würde, damit habe ich aber nicht gerechnet. Das ist beeindruckend - ähnlich wie bei Markus Anfang beim FCK. Beide Trainer brauchten ihre Serie, und jetzt sind es die Mannschaften der Stunde.
SPORT1: Wann sehen wir Sie wieder an der Seitenlinie?
Schuster: Wenn es passt - ich bin jedenfalls heiß, wieder etwas zu machen. Es gab schon die eine oder andere Anfrage, aber ich bin in der glücklichen Lage, nicht mehr alles annehmen zu müssen. Zwei, drei Vereine hätte ich übernehmen können, habe dann aber abgesagt. Ich beschäftige mich viel mit dem aktuellen Geschehen, schaue mir im In- und Ausland wieder im live Spiele an und bin als TV-Expertenah dran.
SPORT1: Würden Sie gerne Trainer beim HSV werden?
Schuster: Ja klar sind solche Vereine reizvoll.
SPORT1: Kann der FCK Ragnar Ache über den Sommer halten?
Schuster: Definitiv nein. So leid es mir für die Fans tut.
SPORT1: Steigt der FCK auf?
Schuster: Nein, ich glaube nicht. Ich denke, es gibt Mannschaften in der Liga, die qualitativ besser aufgestellt sind. Aber vielleicht überraschen sie auch – ich würde es dem FCK und seinen großartigen Fans gönnen.