Erst zum zweiten Mal treffen der 1. FC Heidenheim und Werder Bremen in einem Punktspiel aufeinander.
Werders Thriller gegen Heidenheim
An das Hinspiel (3:0) können sich wohl nur noch diejenigen erinnern, die es vor Ort gesehen haben. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)
Viel einprägsamer waren indes die Relegationsspiele im Sommer 2020, als Werder mit Mühe und Not den Abstieg verhinderte und dabei von der Hilfe eines Ex-Spielers profitierte.
Werder Bremen drohte schon 2020 der Abstieg
Es ist das Jahr eins mit Corona. Die ganze Welt ist seit März 2020 in Unordnung geraten, da wird auch der Fußball nicht verschont. Die Saison wird für neun Wochen unterbrochen, bis Mitte Mai ruht der Ball. (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)
Sie endet spät wie nie in den letzten Juni-Tagen in gespenstischer Atmosphäre – es ist die Zeit der Geisterspiele und der Masken auf Trainerbänken.
Und es ist Zeit für neue Bescheidenheit, in mancherlei Hinsicht. Bei Werder Bremen spüren sie das besonders. Der Ex-Meister und Europapokalsieger droht nach 40 Jahren wieder einmal abzusteigen, wo sie doch an der Weser das Ziel „internationaler Wettbewerb“ ausgegeben haben. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)
Am 27. Juni sind sie froh, dass sie noch eine Chance haben, im nationalen Wettbewerb eine erstklassige Rolle spielen zu können. Durch ein 6:1 über lustlose Kölner und einer Niederlage von Konkurrent Fortuna Düsseldorf bei Union Berlin springt die Mannschaft von Florian Kohfeldt vom 17. auf den 16. Platz und darf in die Relegation, was in der damaligen Situation eine Belohnung ist.
Zumal man vor dem Gegner nicht wirklich zittern muss. Der 1. FC Heidenheim kommt mit einer 0:3-Niederlage im Gepäck aus Bielefeld zurück und kann sein Glück kaum fassen, dass der HSV ihn nicht überholt, sondern gegen Sandhausen 1:5 verloren hat.
Vorstandsvorsitzender Holger Sanwald: „Das ist doch alles surreal. Du hast hier keine Zuschauer im Stadion, verlierst 0:3 und feierst den größten Erfolg der Vereinsgeschichte.“
Heidenheim war gegen Bremen klarer Underdog
Heidenheim ist seit sechs Jahren Zweitligist, hat noch nie Bundesliga gespielt. Die Stadt hat nur 50.000 Einwohner und das Pokalspiel, das die Klubs im November 2019 schon zusammengeführt hat, ging mit 4:1 an die Bremer. Nach 18 Minuten stand es schon 3:0. Also bitte, wer ist hier der Favorit?
Nach einer Abstimmung von Kicker-Lesern ist es der Bundesligist, 77,7 % sind dieser Meinung. Doch wie immer vor solchen Spielen fehlt es nicht an Rhetorik aus dem Stehsatz der Fußballweisheiten. Bremens Maximilian Eggestein: „Wir sind leichter Favorit, doch Heidenheim kann befreit aufspielen. Der Druck liegt bei uns.“
Manager Frank Baumann: „Das DFB-Pokalspiel ist diesmal kein Maßstab. Es geht wieder bei Null los.“
Heidenheims Trainer Fran Schmidt betont das auch und versichert, sein Team habe schon oft „aus Rückschlägen Energie gezogen. Meine Jungs werden im Duell mit Werder sicher ein anderes Gesicht zeigen.“
Werder im Hinspiel im Glück, Moisander fliegt
Ein allzu mutiges ist es nicht, aber im Hinspiel am 2. Juli in Bremen sind es ja nicht die Heidenheimer, die in Vorlage treten müssen. Werder müht sich an jenem Donnerstagabend im Dauerregen vergeblich, schießt kein Tor und muss froh sein, dass der Kopfballaufsetzer von Timo Beermann kurz vor Schluss an Pavlenkas Kasten vorbeispringt.
„Wir wurden zu schnell ungeduldig“, moniert Kohfeldt den Offensivvortrag seiner Mannschaft, die aus 68 Prozent Ballbesitz nur zwei Chancen kreiert. Ärger gibt es auch noch: Kapitän Niklas Moisander fliegt mit Gelb-Rot vom Platz (87.) und fällt fürs Rückspiel aus.
Und das droht auch Niclas Füllkrug, der unmittelbar vor einem Freistoß gegen Fin Bartels ausgewechselt wird und den Sinn dieser Maßnahme lautstark vor laufender Kamera bezweifelt, doch Kohfeldt spielt die Szene herunter: „Niclas wird auch am Montag wieder ein sehr wichtiger Spieler für uns sein.“ Er wird ihn vier Tage später trotzdem auf die Bank setzen.
Ex-Bremer Theuerkauf bringt Heidenheim in Not
Montag, der 6. Juli 2020, ist der Schicksalstag für beide Klubs, die wie alle anderen durch Corona Millioneneinbußen zu beklagen haben. Weshalb es noch bedeutsamer als sonst ist, in welcher der beiden Bundesligen man künftig spielt.
Auch der Showdown findet vor leeren Rängen statt, jedenfalls ist das die Vorgabe der DFL. Die Bremer lassen ein Sondertrikot anfertigen, neben dem Sponsorennamen prangt nun das Weser-Stadion auf der Brust.
Psychospielchen sind gefragt in solchen Situationen. „Wir brauchen ein sehr gesundes Selbstbewusstsein“, fordert Baumann fast flehentlich ein.
Und ein bisschen Glück kann auch nichts schaden. Es kommt schon in der 3. Minute angeflogen und der Überbringer ist einer der vier Ex-Bremer im Heidenheimer Kader: Norman Theuerkauf, von 2003 bis 2007 in der Junioren und der 2. Mannschaft aktiv, scheint sein Herz für den Ex-Klub wiederentdeckt zu haben. Sein Rettungsversuch im eigenen Strafraum endet mit einer merkwürdigen Drehbewegung in Richtung eigenes Tor samt Blattschuss in den Winkel. Eine eigentümliche Mischung aus Traumtor und Albtraum.
Nun muss Heidenheim schon zwei Tore erzielen, es gilt die Auswärtstorregelung. Doch es spielt zunächst nur Werder, Rashica und Klaasen prüfen Kevin Müller, der besteht. Das 0:1 zur Pause ist aus Heidenheimer Sicht fast schon glücklich, so unglücklich auch das einzige Tor gefallen ist.
Spielerfrauen machen verbotene Stimmung
Aus der Kabine kommt ein anderer FCH, der für Kultkicker Frank Schnatterer eingewechselte Stefan Schimmer hat in den ersten drei Minuten gleich zwei Chancen. Dann kommt Werder wieder auf, Augustinsson und Sargent vergeben weitere Chancen.
Heidenheim braucht Verstärkung, welcher Art auch immer. Das denken sich auch die Spielerfrauen, die die Partie bis dahin in den VIP-Räumen verfolgen. Nach einer Stunde kommen sie und einige FCH-Mitarbeiter auf die Tribüne und machen (verbotene) Stimmung.
Schon vorher sind Geräusche, die von einer einsamen Trommlerin (Werder) und einem Bratpfannenschläger (Heidenheim) ausgehen, zu hören. Sogar eine Kuhglocke ist zu vernehmen. Etwa zehn Minuten hält die skurrile Tribünenbesetzung an, dann werden die rund 30 allzu leidenschaftlichen Anhängerinnen vom FCH-Vorstand vertrieben.
So bleibt der über die Mikrofone vernehmbare Jubel über den späten Ausgleich durch Tim Kleindienst nach einem Lattenschuss von Patrick Mohr (85.) den Spielern und Betreuern vorbehalten.
Werder Bremen gelingt emotionale Rettung
Noch einmal muss Werder um den Klassenerhalt zittern. Dann ist wieder Unglücksrabe Theuerkauf behilflich, der ausrutscht und Joker Bartels freie Bahn lässt. Der spielt zum freistehenden Kollegen Ludwig Augustinsson, der es fast noch fertig bringt, aus 15 Metern das leere Tor zu verfehlen, doch ist die Lattenunterkante behilflich – 1:2 (90.).
Das ist die Entscheidung, aber nicht der Sieg. Felix Brych lässt acht Minuten nachspielen und gibt nach einem Foulspiel von Theodor Gebre Selassie an Mohr Elfmeter. Kleindienst schießt sein zweites Tor, aber danach ist sofort Schluss.
Kohfeldt wirft sich vor Freude auf den Boden, die Spieler tanzen vor leeren Rängen und sind alle nur froh ,dass es vorbei ist. Und dass der große Claudio Pizarro, damals 41 und auf der Ersatzbank, seine Karriere nicht mit einem Abstieg beenden muss.
Aber sie ahnen, dass die guten Zeiten vorbei sind. „Ein Weiter-so darf es nicht geben!“, fordert Kohfeldt. Weil es aber doch so weitergeht, steigt Werder im folgenden Jahr ab und muss heute wieder mal nach Heidenheim.