Cornelius „Corny“ Littmann ist eine schillernde Figur in Hamburg. Er ist Theatermacher, Schauspieler und Regisseur. Von 2002 bis 2010 war der gebürtige Münsteraner zudem Präsident des FC St. Pauli. Nach dem Aufstieg in die Bundesliga trat Littmann damals überraschend von diesem Amt zurück.
„Hoeneß schadet dem FC Bayern nie“
Er liebt den Kiez und hat seinen FCSP fest im Herzen verankert. Der 71-Jährige hat SPORT1 zu einem exklusiven Interview in seinem Theater Schmidts Tivoli empfangen, um über den Aufstieg seines Herzensvereins zu sprechen.
SPORT1: Herr Littmann, wie fühlen Sie sich? St. Pauli ist wieder zurück in der Bundesliga. Hella von Sinnen sagte einmal bei SPORT1, sie fühle sich gerührt und geschüttelt, als sie über ihren 1. FC Köln sprach.
Corny Littmann: Gerührt und geschüttelt jetzt nicht, aber ich bin schon euphorisiert. Ich bin froh, dass wir das verdientermaßen erreicht haben. Am Ende musste noch etwas gezittert werden, aber zum Glück ist alles gut gegangen.
SPORT1: Wie beurteilen Sie diese Saison?
Littmann: Der sportliche Aufstieg des FC St. Pauli hält schon eine ganze Zeit an. Das war schon in der zweiten Hälfte der letzten Saison sehr erfolgreich und hat sich dann in dieser Spielzeit zum Glück fortgesetzt. Das war ein kontinuierlicher Prozess und ein Beweis dafür, dass es gut ist, an Bewährtem festzuhalten und nicht bei einer kleinen Krise gleich den Trainer zu entlassen. Erinnern wir uns an den Anfang der Saison, da gab es etliche Unentschieden und wir standen auf Platz acht. Das war sportlich nicht so erfolgreich.
SPORT1: Ist Fabian Hürzeler der Vater des Erfolgs?
Littmann: Es gibt im Fußball bei jeder Mannschaft nicht nur einen Vater des Erfolgs. Daran sind immer mehrere beteiligt. Die Konstellation im Team ist sehr wichtig. Man kann nicht nur elf Häuptlinge haben. Das Team, das Hürzeler zusammengebaut hat, war die eigentliche Stärke in dieser Saison.
„Er hat noch Zeit, ein zweiter Klopp zu werden“
SPORT1: Ist Hürzeler der Klopp vom Kiez?
Littmann: Fabian Hürzeler ist sicherlich ein entscheidender Faktor für diesen Erfolg. Und er ist erst 31 Jahre alt. Er hat noch Zeit, ein zweiter Klopp zu werden.
SPORT1: Er kann ähnlich emotional sein und austeilen, wie man beim Streit zwischen ihm und Steffen Baumgart gesehen hat, Stichwort Aufwärmen vor dem Derby. Die Steigerungsläufe von St. Pauli endeten in der HSV-Hälfte.
Littmann: Fabian Hürzeler ist Gott sei Dank nicht auf den Mund gefallen, und dass er bei Gelegenheit mal etwas raushaut, finde ich absolut in Ordnung. Da gibt es Trainer, die in der Vergangenheit ganz andere Dinge gesagt haben als er nach dem Derby gegen den HSV. Man sollte sich nicht an solchen Kleinigkeiten aufhalten.
SPORT1: Aber muss man das machen? Man steigt auf, und im größten Moment stichelt man dann gegen den Stadtrivalen.
Littmann: Das war ein sehr emotionaler Moment. Es war klar, dass der HSV uns nicht mehr überholen kann. Dass dabei das eine oder andere Wort fällt und die Emotionen etwas überkochen, ist verständlich.
Er legte das Fundament für den Erfolg
SPORT1: Sie haben den Klub damals gerettet. Der Verein war insolvent und Sie haben ihn wieder nach oben gebracht. Es gab dann die Retterspiele. Wie viel Corny steckt noch im Erfolg von heute?
Littmann: Gar nicht so viel. Was wir geschafft und erreicht haben in den acht Jahren meiner Präsidentschaft, war, dass wir zusammen mit vielen Menschen den Verein wirtschaftlich auf gesunde Beine gestellt haben. Als ich gegangen bin, war der Klub schuldenfrei. Und wir haben das neue Stadion gebaut, das war dringend notwendig. Ohne diese beiden Fundamente wäre der heutige Erfolg gar nicht möglich gewesen. Damals wären wir fast in die Oberliga abgestiegen. Ich bin froh, dass alles besser geworden ist.
SPORT1: Sie sind 2010 mit dem damaligen St.-Pauli-Trainer Holger Stanislawski aufgestiegen. Können Sie einen Vergleich zu heute ziehen?
Littmann: Der Aufstieg 2010 war damals im Winter nicht so absehbar wie im vergangenen Winter. Damals standen wir nicht so konstant an der Spitze. Der Aufstieg war 2010 überraschender als jetzt. In dieser Saison wurde der Aufstieg fast schon erwartet.
SPORT1: Wenn Sie Stanislawski und Hürzeler vergleichen müssten, was fällt Ihnen dazu ein?
Littmann: Die beiden haben etwas gemeinsam, nämlich die Fähigkeit, ein Team zu formen. Ein Team besteht jedoch nicht nur aus den elf Spielern auf dem Platz. Stani und Hürzeler können den Spielern vermitteln, dass jeder Einzelne wichtig ist für die Mannschaft. Bei unserem Aufstieg 2010 in Fürth waren alle dabei. Wir waren wie eine große Familie, die damals ins Frankenland gereist ist. Und jeder hat sich als Teil der Aufstiegsmannschaft gefühlt.
SPORT1: Was trauen Sie Fabian Hürzeler noch zu? Und wie lange kann man ihn halten?
Littmann: Hürzeler steht eine große Karriere bevor. Mit 31 Jahren ist er noch ein sehr junger Trainer und schon so erfolgreich. Und er hat noch etwa 30 Jahre vor sich, um in diesem Beruf zu arbeiten. Ob er das schafft und wie lange er beim FC St. Pauli bleibt, ist eine andere Frage. Es wäre klug, zunächst ein Jahr in der Bundesliga zu bestehen. Danach sollte er in Ruhe darüber nachdenken, ob es sinnvoll wäre, noch ein weiteres Jahr dranzuhängen. Viele junge Talente, die früh erfolgreich waren, haben den Fehler gemacht und sind zu schnell zu einem höherklassigen Verein gewechselt. Das hat nicht allen gutgetan.
„Hürzeler könnte in 20 Jahren immer noch Bayern-Trainer werden“
SPORT1: Hürzeler spricht oft über den FC Bayern. Auf die Münchner freut er sich in der neuen Saison besonders. Es wirkt fast so, als würde er sich damit positionieren.
Littmann: Hürzeler wird nicht nur in Deutschland Begehrlichkeiten wecken, wenn er als Trainer weiterhin so erfolgreich arbeitet. Ich freue mich sehr für ihn. Trainer beim FC Bayern ist ein heißes Pflaster. Hürzeler könnte in 20 Jahren immer noch Bayern-Trainer werden.
SPORT1: Aktuell finden die Bayern aber gar keinen Trainer, auch weil Sebastian Hoeneß, ein junger Typ wie Hürzeler, lieber in Stuttgart bleibt. Wie sehen Sie das?
Littmann: Ich finde es sehr gut, wenn junge Trainer nicht gleich nach dem ersten Erfolg drei Stufen höher hinaus wollen. Und im Theater gilt im Übrigen fast das Gleiche. Wobei Theater nicht der richtige Vergleich ist, das Fernsehen ist der richtige Vergleich. Ein Comedian, der mit seinem Auftritt in einer Fernsehsendung erfolgreich ist, tut nicht gut daran, sich gleich mit dem Sender zu verheiraten und permanent vorzukommen. Meistens sind sie dann so Mitte, Ende 20. Wenn sie sich die Karrieren ihrer Kollegen ansehen, werden sie feststellen, dass diese nach zehn Jahren vom Bildschirm verschwunden sind. Dann sind sie aber erst 40 Jahre alt, und was machen sie dann? Diese Gedanken machen sich nur wenige, die nehmen den Erfolg mit, so viel und so oft sie können, das finde ich etwas fatal.
SPORT1: Kann Fabian Hürzeler so einer wie Nagelsmann werden? Vom Typ her ähneln sie sich, beide jung, beide hatten als Spieler keine große Karriere…
Littmann: Fabian Hürzeler kann vieles werden, und ich glaube, er tut nicht gut daran, sich jetzt schon mit anderen zu vergleichen. Es ist gut, wenn er Vorbilder hat, vielleicht auch Vorbilder aus ferner Vergangenheit. Mir geht es als Schauspieler da ganz ähnlich. Meine Vorbilder leben alle nicht mehr, Volkstheaterschauspieler, die ich heute noch großartig finde. Ich glaube nicht, dass Hürzeler sagen muss: „Ich bin wie Nagelsmann oder wie Sebastian Hoeneß.“ Er ist er selbst und wird seinen eigenen Weg finden.
SPORT1: Was muss St. Pauli machen, um die Nummer 1 der Stadt zu bleiben?
Littmann: Ich glaube für die nächste Saison gibt es nur ein Ziel, und das ist der Klassenerhalt. Die zweite Saison wird etwas schwieriger, wenn wir die Klasse halten können. Dann geht es darum, sich in der Bundesliga zu etablieren, das ist ein ganz schwieriger Prozess.
Littmann: „Hoeneß schadet nie“
SPORT1: Wir müssen auch über Uli Hoeneß sprechen. Sie haben damals die bekannten „Retterspiele“ gemacht. Sind Sie befreundet? Was sagen Sie dazu, dass er vom Tegernsee immer wieder vorprescht?
Littmann: Uli Hoeneß ist so, wie er ist. Wir sind gut bekannt, aber befreundet wäre ein bisschen zu viel gesagt. Ich schätze ihn sehr, und er ist einer der letzten verbliebenen großen Figuren des deutschen Fußballs. Er hat den deutschen Fußball geprägt, vor allem natürlich den FC Bayern München. Dass er sperrig ist und nicht immer allen nach dem Mund redet, das ist Hoeneß. Genauso wenig sitzt er ruhig am Tegernsee, schwimmt oder dreht Däumchen. Er hat eine ganze Menge an Macht abgegeben, aber seine Stimme letztendlich noch nicht, und die wird auch weiter ertönen, in welcher Färbung auch immer.
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SPORT1: Schadet er damit nicht seinem FC Bayern?
Littmann: Erstens glaube ich nicht, dass er dem Verein damit schadet, und zweitens bin ich der Meinung, dass keiner beim FC Bayern bei Uli Hoeneß anrufen würde und ihm vorwerfen würde, dem Verein zu schaden. Hoeneß schadet dem FC Bayern nie. Er ist und bleibt eine Lichtfigur, der man es auch erlaubt, so zu reagieren, auch wenn man sich darüber ärgert.
SPORT1: Auch beim HSV kriselt es, auf ganz andere Weise. Ganz ehrlich: Tut Ihnen der HSV leid?
Littmann: Das ist der falsche Ausdruck dafür. Ich bin verwundert darüber, dass der HSV mit einer Mannschaft, die doppelt so teuer ist wie die des FC St. Pauli sportlich nicht den Erfolg hat, den der Verein eigentlich haben müsste. Und das über Jahre hinweg. Spiele vom HSV habe ich mir angeschaut und muss sagen, egal welcher Trainer es auch immer war, Tim Walter oder Steffen Baumgart, ich habe keinen attraktiven Fußball gesehen.