Max Kruse wollte eigentlich „nicht so viel reden“ - aber drei Dinge wollte er dann doch loswerden, als er ein überraschendes neues Kapitel aufschlug.
Bitteres Ende für den letzten Rebellen?
„Ich habe richtig Bock auf Fußball, bin erfolgshungrig und will mit dem SC Paderborn 07 oben angreifen“, bekundete der frühere Nationalstürmer, als er sich im Sommer dem Fußball-Zweitligisten aus Westfalen anschloss.
Es wäre eine schöne Geschichte gewesen, wenn es geklappt hätte - stattdessen hat sich der spektakuläre Personal-Coup nach weniger als fünf Monaten als Missverständnis für beide Seiten erwiesen.
Und möglicherweise auch als eher unwürdiger Karriereausklang für einen bunt schillernden, in mancher Hinsicht unvollendeten, aber oft auch unterschätzten Fußballkönner.
Max Kruse eckte schon als Jungprofi an
14 Jahre ist es mittlerweile her, dass Kruse erstmals überregional auf sich aufmerksam machte - auf und neben dem Platz.
Beim FC St. Pauli etablierte sich der damals 21-Jährige aus dem Hamburger Vorort Reinbek als vielseitig einsetzbare Offensivwaffe, der mit seiner selbstbewussten Rampensau-Aura bisweilen aber auch damals schon aneckte. Zu einem gewissen Legendenfaktor brachte es damals ein von Kruse auf Facebook gepostetes Video, in dem er als halbnackter „MC Max“ über anzügliche Begegnungen im Hamburger Nachtleben rappte.
Holger Stanislawski, der damalige Coach des Kiezklubs, nannte seinen Jungstar damals öfters „Vollpfosten“. Es war hauptsächlich lieb gemeint, blieb aber haften, auch als Kruse höhere Sphären erreichte.
„Damenbesuch“ soll ihn die WM 2014 gekostet haben
Mit seinem Wechsel zum SC Freiburg 2012 gelang Kruse der Bundesliga-Durchbruch, mit elf Toren trug er entscheidend dazu bei, dass die Breisgauer damals Platz fünf und die Europa League erreichten. Ein Wechsel zu Borussia Mönchengladbach und erste Berufungen in die Nationalmannschaft waren die nächsten Karriereschritte.
Trotz einer erneut herausragenden Saison (zwölf Tore, elf Vorlagen) fehlte Kruse allerdings im Kader, der dann die WM 2014 in Brasilien gewinnen sollte.
Der angebliche Grund, den seinerzeit die Sport Bild kurz nach der Nicht-Nominierung enthüllte: Kruse wäre im November 2013 bei einer Länderspielreise nach England mit unerlaubtem „Damenbesuch“ ertappt worden - und hätte damit Joachim Löws Vertrauen verspielt.
Kruse dementierte das schlüpfrige Gerücht, Löw und der DFB allerdings nicht.
Löw bootete Kruse nach Party-Eklat endgültig aus
Zwei Jahre später warf Löw Kruse endgültig aus der Nationalelf, er hätte „sich zum wiederholten Male unprofessionell verhalten. Das akzeptiere ich nicht.“
Hintergrund war ein Vorfall bei der Feier von Kruses 28. Geburtstag in Berlin: Kruse verstrickte sich dabei in eine Auseinandersetzung mit einer Bild-Reporterin, der er vorwarf, sie ungefragt fotografiert zu haben. Er soll ihr wütend das Handy weggenommen und die Bilder gelöscht haben.
Kruse, der wegen der Eklats auch Ärger mit seinem damaligen Klub VfL Wolfsburg bekam, räumte ein, er hätte „vielleicht etwas unpassend reagiert“.
Kurz zuvor hatte Kruse auch schon für Wirbel gesorgt, als er nach einem Casinobesuch in Berlin mal eben einen Rucksack 75.000 Euro in bar in einem Taxi vergaß. (“Kannst noch einen Tausender draufrechnen“: So erklärte Max Kruse den legendären Taxi-Vorfall)
Poker, Maserati, Podcast, Schlag den Star ...
Spätestens nach diesem Karriereknick hatte Kruse seinen Ruf weg - wobei es ein zwiespältiger blieb. Während die einen ihn als Skandalprofi sehen, der sich ohne Not große Chancen verbaut hat, feiern ihn andere als den letzten echten Typen des deutschen Fußballs.
Das Image als bunter Farbklecks in einer sonst oft glatten, grauen Fußballlandschaft schien Kruse durchaus zu gefallen: Er nährte es mit der Entscheidung, sich einen Maserati zuzulegen und im Tarnfarben-Look zu lackieren sowie auch mit seinem seit dem WM-Jahr 2014 immer intensiver ausgelebten Faible für Pokerturniere.
In den vergangenen Jahren wurde Kruse auch als Gründer eines Motorsport-Rennstalls, als Spielshow-Kandidat (Schlag den Star), Twitch-Streamer, Podcaster und YouTuber aktiv: Er betreibt einen gemeinsamen Kanal mit Ehefrau Dilara, aktuell auch zu sehen bei „Promi Big Brother“.
Bei all diesen Boulevard-Aktivitäten geriet oft in den Hintergrund, was für ein herausragender Fußballer Kruse noch bis vor kurzem war.
Ein schwer ausrechenbarer Freigeist
Mit 97 Toren in 307 Bundesliga-Spielen ist er einer der erfolgreichsten (noch) aktiven deutschen Stürmer. Zu seinen großen Stärken zählte, dass er auch auf dem Platz ein schwer ausrechenbarer Freigeist war.
Kruse, der nie ein Nachwuchsleistungszentrum besucht hatte, sondern in der Jugendzeit vom Hamburger Amateurfußball geprägt war, überraschte Gegenspieler oft mit unorthodoxen Ausbrüchen aus Taktik-Schemen, flirrte gekonnt zwischen der Torgefahr eines Vollblutangreifers und dem Spielwitz eines Mittelfeldregisseurs. Als „schwimmende Neuneinhalb“ bezeichnete Kruse sich selbst einmal.
Die sportliche Klasse Kruses hielt ihn auch im fortgeschrittenen Fußballeralter relevant, trotz privater Eskapaden und auch wiederholter Querelen mit seinen Arbeitgebern.
Am Ende wurde das Image zum Bumerang
2020 kündigte er bei Fenerbahce Istanbul wegen ausbleibender Gehaltszahlungen nach Ausbruch der Corona-Pandemie. Der anschließende Wechsel zum damaligen Bundesliga-Aufsteiger Union Berlin endete zur Enttäuschung der Köpenicker damit, dass er im Januar 2022 ein besser dotiertes Angebot des VfL Wolfsburg annahm - wo es dann zehn Monate später zu einem Ende in Unfrieden kam.
Die Suche nach einem neuen Arbeitgeber blieb lang vergeblich, Kruse musste feststellen, dass sein Maverick-Image inzwischen doch zum Bumerang geworden war.
„Natürlich habe ich mit Vereinen gesprochen“, plauderte er im Februar im STAHLWERK Doppelpass auf SPORT1 aus: „Es war auch nicht immer der sportliche Grund für eine Absage. Einige hatten Angst davor, es zu machen.“
Im Sommer schlug dann Zweitligist Paderborn zu, der einst auch schon als turbulente erste Trainer-Station von Stefan Effenberg für Aufsehen gesorgt hatte.
Paderborn-Abgang via WhatsApp
Die Hoffnung auf ein neues Hoch blieb allerdings unerfüllt: Nach zwei Startelfeinsätzen warfen ein Muskelfaserriss und eine Nackenverletzung Kruse zurück. Den Anschluss fand er seitdem nicht mehr, kam nur noch zu zwei Joker-Einsätzen beim Tabellenelften von Liga zwei.
Nun bahnt sich laut übereinstimmenden Medienberichten wieder eine Vertragsauflösung an, einmal mehr begleitet von Irritationen: Kruses Aus sickerte offenbar ungewollt infolge einer WhatsApp-Nachricht an die Teamkollegen durch.
Der Abgang ist einmal mehr ein echter Kruse, auch in der nicht branchentypischen Ehrlichkeit der Abschiedsbotschaft: „Ich würde nicht sagen, dass ich jetzt Paderborn-Fan bin, aber ich drücke euch die Daumen“, soll er geschrieben haben. Kruse wünschte dabei dennoch „jedem einzelnen von euch alles Gute und man sieht sich bekanntlich immer zweimal im Leben“.
Ob es nochmal ein Wiedersehen mit Kruse auf dem Fußballplatz gibt, ist ungewiss, schon vor der Paderborn-Zeit hatte Kruse laut über ein Karriereende nachgedacht. Man darf gespannt sein, ob der letzte Rebell stattdessen doch noch einmal für eine Überraschung gut ist.