Jermaine Jones ist eine polarisierende Persönlichkeit - auf und neben dem Platz. Der ehemalige Profifußballer spielte während seiner aktiven Karriere unter anderem für Eintracht Frankfurt und Schalke 04.
„In Frankfurt war ich ein Held“
2014 zog er in die USA und lebt seitdem in Los Angeles. Jones erwarb seine Trainerlizenz und arbeitet heute als Fußballtrainer. Nun möchte der 42-Jährige nach Europa zurückkehren.
Im exklusiven SPORT1-Interview spricht er unter anderem über seine Person, die Königsblauen und den Bayern-Profi Leon Goretzka.
SPORT1: Herr Jones, Sie wollen zurück nach Deutschland. Warum?
Jermaine Jones: Mit dem Alter ist das so eine Sache (lacht). Ich weiß noch nicht, ob ich unbedingt zurück nach Deutschland möchte, aber ich will auf jeden Fall wieder nach Europa. Meine Mutter lebt in Frankfurt, sie wird auch nicht jünger. Mein Vater lebt in der Nähe von San Diego. Meine Ex-Frau lebt noch in L.A. und wir hatten ein Gespräch, bei dem uns eines klar wurde: Irgendwie fehlt uns die Heimat. Wir sind jetzt zehn Jahre in Amerika und es war eine großartige Zeit.
Jermain Jones: „Lass uns wieder nach Hause gehen“
SPORT1: Sie sind inzwischen Trainer. War das auch ein Grund?
Jones: Ja. Der Fußball spielt wieder eine größere Rolle in meinem Leben. Ich bin immer wieder in Deutschland. Mein Cousin aus Frankfurt war zuletzt bei mir und da merkte ich einfach, dass mir etwas fehlt. Es wäre ein großer Schritt. Meine beiden älteren Kinder sind schon aus dem Haus. Meine Ex-Frau sagte mal, dass sie gerne nach Spanien ziehen würde. Ich hätte Lust auf Mallorca oder Ibiza. Wir beide würden getrennt auf Mallorca oder Ibiza leben können. Und wir waren uns einig: Lass uns wieder nach Hause gehen.
SPORT1: Sie wollten 2020 schon einmal zurück nach Deutschland. Warum hat es damals nicht geklappt?
Jones: Das hatte private Gründe. Meine Scheidung lief und die Kinder wollten noch etwas in L.A. bleiben. Die Jungs waren erst elf. Ich habe dann meine Trainerausbildung abgeschlossen, inklusive aller Lizenzen. Dann bekam ich die Chance, als Co-Trainer zur U19-Nationalmannschaft der USA zu gehen, und habe den Gedanken an eine Rückkehr nach Deutschland erst einmal beiseitegeschoben. Meine Jungs spielen in der Akademie und wollen Profis werden, deshalb passt eine Rückkehr jetzt besser. Jetzt fühlt es sich richtig an.
Jones: „Ich will echte Typen coachen“
SPORT1: Sie waren kein Musterprofi, haben aber mit Fleiß und Disziplin den Sprung vom Ghetto in den Profifußball geschafft. Wie blicken Sie zurück?
Jones: Ich bin nicht im Reichtum groß geworden. Mir wurden schon früh kleine, aber wichtige Dinge mit auf den Weg gegeben. Oft war es harte Arbeit - und du lügst nicht, sondern stehst immer zu deinem Wort. Das waren von Anfang an meine Tugenden. Es gab für mich nie etwas anderes. Diese Einstellung habe ich in den Sport mitgenommen. Egal, welches Trikot ich getragen habe, ich habe immer alles für den jeweiligen Verein gegeben. Ich habe nie nachgelassen, weil ich wusste, dass die Fans den Verein lieben, für den ich gerade gespielt habe - wahrscheinlich mehr, als ich es getan habe. Ich konnte nur eines zurückgeben: Alles für den Klub rauszuhauen. Diese Tugenden nehme ich auch in den Trainerjob mit. Ich sage zu meinen Spielern: „Du kannst Fehler machen, aber du musst dir den Arsch aufreißen und alles geben. Aufgeben ist keine Option.“ Es gibt Spieler, die tragen das Trikot mit Stolz - und genau das will ich den Jungs vermitteln. Ich will echte Typen coachen.
SPORT1: Was verstehen Sie heute als Trainer besser?
Jones: Als Spieler bist du ein Egoist, es geht nur um dich selbst. Als Trainer musst du das große Ganze sehen. Ich musste viel lernen und habe dabei oft auf meine eigenen Trainer zurückgeblickt. Als Spieler dachte ich häufig: „Geh mir nicht auf die Nerven.“ Heute denke ich mir: „Eigentlich habe ich da doch etwas gelernt.“ Jetzt sehe ich vieles anders.
SPORT1: In 18 Jahren als Profi bei acht Klubs in vier Ligen und auf drei Kontinenten hatten Sie tolle Lehrmeister. Von Friedhelm Funkel und Felix Magath über Ralf Rangnick, Huub Stevens, Slaven Bilic bis zu Jürgen Klinsmann. Wer war der Beste?
Jones: Ich habe von jedem etwas mitgenommen. Es gibt nicht den perfekten Trainer. Mit dem Alter werden viele Trainer cleverer und holen sich andere Leute dazu, die die Grenzen kennen und darin gut sind. Bei Magath war es die Disziplin, die bemerkenswert war. Slomka konnte sehr gut mit jungen Spielern umgehen und das Beste aus ihnen herausholen. Rangnick war jemand, der taktisch extrem geschult war. Klinsmann war ein Trainer, der sehr organisiert war. Da fing das Training an und die PowerPoint-Präsentation war schon fertig. Bilic war komplett wahnsinnig, aber er hat das Feuer in einem entfacht. Damals war Edin Terzic Videoanalyst bei Besiktas. Von allen Trainern habe ich etwas mitgenommen.
SPORT1: Was würde der Trainer Jermaine Jones dem Spieler Jermaine Jones sagen?
Jones: Ich würde mich gar nicht auf das Fußballerische konzentrieren, sondern mehr auf die Person Jermaine. Das sehe ich auch, wenn ich in den Spiegel schaue und mich daran erinnere, wie ich meine Karriere durchlebt habe. Ein Trainer, der mich als Person mehr gesehen hätte, hätte noch mehr aus mir herausholen können. Huub Stevens und Friedhelm Funkel haben sich mehr auf Jermaine als Person konzentriert als auf den Spieler. Stevens hat mich zurück zu Schalke geholt und ich wurde sofort Stammspieler. Und Funkel hat sich mit mir getroffen und kein Wort über Fußball gesprochen, nur über mich und meine Familie. Mit ihm bin ich dann mit Eintracht Frankfurt aufgestiegen.
Das würde Jones heute nicht mehr machen
SPORT1: 2012 sind Sie absichtlich auf den Fuß von Marco Reus gestiegen. Wie denken Sie heute darüber?
Jones: Wir haben damals schon gesprochen und die Sache war schnell vom Tisch. Ich wollte immer gewinnen. Es war nicht okay von mir. Mir wurde gesagt, dass er sich den Zeh verletzt hatte. Ich wurde gesperrt und habe Marco angerufen und ihm gesagt: „Pass auf, wenn ich dich auf der Straße sehen würde, hätte ich kein Problem mit dir. Es war dumm von mir, das gehört sich nicht.“ Heute würde ich einem meiner Spieler nicht sagen: „Der hat da eine Verletzung, tritt da mal drauf.“
SPORT1: Zu Ihrer Zeit bei Schalke haben Sie Kevin Großkreutz mal an der Außenlinie umgesäbelt. Die Schalke-Fans haben Sie damals abgefeiert. Sie haben den Daumen hoch gezeigt, als Sie Gelb bekommen haben. Diese Szene ging viral. Wie denken Sie heute daran zurück?
Jones: Das sind die besonderen Momente als Fußballer. Du musst gewisse Situationen im Stadion auch lesen können. Ich war immer beliebt bei Schalke und in der Situation wusste ich, dass wir einen Push gebraucht haben. Da habe ich die Gelbe Karte gerne mitgenommen, aber das Stadion war wieder da. Solche Situationen fehlen jetzt auf Schalke. Warum geht da keiner richtig in die Zweikämpfe? Als Spieler fand ich so etwas geil, als Trainer würde ich immer Emotionen verlangen. Emotionen und Tacklings gehören zum Fußball. In der Premier League wirst du für ein hartes Tackling gefeiert.
SPORT1: Ist mit Großkreutz wieder alles gut?
Jones: Ganz ehrlich? Wir haben uns mal in North Carolina bei einem Legenden-Turnier gesehen, der BVB war auch dort. Santana (Felipe Santana; Anm. d. Red.) war auch da, mit ihm habe ich bei Schalke zusammengespielt. Großkreutz stand immer etwas abseits, wenn ich mit den anderen Jungs geredet habe. Einmal bin ich zu ihm hingegangen und meinte: „Pass auf, ich bin Schalker und du Dortmunder, aber wir sind Familienväter, wir sind Männer und können uns die Hand geben.“ Persönlich hatte ich nie etwas gegen Großkreutz, und er nicht gegen mich. „Wenn ich Blau trage und du Gelb, würde es wieder krachen“, sagte ich noch zu ihm. Da musste er lachen.
Goretzka? „Wird sich bei Bayern durchbeißen“
SPORT1: Zu Ihrer Endzeit bei Schalke 2014 kam Leon Goretzka als Talent auf. Wir haben Sie dessen Karriere verfolgt?
Jones: Leon kam als junger Kerl zu Schalke, vorher spielte er in Bochum. Er ist ein super Junge und hat sich toll entwickelt. Bei Bayern hat er großartige Jahre gehabt. Er war, wie ich, jemand, der nie aufgab. Das spricht jetzt für Goretzka, dass er nicht aufgeben will. Er sieht die aktuelle Situation als Herausforderung. In der Champions League gegen Zagreb hat er wieder getroffen. Leon wird sich bei Bayern durchbeißen. Das sieht man auch an Thomas Müller, der bei dem einen oder anderen Trainer schon mal auf der Bank saß. Er hat ebenfalls nie aufgegeben. Ab und zu musst du einfach kämpfen. Ich finde es gut, dass Leon bei Bayern weitermacht.
SPORT1: Eine dunkle Phase in Ihrer Karriere war sicher die Zeit, als Sie regelmäßig Schmerztabletten genommen haben. Oder?
Jones: Es war eine schlimme Zeit. Ich habe viele Voltaren-Tabletten geschluckt. Anfangs war das für mich kein Problem. Es wurde aber nicht vom Arzt gepusht, ich habe die Tabletten genommen, weil ich spielen wollte. Ich wollte jedes Wochenende spielen. Und wenn du alle drei Tage spielst, geht das auf den Körper. Das merke ich heute: Ich habe Verschleiß im Nacken, einen großen Nagel im Schienbein und zwei Schrauben im Fuß. Der Sport hinterlässt Spuren. Damals musste ich Tabletten nehmen, um spielen zu können, und Voltaren war dafür eine Option.
SPORT1: Bis zu einem gewissen Punkt …
Jones: Ja, ich hatte einen Haarriss im Schienbein und jeder wusste, dass ich nach der Saison operiert werden muss. Im schlimmsten Fall hätte mein Schienbein brechen können. Ich wollte die Operation aber hinauszögern, hatte jedoch immer wieder Schmerzen. Also habe ich Tabletten genommen und es ging eine Zeit lang gut. Irgendwann hat sich mein Körper an die Tabletten gewöhnt. Einmal stand ich in der Dusche und habe Blut gespuckt. Da sagte der Arzt zu mir: „Das war‘s, du darfst keine Tabletten mehr nehmen.“
SPORT1: Ist das im heutigen Fußball auch eine Gefahr?
Jones: Man muss nicht einmal Tabletten nehmen, der Sport zehrt so oder so an einem. Besonders die Spieler großer Klubs wie Bayern München spüren das. Viele hören heutzutage früher auf. Damals haben wir gespielt, bis es einfach nicht mehr ging.
Jones kann Anton-Wechsel verstehen
SPORT1: Im Internet-Forum von Eintracht Frankfurt haben Sie damals nach Ihrem Wechsel zu Schalke Beiträge geschrieben, die von den Fans unterschiedlich aufgenommen wurden. Hervorzuheben ist hier vor allem der Beitrag mit dem Titel „Nichts als die Wahrheit“ (NadW). Wie bewerten Sie da den Wechsel von Waldemar Anton im Sommer vom VfB Stuttgart zu Borussia Dortmund?
Jones: Ich kann Anton absolut verstehen. Leider war seine Kommunikation im Vorfeld unglücklich. Du wirst dafür bezahlt, Fußball zu spielen - so einfach ist das. Du kannst dein Leben für einen Verein geben, aber wenn der Trainer dich nicht mehr will, wirst du beiseitegeschoben. Fußball ist ein eiskaltes Geschäft. Bei mir war es ähnlich. In Frankfurt war ich ein Held und wollte dortbleiben. Doch dann kam Schalke mit einem extrem guten Angebot. Daraufhin wurde ich von den Verantwortlichen den Fans zum Fraß vorgeworfen. Frankfurt war mein Zuhause. Natürlich verstehe ich auch die VfB-Fans, aber zu viele Leute haben da mitgeredet. Jeder hätte das getan, was Anton gemacht hat. Auch ich wurde als Judas beschimpft.
SPORT1: Auf Schalke herrscht wieder Chaos.
Jones: Schalke ist wie die Eintracht ein Herzensverein für mich. Ich habe beiden Klubs viel zu verdanken. Bei Schalke vermisse ich den Ehrgeiz und den Willen. Die Fans haben es nicht verdient, dass der Verein dasteht, wo er jetzt ist. Man muss auf Schalke wieder zu der Zeit zurückkehren, bevor man in der Champions League gespielt hat. Keiner reißt sich mehr den Arsch für Schalke auf, keiner gibt alles für das königsblaue Trikot. Das vermisse ich. Ich würde gerne helfen. Es ist traurig, was dort gerade passiert. Man muss zu den alten Tugenden zurückfinden.
Jones bald Schalke-Trainer?
SPORT1: Würden Sie Schalke gerne trainieren?
Jones: Natürlich. Ich will Schalke immer helfen, egal in welcher Position. Auch als Co-Trainer wäre es sicher toll. Ich kenne den Verein, hatte dort eine gute Zeit. Ich habe mich vom Ersatzspieler zum Stammspieler durchgekämpft. Die Leute auf Schalke lieben mich und ich bin mir sicher, dass ich den Verein unterstützen könnte.
SPORT1: Ben Manga kam als Kaderplaner und ist jetzt der neue starke Mann. Ist es gefährlich, dass er jetzt das Sagen hat?
Jones: Ben habe ich damals in Frankfurt kennengelernt, als er unter Fredi Bobic gearbeitet hat. Ben macht seine Arbeit gut. Sein Scouting-System ist hervorragend, er braucht nur Zeit. Wenn zu viele Leute mitreden wollen, gibt es ein Problem. Ben hat einen Plan, er weiß, was er macht. Unsere Gespräche waren immer offen und ehrlich. Er wird genau schauen, wer als Trainer passen könnte. Ich hoffe so sehr, dass es mit Schalke wieder aufwärtsgeht.
SPORT1: Nach unseren Informationen beschäftigt sich Schalke mit Spaniens Legende Raúl. Was sagen Sie dazu?
Jones: Raúl könnte passen. Er kennt das Umfeld, hat dort gespielt und war ein Fanliebling. Er hat mehrere Jahre bei Real Madrid II bewiesen, dass er als Trainer einen guten Job macht. Raúl hat im Trainergeschäft bereits Erfahrung gesammelt. Ich könnte mir vorstellen, Co-Trainer unter Raúl zu sein. Wir haben zusammen bei Schalke gespielt und weiterhin Kontakt gehalten. Ich könnte eine gute Ergänzung in seinem Trainerstab sein. Natürlich könnte ich Raúl unterstützen und wäre dazu bereit.
SPORT1: Was wünschen Sie Ihrem Herzensverein Schalke 04?
Jones: Ich wünsche Schalke, dass bald Ruhe einkehrt und sie irgendwann wieder in der Bundesliga spielen. Schalke muss wieder zu sich selbst finden, so wie es früher war. Schalke 04 ist so ein geiler Verein mit einer unheimlichen Wucht und tollen Fans.
Jones verteidigt Klinsmann
SPORT1: Was zeichnet Sie als Trainer aus?
Jones: Meine Tugenden: Ehrlichkeit, guter Wille und Zuverlässigkeit. Ich möchte als Trainer eine Chance bekommen. Ich bin jemand, der in den USA viel gelernt hat. Ich weiß, was es bedeutet, hart zu arbeiten. Ich kann mit Spielern umgehen und ihre Sprache sprechen. Und ich habe viel Erfahrung.
SPORT1: Jürgen Klinsmann wurde zuletzt für seine USA-Zeit sehr von Tim Howard kritisiert. „Ich war vor, während und nach seiner Amtszeit dort. Ich habe 15 Jahre für die Nationalmannschaft gespielt und ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der die Kluft zwischen den Spielern und dem Trainer größer war als unter Jürgen Klinsmann“, schrieb Howard in einer Kolumne für die Daily Mail. Wie war es wirklich?
Jones: Die Amerikaner kritisieren oft, wenn die Leute nicht mehr da sind. Dann wird nachgetreten. Ich hätte mir gewünscht, dass er das gesagt hätte, als Klinsmann noch im Amt war. Als Leader einer Gruppe hätte Tim Howard sich hinstellen und das aussprechen sollen. Das hat er aber nicht gemacht. Es ist immer traurig, wenn nachgetreten wird und der Trainer nicht mehr da ist. Klinsmann hatte eine Strategie, die man bis heute im US-Fußball sieht. Es gab keine Kluft zwischen dem Team und Klinsmann. Den meisten Amerikanern hat einfach nicht gefallen, dass er vieles verändert hat, auch in der Kultur. 2010 gab es bei uns noch Pizza und Dr. Pepper. Klinsmann hat deutsche Tugenden eingebracht.