Neun Spiele, neun Siege. Diese beeindruckende Bilanz kann Fabian Hürzeler seit seinem Amtsantritt im Dezember 2022 als Cheftrainer des FC St. Pauli vorweisen.
Hürzeler: „Jungs zu Großem bereit“
Mit 30 Jahren ist er der jüngste Trainer im deutschen Profifußball. Besser startete in der 2. Bundesliga noch kein Übungsleiter. Innerhalb weniger Wochen formte der Nachfolger von Timo Schultz aus einem Keller-Klub ein Team, das vor Selbstbewusstsein nur so strotzt – und sogar noch Chancen auf den Bundesliga-Aufstieg hat.
Vor dem richtungsweisenden Topspiel am Samstag beim 1. FC Heidenheim (LIVE im TV auf SPORT1) spricht Hürzeler im SPORT1-Interview über die Serie der Kiezkicker, das Duell mit dem HSV und gibt Einblick in seine Arbeit als Trainer.
„Es darf nicht zur Hürzeler-Show werden“
SPORT1: Herr Hürzeler, neun Siege in neun Spielen seit Ihrem Amtsantritt. Was macht das mit Ihnen?
Fabian Hürzeler: Ganz ehrlich? Relativ wenig. Weil ich mich schon immer auf das Sportliche und Inhaltliche konzentriert habe. Ich versuche bewusst, mich zusammen mit den Spielern zu entwickeln. Auch an einem freien Tag bin ich im Büro und analysiere, was wir noch besser machen können. Natürlich bekomme ich den Hype mit. Aber viel macht es wirklich nicht mit mir. Ich will einfach das Team weiter besser machen. Mir ist aber eine Sache ganz wichtig…
SPORT1: Welche?
Hürzeler: Es darf nicht zur Hürzeler-Show werden. Die Mannschaft ist wichtig, sie muss es auf dem Platz umsetzen. Das klappt bisher sehr gut. Die Jungs zeigen eine tolle Bereitschaft und Mentalität. Sie arbeiten im Training total fokussiert. Das Training ist und bleibt die Basis. Ich habe eine tolle Mannschaft und auch einen tollen Staff, ohne den das Ganze nicht funktionieren würde.
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SPORT1: Aber Hand aufs Herz, denken Sie bei dieser tollen Serie nicht auch mal: „Bitte kneift mich“? In den europäischen Top-5-Ligen sucht man so eine Serie aktuell vergeblich.
Hürzeler: Ich freue mich natürlich über unsere Serie. Ob das jetzt neun Siege in Serie sind, oder ob wir ein Mal Remis spielen und dann wieder gewinnen – jeder Sieg ist schön für mich. Ich freue mich, auch am Abend nach dem Spiel mit meinem Trainerteam zusammenzusitzen und ein, zwei Getränke aufzumachen. Ich genieße die Siege. Nur sollten wir auch auf dem Boden bleiben und weiter schauen, wo wir uns verbessern können. Der Fußball ist schnelllebig, in acht Wochen kann es auch wieder ganz anders aussehen. Vor acht Wochen waren wir noch ein Abstiegskandidat.
Heidenheim-Spiel bringt „Klarheit“
SPORT1: Ist Ihr Team aufstiegsreif?
Hürzeler: Schwierige Frage. Das nächste Spiel in Heidenheim wird da vielleicht Klarheit hineinbringen. Wir haben jetzt neun Spiele gewonnen, da war nicht immer nur Spielglück entscheidend. Der Sieg am Wochenende gegen Regensburg war etwas glücklich. Die Jungs kommen immer mehr zur eigenen Stärke zurück und sind zu Großem bereit. Jetzt liegt es an ihnen, wie gierig sie weiter sind. Wenn sie sich jetzt für den bequemen Weg entscheiden, wird es schwer. Wenn sie aber bereit sind, Widerstände anzunehmen, haben sie noch viel Potenzial. Wozu das dann reicht, vermag ich momentan aber nicht zu beurteilen.
SPORT1: Sie können dem HSV ganz schön Druck machen. In drei Wochen kommt es zum Stadtderby.
Hürzeler: Ich schaue wirklich nur auf uns. Das Derby ist erst in drei Wochen. Da sind noch zwei Spieltage dazwischen. Ich konzentriere mich dann auf den HSV, wenn es so weit ist. Momentan sind es sechs Punkte zum Stadtrivalen. Wir müssen uns auf uns konzentrieren.
SPORT1: Heidenheim, HSV, Darmstadt. Für St. Pauli stehen die Wochen der Wahrheit an. Wie sehr fiebern Sie diesen Duellen entgegen?
Hürzeler: Es ist eine bei Journalisten nicht besonders attraktive Antwort, aber wir tun gut daran, von Spiel zu Spiel zu schauen. Mit der Leistung gegen Regensburg werden wir gegen die drei Top-Teams nicht viel Land sehen.
„Ich spreche die Sprache der Spieler“
SPORT1: Was macht Sie als Typ aus?
Hürzeler: Ich tue mich schwer, über mich selbst zu sprechen. Wenn ich etwas nennen müsste, würde ich sagen, dass ich detailverliebt, ehrgeizig, leidenschaftlich und besessen vom Fußball bin. Ich habe eine große Freude, Trainer sein zu dürfen, spreche die Sprache der Spieler und bin eine freundschaftliche Autorität. Ich bin definitiv keiner, der von oben herab mit den Jungs kommuniziert, sondern immer auf Augenhöhe. Sie wissen, dass ich auch harte Entscheidungen treffe. Trotzdem finde ich es wichtig, auch den Menschen in dem Spieler zu sehen.
SPORT1: Sie rotieren kaum, gegen Regensburg stand zum fünften Mal dieselbe Startelf auf dem Platz. Auch ein Faktor für den Erfolg?
Hürzeler: Ich weiß natürlich nicht, wie es aussieht, wenn wir öfter mal durchtauschen. Der Erfolg hängt nicht nur von den ersten Elf auf dem Platz ab, sondern auch von den Jungs, die nicht spielen. Sie fordern die Stammspieler im Training und so kommt eine Entwicklung zustande. Mir ist eine hohe Intensität in den Einheiten wichtig. Wer das Testspiel gegen Hannover gesehen hat (2:0-Sieg, Anm. d. Red.), dem ist sicher aufgefallen, dass da diejenigen, die wenig Spielzeit in der Liga haben, es sehr gut gemacht haben. Ich bin froh, so einen Kader und Spieler zu haben, die enorm Druck machen.
SPORT1: Ist es schwer, die Ersatzspieler bei Laune zu halten?
Hürzeler: Nein. Mein Anspruch ist, jeden Spieler weiterzuentwickeln, egal, ob er spielt oder nicht. Ich mache auch mit den Spielern, die nicht spielen, Individual-Analysen. Wenn der Einzelne besser wird, profitiert auch das Team davon. Und wenn sich einer nicht entwickelt, leidet die Gruppe darunter. Aber ich fordere Dinge klar ein und genauso klar bin ich darin, wie unser Spiel und unser Training aussehen müssen.
Hürzeler schwärmt von Afolayan
SPORT1: Wie wichtig ist es, dass das Team eingespielt ist?
Hürzeler: Es ist vor allem wichtig, dass alle die Spielidee verstehen. Und ein eingespieltes Team erleichtert natürlich meine Arbeit. Auf bestimmten Positionen sollten immer die gleichen Jungs spielen, damit wir da eine klare Struktur haben – wenn die Leistung stimmt. Aber ich hätte keine Kopfschmerzen, wenn ich ein, zwei Mal wechseln würde.
SPORT1: Oladapo Afolayan kam im Winter und schlug direkt ein. Was ist er für ein Typ?
Hürzeler: Er ist ein richtig guter Junge, unglaublich ehrgeizig, lernwillig und sehr motiviert. Wenn wir zwei Tage nach einem Spiel noch keine Individual-Analyse mit ihm gemacht haben, steht Dapo im Büro und fragt danach. Er hinterfragt sehr viel und ist fleißig. Dapo ist zudem sehr höflich, verhält sich gegenüber seinen Mitspielern super loyal. Ich bin froh, dass er menschlich zum FC St. Pauli passt. Auf dem Platz macht er es mit seinem Speed, seiner Wucht und seiner Stärke im Eins gegen eins gerade sehr gut.
SPORT1: Erfüllt Sie der aktuelle Höhenflug Ihres Teams mit Stolz?
Hürzeler: Ich bin eher stolz auf meine Spieler und den Staff. Und ich bin dankbar und erleichtert, weil es keine einfache Situation war, als ich angefangen habe. Es war schon Druck auf dem Kessel. St. Pauli ist ein großer Verein, der eine enorme Wirkung hat. National, aber auch international.
SPORT1: Wer steigt auf? St. Pauli oder der HSV?
Hürzeler: Ich werde jetzt bestimmt keine Kampfansagen machen, wir stehen sechs Punkte hinter dem HSV.
SPORT1: Warum so vorsichtig?
Hürzeler: Ich will Werte gegenüber der Mannschaft vertreten. Zwei Werte, die mir wichtig sind, sind Demut und Bescheidenheit. Das einzige, was wir beeinflussen können, ist unser nächstes Spiel in Heidenheim.