Fünf Jahre war Dietmar Beiersdorfer von der Fußballbühne verschwunden. Im November 2021 meldete er sich zurück und wurde beim FC Ingolstadt als Geschäftsführer Sport & Kommunikation vorgestellt. Doch auch er konnte den bereits feststehenden Abstieg der Schanzer in die 3. Liga nicht verhindern. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)
“Natürlich ist das auch mein Abstieg“
Am Samstag kommt der Hamburger SV in den Audi Sportpark (2. Liga: FC Ingolstadt - Hamburger SV, ab 14 Uhr im LIVETICKER). Ein besonderes Spiel für Beiersdorfer, war er doch lange in führender Position beim HSV tätig.
Im SPORT1-Interview spricht der 51-Jährige über seine neue Aufgabe, seine Zeit beim russischen Fußballverein Zenit Sankt Petersburg und die Rothosen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)
SPORT1: Herr Beiersdorfer, wie fühlen Sie sich nach dem feststehenden Abstieg?
Dietmar Beiersdorfer: Am Tag des Abstiegs war es besonders hart. Auch ein, zwei Tage danach. Aber die aktuelle Situation kommt für uns nicht überraschend, sie trifft uns nicht unvorbereitet. Wir hatten uns auch schon vorher mit dem ‚worst case‘ auseinandergesetzt. Im Verlauf der Rückrunde konnten wir die nötigen Punkte leider nicht wie erhofft aufholen, weshalb wir uns gewissermaßen darauf einstellen konnten. Daher gehen wir ja mit einem klaren Plan in die nächsten Wochen und Monate. (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)
SPORT1: Wie waren die ersten Monate im neuen Klub?
Beiersdorfer: Ich kann an dieser Stelle nur Positives berichten - natürlich ausgenommen von unserer schlussendlich unzureichenden Aufholjagd. Wir haben von Beginn an viel analysiert, strukturelle wie personelle Änderungen vollzogen und Entwicklungen angestoßen. Ich bin überzeugt davon, dass neue Impulse und Veränderungen an dieser Stelle für den FCI wichtig sind und diese wollen wir in den nächsten Monaten und Jahren vollziehen.
SPORT1: Ist das auch Ihr Abstieg?
Beiersdorfer: Natürlich ist das auch mein Abstieg, denn ich bin Teil des Ganzen. Aber ich wusste vorher, dass die Situation schwierig wird, deswegen war ich nicht so vermessen und habe gesagt, dass wir das definitiv schaffen werden. Dafür hätte alles zusammenpassen müssen, doch das hat es leider nicht. Natürlich hatten wir im Winter nochmal die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen und ich will mich gar nicht rausreden. Ich muss und werde auch Verantwortung übernehmen. Wir haben versucht, das Ding noch zu drehen, aber es ist uns leider nicht gelungen.
SPORT1: Sie waren fünf Jahre weg. Eine lange Zeit. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Beiersdorfer: Verschiedenes. Natürlich habe ich viel Zeit mit meiner Familie verbracht, vor allem mit meiner Tochter. Das war eine tolle Zeit. Ich habe ja noch eine größere Tochter, bei der während einer langen Zeit ihres Erwachsenwerdens immer nur gearbeitet habe und nicht so bei ihr sein konnte, wie ich mir das gewünscht hätte. Ich habe auch aktiv an anderen Projekten gearbeitet, wie zum Beispiel bei einigen Startups mitgeholfen, diverse strategische Beratungen bei Unternehmen durchgeführt, die im Sportbereich tätig sind. Und ich habe den Kontakt in die Branche nie verloren, hatte auch mehrere Angebote aus dem In- und Ausland. Ich habe meinen Rhythmus verändert, hatte aber wieder große Lust darauf, im Fußball zu arbeiten. Ich bin sehr froh, dass ich das Angebot vom FCI angenommen habe - trotz eines durchaus wahrscheinlichen Abstiegs - wir schauen aber positiv in die Zukunft und versuchen, eine neue Mannschaft aufzubauen, einen neuen Anlauf zu nehmen, bei unseren Mitgliedern, Fans und Partnern Vertrauen zurückzuerlangen und mit positiven Resultaten zu überzeugen.
SPORT1: Warum ist der FCI abgestiegen?
Beiersdorfer: Letztendlich waren wir nicht gut genug, den anderen Mannschaften über 90 Minuten bzw. über die bisher absolvierten Spiele hinweg konstant auf Augenhöhe zu begegnen. Als ich im November kam, hatten wir fünf Punkte. Dann haben wir uns dafür entschieden, mit Rüdiger Rehm einen neuen Trainer zu verpflichten, um kurzfristig einen Impuls zu setzen und die Mannschaft mittel- bis langfristig weiterzuentwickeln. In der Winterpause haben wir nochmal personelle Veränderungen vorgenommen und den zu großen Kader stark reduziert. Wir haben einige gute Spiele gemacht, standen in der Defensive stabiler, haben jedoch in der Offensive zu oft Durchsetzungsvermögen und Abschlussstärke vermissen lassen.
SPORT1: Auch wenn Ihnen die Rettung nicht gelungen ist, haben sich in der Rückrunde auch trotz des Abstiegs Spieler wie Merlin Röhl und Visar Musliu positiv hervorgetan.
Beiersdorfer: Ja, das ist richtig. Merlin hat mit seinen 19 Jahren schon 50 Profi-Spiele bestritten und nimmt sowohl im Klub wie auch in der deutschen U20-Nationalmannschaft eine zentrale Rolle ein. Daher ist es nur logisch, dass es großes Interesse und mehrere konkrete Anfragen verschiedener Bundesliga- und internationaler Klubs für ihn gibt. Spieler mit seinen Fähigkeiten und Potenzialen - laufstark, schnell, groß, raum-, gegnerüberwindend, mutig und selbstbewusst gibt es nur ganz selten. Ich vergleiche ihn gern mit Ryan Gravenberch oder Jude Bellingham, wenngleich diese beiden Spieler sicherlich schon auf einem anderen Level agieren.
Visar hat bereits mehr als 40 Länderspiele absolviert, vor kurzem in der Nationalmannschaft gegen Immobile und Ronaldo herausragende Leistungen gezeigt und unsere Defensive auf ein anderes Level gehoben. Mit seiner aggressiven Zweikampfführung, Schnelligkeit und Mentalität verkörpert er den Prototyp eines kompromisslosen Abwehrspielers, der folgerichtig das Interesse von mehreren europäischen Klubs geweckt hat.
SPORT1: Ist das jetzt auch ein Ansporn in so einer verantwortungsvollen Position viel Neues zu gestalten?
Beiersdorfer: Ich wusste, auf was ich mich einlasse und habe das auch sehenden Auges getan. Wir hatten uns vorher in vertrauensvollen Gesprächen mit den Gremien darüber unterhalten. Wichtig ist, dass wir das alle als Chance auffassen. Wir können nun wieder mehr gestalten und wollen selbstbewusst in die neue Saison gehen. Ich will Orientierung geben, Perspektiven aufzeigen und einen Aufbruch erzeugen.
SPORT1: Gibt es den Radikalschlag?
Beiersdorfer: Radikalschlag würde ich es nicht nennen. Es ist viel passiert in den zurückliegenden Jahren: Es wurden Erfolge gefeiert, es gab aber auch Enttäuschungen. Natürlich werden einige Spieler bei uns bleiben, worüber wir sehr froh sind. Wir werden aber natürlich auch den einen oder anderen sehr verdienten Spieler würdig verabschieden.
SPORT1: Rüdiger Rehm bleibt Trainer. Hat man ihn schon geholt, weil man mit einem Auge bereits den worst case im Kopf hatte und er die 3. Liga bestens kennt?
Beiersdorfer: Unsere Auswahl hinsichtlich des Trainers haben wir bewusst so getroffen, weil wir wussten, dass die Chance, den Abstieg zu vermeiden, sehr gering war. Wenn man die 2. Liga kennt, dann weiß man, dass sie hoch professionell und wettbewerbsfähig ist. Diesen Rückstand aufzuholen war sehr schwierig und natürlich haben wir versucht, an dieser Stelle eine Konstellation zu schaffen, die es uns erlaubt, auch nächstes Jahr mit unserem Trainer zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus ist es wichtig, dass der FCI wieder eine gewisse Kontinuität lebt.
SPORT1: Sie sprachen zuletzt von einem konkreten Plan? Wie sieht dieser aus?
Beiersdorfer: Natürlich sind wir auch nicht ganz neu im Geschäft und wir wissen, dass Kontinuität ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Wir wollen nächstes Jahr bestenfalls wieder in der 2. Bundesliga spielen und wissen alle, dass das unglaublich schwer wird. Wir arbeiten intensiv daran, dass wir in der neuen Spielzeit eine ambitionierte und wettkampforientierte Mannschaft auf dem Platz haben, in die wir - wie gehabt - versuchen werden, bei uns ausgebildete Talente einzubauen.
SPORT1: Brauchten Sie so lange, den Ballast HSV abzuschütteln?
Beiersdorfer: Wenn man hoch emotional in einem Klub drin ist, dann ist es wichtig, alles in Ruhe aufzuarbeiten und umfassend zu reflektieren. Das war nach meiner ersten Trennung als Spieler so, auch nach der zweiten als Sportdirektor und Vizepräsident und nach der dritten als CEO. Natürlich hätten es nicht fünf Jahre sein müssen, aber ich habe einfach eine gewisse Zeit gebraucht. Jetzt bin ich sehr froh, wieder da zu sein, weil ich liebe, was ich mache. Es ist eine spannende und schöne Herausforderung.
SPORT1: Am Samstag kommt der HSV nach Ingolstadt. Was macht das mit Ihnen?
Beiersdorfer: Das Hinspiel in Hamburg war eines meiner ersten Spiele beim FCI, da war es natürlich nochmal ein bisschen anders. Auch am Samstag werde ich das wieder spüren, wenn ich den einen oder anderen, den ich aus der Stadt oder vom Klub her kenne, wieder treffe. Aber ich glaube, das wird ein relativ normales Spiel, leider für uns kein entscheidendes mehr. Für den HSV ist es dagegen ein sehr wichtiges Spiel, weil sich das Team nochmal positionieren kann im Hinblick auf einen möglichen Aufstieg. Wir wollen natürlich versuchen, eine gute Leistung zu zeigen und die Partie zu gewinnen.
SPORT1: Sie können dem HSV schon richtig wehtun. Spüren Sie Rachegelüste?
Beiersdorfer: Nein. Ich bin kein Mensch, der Hass in sich trägt oder versucht, Negativität auf irgendjemandem abzuladen. Jeder ist ein Stück weit seines eigenen Glückes Schmied und der HSV muss auch etwas dafür tun, um sich das zu verdienen. Wir werden uns jedenfalls nicht hängen lassen, weil es ja auch um den Wettbewerb geht. Natürlich können wir dem HSV weh tun. Wir haben nichts zu verschenken.
SPORT1: Empfinden Sie ein Stück weit Genugtuung, dass der HSV seit Jahren auf der Stelle tritt?
Beiersdorfer: Ich habe überhaupt keine Rachegefühle gegenüber dem HSV, das entspricht nicht meiner Art und ehrlich gesagt habe ich das auch nicht nötig. Ich freue ich mich auf das Spiel sowie auf die eine oder andere nette Begegnung.
SPORT1: Warum hat der HSV auch im vierten Jahr wieder solche Probleme?
Beiersdorfer: Ich habe den HSV immer verfolgt. Die Situation des HSV hat sich zuletzt etwas verbessert und die Mannschaft hat oft gute Leistungen gezeigt. Ich glaube, der HSV hat ein Restprogramm, das es grundsätzlich hergibt, auch noch die nötigen Punkte zu holen, die man mindestens für eine mögliche Relegation braucht. Die Hamburger sollten alles dafür tun, das noch hinzukriegen. Für alle HSV-Fans würde ich mich sehr freuen.
SPORT1: Wir müssen auch kurz über den Krieg in der Ukraine sprechen, der weiter die Welt schockiert. Sie waren 2012 bis 2014 Sportdirektor bei Zenit Sankt Petersburg, das ist der Lieblingsklub von Wladimir Putin. Wie denken Sie heute darüber?
Beiersdorfer: Ich habe Putin nie kennengelernt. Ich habe natürlich die eine oder andere Größe in diesem System gesehen. Ich muss allerdings auch dazu sagen, dass das ein System ist, das wir so in der Form nicht kennen und das auch oftmals sehr befremdlich und bedrohend war. Ich habe auch wunderbare Kontakte gehabt zu russischen Bürgerinnen und Bürgern, die einfach dankbar waren, wenn man sie an die Hand genommen und mit ihnen gesprochen hat. Das waren sie eigentlich gar nicht gewohnt. Ich warne davor, dass man alle Russen und Russinnen über einen Kamm schert, aber ich denke, das ist auch in unserer Gesellschaft angekommen.
SPORT1: Wie denken Sie zurück an diese Zeit?
Beiersdorfer: Ich habe knapp zwei Jahre in Sankt Petersburg gewohnt und es gab zuweilen leicht kriegerische Auseinandersetzungen in den Provinzen. Wir in der Stadt haben das gar nicht wirklich mitbekommen, die Pressearbeit ist natürlich auch total konträr im Vergleich zu Deutschland.
SPORT1: Wenn sie jetzt noch dort arbeiten würden, würden sie sofort alles hinschmeißen so wie Markus Gisdol?
Beiersdorfer: Ja, das würde ich tun und ich bin der Ansicht, dass man da auch ein Zeichen setzen muss. Ich finde gut, wie Markus das gemacht hat.