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"Ich habe kein Mitleid mit Nagelsmann, aber…": Sandhausen-Coach Oral im Interview

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"Ich habe kein Mitleid mit Nagelsmann, aber…": Sandhausen-Coach Oral im Interview

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„Vollstes Verständnis für Nagelsmann“

Sandhausens neuer Trainer Tomas Oral spricht bei SPORT1 über Bayern-Coach Julian Nagelsmann, seinen neuen Job und seine türkische Heimat.
Tomas Oral ist Trainer des SV Sandhausen
Tomas Oral ist Trainer des SV Sandhausen
© Imago
Sandhausens neuer Trainer Tomas Oral spricht bei SPORT1 über Bayern-Coach Julian Nagelsmann, seinen neuen Job und seine türkische Heimat.

Tomas Oral kennt sich aus als Retter. 2009 und 2015 gelang ihm der Klassenerhalt mit dem FSV Frankfurt, 2012 mit dem FC Ingolstadt.

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Seit Montag ist der 49-Jährige neuer Cheftrainer des abstiegsbedrohten Zweitligisten SV Sandhausen. Wieder muss er also einen Verein vor dem Absturz in die 3. Liga bewahren. (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)

Vor dem Spiel beim 1. FC Nürnberg (2. Bundesliga: 1. FC Nürnberg - SV Sandhausen, Sa., 13 Uhr im LIVETICKER) spricht Oral im ersten Interview als SVS-Coach bei SPORT1 über seine neue Aufgabe, die Schiedsrichter-Debatte im deutschen Fußball und stärkt Bayern-Trainer Julian Nagelsmann den Rücken.

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SPORT1: Herr Oral, warum haben Sie sich für den SV Sandhausen entschieden?

Tomas Oral: Das ist ein guter Klub, dort kann man ruhig arbeiten. Mich hat aber auch die Attraktivität der 2. Liga gereizt. Sie zählt zweifelsohne zu den stärksten zweiten Ligen in Europa, wenn nicht sogar in der Welt. Und der SV Sandhausen hat eine Mannschaft, die in dieser Liga bestehen kann. Der Klub durchlebt gerade eine schwierige Phase, aber wenn ich nicht davon überzeugt wäre, das gemeinsam zu packen, hätte ich nicht unterschrieben. Fakt ist, dass es eine reizvolle Aufgabe ist, um auch wieder auf mich selbst aufmerksam zu machen.

SPORT1: Das klingt so, dass Sie den SVS nur als Sprungbrett nutzen wollen.

Oral: Definitiv nicht! Ich bin froh hier zu sein, bin überzeugt von dieser Aufgabe und will mit aller Macht den Klub retten. Darüber hinaus kann ich dann hier auch etwas aufbauen. Jetzt will ich mit der Mannschaft erstmal meine Hausaufgaben machen. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)

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SPORT1: Wann wurde das Ganze konkret?

Oral: Ich war am vergangenen Sonntag in München bei meiner Freundin. Am späten Nachmittag bekam ich einen Anruf aus Sandhausen, man hätte gerade den Trainer (Alois Schwartz, d. Red.) freigestellt und ob ich mir das vorstellen könne. Dann bin ich hingefahren, habe meine Idee vorgestellt und mit den Vereinsverantwortlichen gesprochen, wie ich die Mannschaft und die Situation einschätze. Ich habe genug Erfahrung, kenne solche Situationen und versuche damit dem SVS zu helfen.

Überraschender Anruf bei Freundin in München

SPORT1: Haben Sie mit Alois Schwartz Kontakt aufgenommen?

Oral: Normalerweise suche ich keinen Kontakt zum Vorgänger. Jetzt habe ich es aber gemacht und Alois angerufen, weil wir uns kennen und sich die Ereignisse überschlagen hatten. Ich wurde völlig überraschend kontaktiert und ich habe ihm alles Gute gewünscht. Ich war auch schon das ein oder andere Mal in solch einer Situation, wie er jetzt.

SPORT1: Der SV Sandhausen belegt den letzten Tabellenplatz. Wie groß schätzen Sie die Chance ein, die Klasse zu halten?

Oral: Ich kann natürlich die Tabelle lesen und weiß, wie brisant die Lage ist. Ich will mich voll und ganz darauf konzentrieren, die Mannschaft wieder in die Spur zu kriegen. Wir werden - so abgedroschen es auch klingt - von Spieltag zu Spieltag das Ding angehen, um gegen die Widerstände anzukämpfen und den Turnaround zu schaffen. Wir wollen wieder Spiele gewinnen. Ich will weder von einem möglichen Abstieg reden, noch von diesem hässlichen Tabellenplatz. Das Team hat gerade kein Selbstvertrauen und ist nicht konstant. Darüber brauchen wir nicht diskutieren, sonst wäre ich jetzt nicht Trainer beim SVS. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)

SPORT1: Wie konkret sieht Ihr Rettungsplan aus?

Oral: Diesen werde ich jetzt sicher nicht verraten. Jeder weiß, dass ich das Rad nicht neu erfinden kann. Ich will mit meinem Trainerteam versuchen, der Truppe wieder Leben einzuhauchen. Die Jungs sollen wieder Spaß am Fußball haben. Die Qualität ist absolut da.

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Kommt auch Henke als Co-Trainer nach Sandhausen?

SPORT1: Wie sieht denn der klassische Ablauf in den ersten Tagen aus?

Oral: Ich fahre wieder von null auf 1000 hoch. Normalerweise bin ich zuletzt morgens aufgestanden, habe vormittags Sport gemacht, war in meinem Tagescafé und auch hier und da ein Mittagsschläfchen gemacht. Am Wochenende habe ich mir auch Spiele angeschaut. Das war alles etwas gechillter. Jetzt bin ich wieder im Job und fahre komplett hoch. Es gibt erstmal viele Gespräche zu führen und Abläufe zu koordinieren. Ich muss mich jetzt um die Spieler kümmern und das ist alles sehr intensiv. Dazu kommt die Trainingsarbeit, der eine besondere Bedeutung zukommt. Ich bin froh, dass ich wieder mehr Stress habe.

SPORT1: Wie schwierig ist dieser erneute Eingewöhnungsprozess nach anderthalb Jahren Auszeit?

Oral: Das ist für mich gar kein Problem. Ich kenne diesen Prozess bereits aus früheren Momenten, wenn ich einen Klub übernommen habe. Die Namen der Spieler kannte ich bereits, weil ich im Fußballgeschäft drin bin. Abschalten ist schwer für mich.

SPORT1: Gab es eigentlich die Überlegung, Michael Henke wieder zu Ihrem Co-Trainer zu machen? Sie beide haben erfolgreich in Ingolstadt zusammengearbeitet.

Oral: Michael ist immer ein Thema für mich. Er ist ein erfahrener Fachmann, charakterlich und menschlich einwandfrei. Er steht aber noch in Bielefeld unter Vertrag.

Oral: „Das zerreißt einem das Herz“

SPORT1: Also planen Sie ohne ihn?

Oral: Ja, wir sind gut aufgestellt. Ich habe mit Gerhard Kleppinger einen Co-Trainer an der Seite, der absolut erfahren ist. Er war mein Trainer und beim FSV Frankfurt auch schon mal mein Assistent. Dann haben wir noch Oscar Corrochano als Fußballlehrer dabei, der bereits Profitrainer war. Und mit Marcus Fritz ist ein weiterer Co-Trainer und Spielanalyst mit im Team.

SPORT1: Was haben Sie nach Ihrem Aus beim FC Ingolstadt so gemacht?

Oral: Ich habe mich viel um meine Familie gekümmert und in meinem Café gearbeitet. Und ich war echt viel bei Spielen unterwegs und habe mich oft mit Kollegen ausgetauscht. Zudem habe ich mir auch Trainingseinheiten bei anderen Klubs angeschaut. Langweilig wurde mir nicht. Ich habe versucht, immer weiter im Netzwerk aktiv zu bleiben, um einen Überblick von allen drei Ligen zu bekommen.

SPORT1: Sie haben ein Café?

Oral: Ja, ein Tagescafe in Frankfurt. Das ist mein zweites Standbein, wenn ich mal nicht als Trainer arbeite und mir die Decke auf den Kopf fällt.

SPORT1: Kommen wir zu einem traurigen Thema. Ihre Familie ist in den 1960er-Jahren aus dem türkischen Midyat nach Ochsenfurt ausgewandert. Wie betroffen machen Sie die Erdbeben in der Türkei und Syrien?

Oral: Es ist schrecklich, man darf aber natürlich den Krieg in der Ukraine nicht vergessen. Da passieren gerade fürchterliche Dinge in der Welt. Das Erdbeben hat nach den schwierigen Jahren nochmal das Tüpfelchen auf das i gesetzt. Es ist brutal, wenn man die Bilder sieht. Das zerreißt einem das Herz. Ich kann nur aufrufen, dass jeder von uns angesprochen ist, den Menschen dort unterstützend zur Seite zu stehen. Mit allen Mitteln, die jedem einzelnen zur Verfügung stehen. Durch das Erdbeben sind so viele Familien ausgelöscht worden. Mir tut das sehr weh. Da hat die Türkei leider sehr fahrlässig gehandelt, was erdbebensichere Bauten angeht. Wenn man sieht, wie diese Häuser wie ein Kartenhaus zusammenfallen, dann ist das brutal. Viele Menschen haben gar nichts mehr. Schrecklich. Die Menschheit allgemein ist in der Pflicht zu helfen.

„Ich habe vollstes Verständnis für Nagelsmann“

SPORT1: Sollte der Fußball sich hinterfragen? Jede Woche wird sich über Schiedsrichter-Entscheidungen aufgeregt, dabei gibt es so viel Schlimmeres in der Welt.

Oral: Das stimmt. Die Schiedsrichter haben aber einen schwierigen Stand und durch den VAR wurde es nicht einfacher. Viele Köche verderben den Brei. Man sollte die Referees wieder dahin bekommen, dass sie noch mehr ihre eigenen Entscheidungen treffen. Es wird fast zu viel darüber diskutiert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es nicht leicht für die Schiedsrichter ist. Ich war selbst schon in Situationen betroffen, in denen ich ruhiger hätte reagieren müssen. Man sollte sich gegenseitig respektieren. Der Fußball lebt von Emotionen, dennoch müssen wir aufpassen, dass nicht alles zerredet wird.

SPORT1: Das klingt so, dass Sie Julian Nagelsmanns Ausraster vergangenen Samstag verstehen?

Oral: Ich habe jetzt kein Mitleid mit ihm. Aber ich habe vollstes Verständnis für Nagelsmann, wenn er mal so reagiert. Wenn wir Trainer Emotionen nicht mehr ausleben dürfen, dann Gute Nacht. Klar, Nagelsmann hat etwas über die Stränge geschlagen, aber er hat sich auch sofort wieder beruhigt und entschuldigt. Er ist einer der jüngsten, talentiertesten und erfolgreichsten Trainer im Fußballgeschäft und er darf in seinem Alter auch Fehler machen. Dann soll es auch gut sein. Nagelsmann ist ein Mensch und er macht einen Riesenjob. Es gibt nicht viele, die mit 34 schon so weit sind und diese Erfolge vorweisen können.

SPORT1: Warum schafft der SV Sandhausen mit Tomas Oral den Klassenerhalt?

Oral: Weil der Verein und das Umfeld kampferprobt sind, die Mannschaft die Qualität dazu hat und wir uns hoffentlich das Match-Glück wieder zurück erarbeiten.