Davie Selke spielte bereits für den SV Werder Bremen, für RB Leipzig, für Hertha BSC und für den 1. FC Köln. Im vergangenen Sommer wechselte der Stürmer zum Hamburger SV. Sechs Tore hat der 29-Jährige in der laufenden Saison bereits erzielt. Zuletzt allerdings blieb der Erfolg aus. Nur einen Punkt holte der HSV aus den vergangenen drei Ligaspielen. Dementsprechend groß ist der Druck vor dem Heimspiel gegen den FC Schalke 04 am Samstag (ab 19:30 Uhr LIVE im TV auf SPORT1).
Selke: „Image werde ich nicht los“
Im exklusiven Interview mit SPORT1 spricht Selke nicht nur über die Situation des HSV, sondern auch über sein Image als polarisierender Profi, über seinen Glauben, über Uhren und Autos und über seine Kindheit.
SPORT1: Herr Selke, verspüren Sie nach drei sieglosen Ligaspielen einen besonderen Druck?
Selke: Ich glaube, beim HSV hat man immer Druck. Das ist einfach so. Wir sind nicht zufrieden mit den Ergebnissen in den letzten Wochen. Wir wissen, dass am Samstag ein wichtiges Spiel ansteht, wo wir wieder in eine positive Serie starten können. Wir spielen zu Hause bei Flutlicht und freuen uns auf das Spiel.
SPORT1: Sie haben in dieser Saison unter anderem überzeugend gegen den 1. FC Köln und Fortuna Düsseldorf gewonnen, verloren dafür aber gegen die SV Elversberg und zuletzt gegen Eintracht Braunschweig. Warum tut sich der HSV gegen vermeintlich kleinere Vereine besonders schwer?
Selke: Wir wollen und müssen uns mit dem Thema auseinandersetzen. Wir sind auch in Elversberg und Braunschweig mit einem guten Gefühl in die Spiele gegangen. Aber dann liefen die Spiele anders als geplant. Klar ist, dass wir für unser großes Ziel auch in diesen Spielen ein anderes Gesicht zeigen müssen.
SPORT1: Spüren Sie in solchen Partien bereits früh im Spiel, dass der Matchplan irgendwie nicht aufgeht?
Selke: Vom Gefühl sind wir auch in Braunschweig gut ins Spiel gestartet. Wir haben hoch gepresst, hatten viele Ballgewinne und kamen zu unseren Chancen. Leider haben wir diese nicht genutzt. Dann kann das Momentum in die andere Richtung gehen. Wir müssen daran arbeiten, in solchen Spielen komplett fokussiert zu bleiben und die Chancen zu nutzen.
Selke über Baumgart: „War kein langes Telefonat"
SPORT1: Sie sollen ein besonderes Verhältnis zu Trainer Steffen Baumgart haben, der Sie bereits in Köln trainiert hat. Wie genau hat er Sie nach Hamburg gelockt?
Selke: Er rief mich in der Phase an, wo es klar war, dass es in Köln augenscheinlich nicht weitergeht. Er fragte mich, ob ich mir vorstellen kann, nach Hamburg zu kommen. Das war kein langes Telefonat, weil wir bereits in Köln eine gute Zusammenarbeit hatten. Kurz darauf rief auch noch Stefan Kuntz an, der für mich ja ebenfalls kein Unbekannter ist (Kuntz war Selkes Trainer bei der U21-Nationalmannschaft, Anm.d.Red.).
SPORT1: Durch die zuletzt sieglosen Spiele wuchs in den Medien und teilweise auch bei den Fans die Kritik am Trainer. Ist es Ihnen aufgrund Ihrer besonderen Verbindung zu Baumgart ein besonderes Anliegen, mit einem Sieg die Kritik verstummen zu lassen?
Selke: Ja - für ihn, für uns und den gesamten Klub. Wir haben ein ganz klares Ziel. Ich bin hergekommen, um mit dem HSV aufzusteigen. Das hat die letzten Jahre nicht funktioniert. Trotzdem finde ich, dass die Voraussetzungen stimmen. Wir haben einen tollen Kader, ein gutes Trainerteam und einen guten Spirit in der Mannschaft. Unser Ziel ist es, das Momentum wieder schnell auf unsere Seite zu ziehen.
SPORT1: Sie bildeten beim Hamburger SV zeitweise eine Doppelspitze mit Robert Glatzel, ehe sich dieser verletzte. Nun stürmen Sie oftmals zusammen mit Ransford Königsdörffer. Wie hat sich Ihr Spiel dadurch verändert?
Selke: Ransi ist ein beweglicher Typ. Mit Bobby und mir hatten wir zwei große Stürmer vorne drin. Trotzdem fanden wir eine gute Abstimmung, sodass sich einer tiefer fallen ließ. Das war ein anderes Spiel. Aber wir haben uns gut angepasst und auch nach Bobbys Verletzung gute Spiele abgeliefert. Ich bin mir sicher, dass uns dies auch zukünftig gelingen wird. Leider wird er uns noch eine Zeit lang fehlen.
SPORT1: Sie sind schon einmal mit RB Leipzig in die Bundesliga aufgestiegen. Was können Sie aus der Erfahrung mitnehmen? Oder war die 2. Liga damals nicht so stark wie heute?
Selke: „Die 2. Liga ist deutlich ausgeglichener als früher"
Selke: Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass die 2. Liga deutlich stärker und ausgeglichener ist als früher. Damals waren Freiburg und Leipzig sehr dominant und sind vornewegmarschiert. Trotzdem hat sich der Aufstieg erst zum Saisonende hin entschieden. Darauf stellen wir uns auch jetzt ein. In der Tabelle liegen alle eng beieinander. Wir müssen unserem Weg treu bleiben. Das ist gerade hier in Hamburg wichtig, wo immer relativ viel rund um den Verein geschrieben wird.
SPORT1: Der FC Schalke 04, der am Samstagabend der Gegner sein wird, hat ganz andere Probleme und steckt eher im Abstiegskampf. Überrascht Sie das?
Selke: Ich bin nicht in der Position, das zu bewerten. Ich kann nur sagen, dass Schalke ein geiler Verein ist – mit den Fans, dem Stadion und der ganzen Wucht dahinter. Das ist ähnlich wie in Hamburg. Beide Vereine gehören eigentlich in die 1. Liga. Aber das ist de facto eben leider noch nicht so.
SPORT1: Sie haben in Ihrer Karriere zwölf Mal gegen Schalke gespielt. Ist Ihnen ein Spiel besonders in Erinnerung geblieben?
Selke: (überlegt) Mein zweites Spiel auf der großen Fußballbühne Bundesliga mit Bremen war gegen Schalke. Das war schon etwas Besonderes. Ansonsten (überlegt) … Ich weiß nicht, haben Sie ein bestimmtes Spiel im Blick?
SPORT1: Nein. Aber mir ist aufgefallen, dass Sie noch nie gegen Schalke ein Tor geschossen haben …
Selke: Echt? Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Dann habe ich ja am Samstag die Chance, das zu ändern.
„Dieses Image werde ich wohl nicht mehr los"
SPORT1: Sprechen wir über Sie als Person. Sie gelten als ein Spielertyp, der polarisiert. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Selke: Danach werde ich oft gefragt. Ich glaube, dass ich auf dem Platz einfach anders rüberkomme als ich privat bin. Dieses Image werde ich wohl nicht mehr los. Ich bin ein Typ, der immer gewinnen will - ob im Training oder im Spiel. Das klappt nicht immer. Aber ich versuche alles, was in meiner Macht steht, um das hinzubekommen. Das kann manchmal falsch rüberkommen. Aber für mich zählt nur der Sieg.
SPORT1: Nervt es Sie manchmal, dass Sie besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen?
Selke: Nerven tut es mich nicht. Aber ich nehme das schon wahr. Ich habe nie einen Kurs belegt, in dem es darum ging, wie man am besten polarisiert (lacht). Das ist einfach so gekommen. Natürlich setze ich mich damit auseinander. Aber für mich zählt eben nur das Gewinnen. Dafür werde ich immer alles tun.
SPORT1: Sie haben sich in den letzten zwei bis drei Jahren zu einem sehr gläubigen Menschen entwickelt. Wie kam es dazu?
Selke: Ich war einfach nicht vollends glücklich. Ich bin in sehr einfachen, armen Verhältnissen aufgewachsen. Damals dachte ich immer, dass finanzielle Sicherheit mir einen inneren Frieden geben würde. Aber den fand ich nicht, als ich Profi wurde und gutes Geld verdiente. Es gab eine Zeit, in der ich ein bisschen danach gesucht habe, was mich glücklich machen und mir einen inneren Frieden geben würde. Und den Frieden fand ich bei Jesus - und zwar durch meinen Onkel, der Pastor ist. Es ist natürlich ein Privileg, einen Pastor in der Familie zu haben.
SPORT1: Sie haben als Jungprofi also gemerkt, dass schnelle Autos und teure Uhren nicht glücklich machen?
Selke: Ich kann natürlich nur für mich sprechen: Das macht einen schon glücklich, aber nur kurzzeitig. Und dann ist man wieder am Anfang. Kauft wieder eine neue Uhr, ein anderes Auto - und irgendwann merkt man, dass man immer wieder an den gleichen Punkt kommt. Die Antwort auf meine Probleme war Jesus.
SPORT1: Wächst man als Jungprofi in dieses Konsumverhalten rein, weil man Mitspieler hat, die ebenfalls schnelle Autos fahren und teure Uhren tragen?
„Man darf nicht im Geld, seinen Frieden suchen"
Selke: Das ist eine gute Frage. Wie gesagt, ich hatte erst einmal kein Geld. Und wenn man dann plötzlich viel Geld auf dem Konto hat, nutzt man das auch. Man hat so eine wilde Phase und kostet das aus. Aber man darf eben nicht im Geld seinen Frieden oder sein Glück suchen.
SPORT1: Sie haben eben erwähnt, dass Sie in ärmeren Verhältnissen aufgewachsen sind. Können Sie das näher beschreiben?
Selke: Es waren schwere Verhältnisse, in denen es teilweise schon um die Grundthemen ging. Ich möchte das nicht allzu sehr vertiefen. Aber das war schon herausfordernd. Auf der anderen Seite war das auch gut, weil das mein Antrieb gewesen ist, unbedingt Profi werden zu wollen. Daher kommt auch ein bisschen die Verbissenheit. Es hatte also Vor- und Nachteile.
SPORT1: Lag der Vorteil im Hinblick auf den Fußball vielleicht darin, dass Sie nur den Fußball hatten? Wenn Sie als Jugendlicher immer die neuste Playstation und noch viele andere Hobbys gehabt hätten, hätten Sie weniger Zeit auf dem Bolzplatz verbracht und wären vielleicht nie Profi geworden…
Selke: Ja, ich war damals nur auf dem Bolzplatz. Ich habe jede freie Stunde nach der Schule genutzt, um zu trainieren und Gas zu geben. Ich habe viel Abschlüsse gemacht. Im Nachhinein hätte ich vielleicht auch ein bisschen mehr Passspiel machen sollen, dann wäre ich ein bisschen weicher im Fuß (lacht). Aber ich habe jedenfalls sehr, sehr viel trainiert. Für mich war der Profifußball alternativlos. Ich denke, das war ein Vorteil. Es gab Jungs, die viel talentierter waren als ich. Aber ich hatte den größeren Willen. Der kam durch die Umstände, die bei mir einen Tick schwieriger waren.
SPORT1: Was war auf dem Weg zum Profifußball der größte Rückschlag, den Sie einstecken mussten?
Selke: Meinen ersten großen Rückschlag hatte ich, als ich beim VfB Stuttgart im U-Bereich gehen musste. Ich bin Schwabe, ich bin Stuttgarter - da ist der VfB die absolute Nummer 1. Wenn man da nach Hause geschickt wird, weil man laut den Verantwortlichen nicht gut genug ist, dann ist das ein Rückschlag. Aber ich habe mich damals, ich war 13 Jahre alt, geschüttelt und einen Umweg genommen. Gott sei Dank hat das gut funktioniert.