Was im Laufe des Freitags langsam an die Öffentlichkeit durchgesickert war, stand am Samstagabend um halb acht auch offiziell fest: Kölns Trainer Gerhard Struber hatte seinen personellen Umbau im Kasten vollzogen und Marvin Schwäbe beim Gastspiel in Berlin ganz oben auf den Aufstellungsbogen gesetzt.
Eine brisante Entscheidung in Köln
Die bisherige Nummer eins zwischen den Pfosten, der hochtalentierte Leih-Rückkehrer Jonas Urbig, fand sich dagegen nur unter den Ersatzspielern wieder. Eine drastische Maßnahme, die dem zuletzt sehr instabilen Team neuen Halt geben sollte.
Und, so viel vorweg, das ist gelungen. Schon beim 3:0-Pokalsieg gegen Holstein Kiel hielt Schwäbe sein Tor sauber, gleiches gelang ihm nun beim 1:0 gegen Hertha BSC. Zwei Spiele, zwei Siege, zweimal kein Gegentor und eine neue Rangordnung, die zumindest fürs Erste in Stein gemeißelt sein dürfte.
„Schwäbe hat in der letzten Woche sehr gut trainiert“, bekräftigte Struber schon vor der Partie und verwies auf das geltende Leistungsprinzip: „Auch was das Thema Führung angeht, haben wir das in den letzten Wochen ein Stück weit vermisst. Und der Marvin ist da ein bisschen das fehlende Puzzlestück.“
Urbig hat sich wenig zuschulden kommen lassen
Dennoch birgt die Entscheidung Strubers viel Brisanz. Schwäbe war eben keine gewöhnliche Nummer zwei, er bewies in der Vergangenheit, dass er das Format eines mehr als soliden Bundesliga-Keepers besitzt. In der zweiten Liga, so lautete der Entscheid, seien die unumstrittenen Fähigkeiten des 29-Jährigen verschenkt, deshalb sollte er sich im Sommer einen neuen Verein suchen.
Ob zuerst der Spieler oder der Verein von einem Wechsel sprach - darüber gehen die Meinungen auseinander. Fakt war: Urbig, die personifizierte FC-Zukunft aus dem eigenen Nachwuchs, rückte ins Tor und sollte dort eigentlich bleiben. Und das, obwohl Schwäbe entgegen der Pläne keinen anderen Arbeitgeber fand.
Umso überraschender der erneute Wechsel. Einen wirklichen Grund gibt es von außen betrachtet nicht: Urbig leistete sich zwar bei seinem Debüt gegen den Hamburger SV einen Patzer, ließ sich aber sonst nichts zu Schulden kommen - im Gegenteil.
Er zeigte, warum er als kompletter Torhüter gilt, agierte klug, ruhig wie sicher und fiel vor allem durch seine fußballerischen Qualitäten auf. Dass er in seinen elf Spielen insgesamt 22 Gegentore kassierte, also im Schnitt genau zwei pro Partie, warf aber trotz guter Leistungen einen Schatten auf seine Figur. So kam es zur zentralen Frage, die selbst das Fanlager spaltet: Urbig oder doch wieder der hochmotivierte Schwäbe?
Verliert Köln das nächste Top-Talent?
„Schwäbe ist momentan die bessere Entscheidung“, gab ein User seine Meinung, die von vielen geteilt wurde, auf den Social-Media-Kanälen des Vereins kund. Andere halten es wiederum für ein „katastrophales Zeichen“, Urbig auf die Bank zu setzen und sind überzeugt, dass der „Effzeh“ den plötzlichen Wechsel der Keeper „noch bereuen“ wird. In diesem Zusammenhang fragte einer der Fans: „Wie kann man sein bestes Talent und den Nationaltorhüter der U21 so dermaßen verarschen und demoralisieren?“ Endlich, hieß es ironisch, „werden wieder Top-Talente vergrault“.
Denn mit hochgelobten Nachwuchs, den die Kölner nicht nachhaltig bei den Profis integriert bekommen, kennen sie sich mittlerweile gut aus: Florian Wirtz verließ seinen Jugendklub im Januar 2020 und ging für die geradezu lächerliche Summe von 200.000 Euro zum rheinischen Rivalen nach Leverkusen. Justin Diehl wechselte in diesem Sommer sogar ablösefrei und mit ähnlich großer Aufregung nach Stuttgart. Auch Yann Bisseck, der sein Geld heute bei Inter Mailand verdient, fühlte sich einst „nicht gewollt gefühlt“ und kurbelte seine Karriere andernorts an. Nur drei Beispiele einer Geschichte, die bald um ein Kapitel reicher werden könnte.
An potenziellen Abnehmern dürfte es dem degradierten Urbig jedenfalls nicht mangeln. Erst vor einem Monat berichtete die Sport Bild, dass der Youngster als größte Torwart-Hoffnung der deutschen Nationalmannschaft gilt und in den Planungen von Bundestrainer Julian Nagelsmann bereits eine wichtige Rolle spielt. Perspektivisch soll er mit Noah Atubolu vom SC Freiburg um den Platz zwischen den Pfosten konkurrieren und in der Saison 2025/26 den Sprung in eine erste Liga wagen, falls die Domstädter nicht selbst aufsteigen. Dem Vernehmen nach sollen der FC Bayern sowie der Meister aus Leverkusen Interesse an einer Verpflichtung haben.
Schwerer Rückschlag für Urbig
Trotzdem schien es bis vor wenigen Tagen so gut wie ausgeschlossen, dass Struber seinem jungen Schlussmann nun einen empfindlichen Rückschlag in dessen Ambitionen verpassen würde. Urbig sei schließlich ein „sehr, sehr großes Talent, das ein Profil mitbringt, das ich so noch nicht gesehen habe“ und ja auch längst keine schlechten Leistungen lieferte.
So könnte man den Tausch im Tor auch als fatales Zeichen werten, weil einem jungen, zweifellos hochtalentierten Eigengewächs in einer schwierigen Phase nicht mehr Vertrauen geschenkt wird. Es ist die alte Leier in Köln.
Geschäftsführer Christian Keller macht sich noch keine Sorgen, dass man das nächste Top-Talent vergrault: „Es sagt ja keiner, dass die Konstellation jetzt bis Ende der Saison so ist.“ Urbig sei für sein Alter „extrem weit und eine tolle Persönlichkeit“ und könne nun mehr an seiner Resilienz arbeiten. Wie wichtig aber vor allem Spielpraxis für einen unerfahrenen Torhüter ist, zeigen viele Beispiele - nicht zuletzt das aus Freiburg. Vor der letzten Saison wurde Atubolu dort zur Nummer eins ernannt und zahlte anfangs viel Lehrgeld. Doch die mutige Entscheidung nun zahlt sich aus, längst ist er eines der Gesichter des Freiburger Aufschwungs und strahlt die nötige Ruhe aus.
Urbig hat Entscheidung „sehr professionell“ aufgenommen
Entsprechend groß war in der Domstadt die Hoffnung, dass Urbig - trotz aller Interessenten - einen ähnlichen Weg wie Atubolu gehen würde. Doch die Degradierung, das steht wohl außer Frage, wird die Atmosphäre für künftige Verhandlungen nicht verbessern. Ebenso klar dürfte sein, dass der gebürtige Euskirchener kein Spieler für die Bank ist - und sein Vertrag läuft im Sommer 2026 aus, Ausstiegsklauseln oder Optionen gibt es nicht. Die Konkurrenz könnte sich deswegen ins Fäustchen lachen, denn ohne Spielpraxis muss Urbig spätestens im kommenden Sommer auf einen Wechsel drängen.
Struber wiederum verriet noch, dass Urbig die Entscheidung „sehr professionell“ aufgenommen habe. „Er hat einmal mehr gezeigt, wie weit er schon ist - mit 21 Jahren. Natürlich war er gleichzeitig schon ein Stück weit enttäuscht, aber so ist es eben im Profigeschäft“, so der Österreicher. Im Fußball sei es auch mal so, dass man „mal einen Schritt zurück machen muss, um dann in weiterer Folge hoffentlich wieder zwei nach vorne zu machen“. Bleibt aber mehr denn je die Frage, wo Urbig diese zwei Schritte nach vorne machen wird - in Köln oder schon bald bei einem anderen Verein.