Gianluca Gaudino durchlief die Jugendabteilungen des FC Bayern und spielte von 2014 bis 2015 bei den Profis. Dort trainierte er unter Pep Guardiola. Der Spanier mochte den Sohn des früheren Bundesligaspielers Maurizio Gaudino, förderte und lobte ihn. Doch der Durchbruch wollte dem Mittelfeldspieler beim Rekordmeister nicht gelingen.
Gaudino: "Pep-Lob nicht zu viel"
Es folgten die Stationen St. Gallen, Chievo Verona und BSC Young Boys. Jetzt entschloss sich Gaudino zu einer Rückkehr nach Deutschland. In der nächsten Saison spielt der 24-Jährige beim SV Sandhausen in der 2. Liga.
Im SPORT1-Interview spricht er über diese Entscheidung, ein Vorurteil, seine Bayern-Zeit - und Guardiola.
SPORT1: Herr Gaudino, Sie sind zurück in Deutschland. Warum haben Sie sich für den SV Sandhausen entschieden?
Gianluca Gaudino: Ich muss das sagen, was man als Fußballer oft sagt auf so eine Frage, aber es gab wirklich den einen Grund. Die Gespräche mit den Leuten vom Verein haben mir einfach gefallen. Ich konnte mich ausführlich mit dem Trainer (Stefan Kulovits, Anm. d. Red.) und dem Sportdirektor (Mikayil Kabaca, Anm. d. Red.) unterhalten, hatte auch die Möglichkeit, mir ausgiebig alles anzuschauen. Alles ist dort so familiär und aufgeschlossen, das hat mir einfach gefallen. Ich kann mich mit dem, wie die Verantwortlichen mich sehen, total identifizieren. Sie sind mir authentisch begegnet.
Gaudino: "Ich kann meine Kritiker nicht verstehen"
SPORT1: Waren die Gespräche der einzige Grund?
Gaudino: Nein. Sicherlich habe ich mich auch für den SVS entscheiden, weil ich damals im benachbarten Schwetzingen aufgewachsen bin. Meine Großeltern wohnen in der Nähe in Heidelberg und in Rheinau. Das war auch ein Grund, der bei der Entscheidung eine Rolle gespielt hat. Außerdem ist der Klub sehr ambitioniert. Ich will noch mal richtig angreifen und habe einen Klub gesucht, bei dem mir der nächste Schritt gelingen könnte. Ich will mich in Deutschland noch mal beweisen und es allen zeigen.
SPORT1: Es ist für Sie ein kompletter Neustart. Kritiker sagen, Sie haben bisher den Durchbruch noch nicht geschafft. Was erwidern Sie denen?
Gaudino: Das Gerede kenne ich, aber ich höre meine Kritiker gar nicht. Ich halte mich zum Beispiel auch bei Social Media ziemlich raus und lese mir auch generell nicht viel durch, was über mich geschrieben steht. Wenn ich jetzt konkret darauf angesprochen werde, dann sage ich nur eines: Ich kann meine Kritiker nicht verstehen.
SPORT1: Wirklich nicht?
Gaudino: Ich weiß schon, was sie mit dieser Frage nach dem Durchbruch meinen. Ich habe in den zurückliegenden Jahren den Durchbruch als Mensch geschafft. Hätte ich beim FC Bayern schon Stammspieler sein müssen oder hätte ich mehrmals schon in der Champions League spielen müssen? Ich habe im Profibereich schon viel Erfahrung sammeln können.
SPORT1: Wie selbstkritisch sind Sie? Sie sind in St. Gallen und Verona nicht über den Status des Ergänzungsspielers hinweg gekommen.
Gaudino: Das stimmt. Ich hatte in den vergangenen Jahren bis auf Bern wenig Einsatzzeiten, aber konnte mich dennoch als Spieler und als Mensch enorm weiterentwickeln. Denn ich habe in Italien einen neuen Fußball kennengelernt, wie ich ihn vorher nicht gespielt habe. Für die Kritiker habe ich den Durchbruch nicht geschafft, aber für mich gelang mir der Durchbruch zu einem etwas besseren Profi. Das will ich jetzt in Sandhausen zeigen und gerne noch einen drauf setzen.
"Mit 60 Spielen eine Menge Einsatzzeiten"
SPORT1: Wie blicken Sie auf Ihre Zeit in Bern zurück?
Gaudino: Ich war da kein Stammspieler, aber ich hatte mit 60 Spielen eine Menge Einsatzzeiten und habe meinen Teil zum sportlichen Erfolg mit den drei Titeln beigetragen. Der Trainer hatte dort seine erste Elf. Es gehören auch mehr Faktoren dazu, um in der Startelf zu stehen, oder nicht?Es wurde ein System gespielt, für das andere Spielertypen favorisiert wurden und wo ich mehr auf den Außenbahnen spielen musste.
SPORT1: Ihre Wunschposition?
Gaudino: Nein, aber der Trainer hat mich da gesehen. Ich war dann mehr der Einwechselspieler, was aber für mich nicht schlimm war. Wenn ich reingekommen bin, konnte ich Spiele auch mal drehen. Aber natürlich ist es mein Wunsch, von Anfang an auf dem Platz zu stehen, meiner Mannschaft von der ersten Minute an zu helfen und eine feste Größe in einem Team zu sein.
SPORT1: Nervt es Sie, dass Sie von vielen nur als gescheitertes Bayern-Talent gesehen werden?
Gaudino: Nein, überhaupt nicht. Das ist meine Vergangenheit, mit der ich mich nullkommanull beschäftige. Aber ich kann auch verstehen, dass man das immer wieder zum Thema macht. Ich wurde auch von Mannschaftskollegen oft gefragt, wie das bei Bayern war. Ich antworte darauf gerne, aber ich beschäftige mich nicht mehr mit der Zeit beim FC Bayern. Das ist ein Teil meiner Geschichte als Fußballer. Ich bin stolz darauf, dass ich damals dort spielen konnte. Ich sehe mich nicht als gescheiterter Bayern-Profi und habe daher kein Problem, über den FC Bayern zu sprechen.
SPORT1: Pep Guardiola war in München Ihr Mentor, hat Sie sehr gepusht. War das eher eine Belastung?
Gaudino: Nein. Das Lob von Pep kam damals nicht zu früh und war auch nicht zu viel. Er hat einfach an mich geglaubt und das war zum damaligen Zeitpunkt schön für mich. Er hat mir seine Wertschätzung gezeigt. Zurückblickend kann ich jetzt sagen, dass ich körperlich und mental noch nicht reif genug war. Sicher gibt es andere Spieler, die in dem Alter weiter sind, aber ich war einfach sehr jung und vieles prasselte auf mich ein. Ich habe meine Zeit gebraucht.
Gaudino: "Mental auf jeden Fall stärker"
SPORT1: Wie fühlen Sie sich heute?
Gaudino: Ich bin mental auf jeden Fall stärker. Die schwierige Zeit in Verona hat mich am meisten geprägt, mich mental stärker gemacht und als Mensch geformt.
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SPORT1: Setzen Sie sich jetzt etwas unter Druck, um es in Deutschland noch mal allen zu zeigen?
Gaudino: Das würde ich nicht sagen. Damals bei den Bayern habe ich mich unter Druck gesetzt, aber ich mache mir heute nicht mehr zu viele Gedanken, was das angeht.
SPORT1: Hat Ihnen Ihr Vater in den schweren Zeiten geholfen?
Gaudino: Nein. Ich hatte da mit Papa gar nicht so viel Kontakt. Ich habe das Ganze eher mit mir selber ausgemacht, habe viel auch mit Sophie (Gaudinos Frau, Anm. d. Red.) über die Situation gesprochen. Klar können einem die Eltern Ratschläge geben, aber am Ende lebt man sein Leben selbst und muss gewisse Erfahrungen machen. Ich hätte gewisse Dinge auch dann ausprobiert, wenn mir Papa gesagt hätte: 'Mach das nicht'. Es war auch gut so, weil ich so gelernt habe, mit Rückschlägen umzugehen. Ich höre oft auf mein Bauchgefühl.
Keinen Kontakt zu Guardiola
SPORT1: Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Guardiola?
Gaudino: Nein, leider nicht.
SPORT1: Gab es für Sie noch andere Optionen in Deutschland?
Gaudino: Konkret wurde es nur mit Sandhausen. Jeder, der das Fußballgeschäft kennt, weiß, dass mein Name oft irgendwo genannt wurde. Ich finde, dass man nicht über einen Verein sprechen sollte, wenn etwas nicht spruchreif ist.
SPORT1: Kennen Sie schon den einen oder anderen Spieler dort?
Gaudino: Noch nicht. Natürlich kenne ich einige Spieler vom Namen wie Dennis Diekmeier, aber persönlich kenne ich keinen der Jungs - obwohl ich oft die 2. Liga angeschaut habe.
SPORT1: Eine Frage noch zu Sinan Kurt, mit dem Sie beim FC Bayern gespielt haben. Er galt einst als größtes Talent im deutschen Fußball, musste dann aber einen Karriere-Absturz erleben. Jetzt hat er seinen Vertrag nach einem halben Jahr beim slowenischen Erstligisten FC Nitra wieder aufgelöst. Haben Sie sich gegenseitig aufbauen müssen in schwierigen Zeiten?
Gaudino: Wir hatten zwischendurch immer wieder mal Kontakt. Aber wir mussten uns nicht aufbauen oder trösten. Jeder von uns lebt sein Leben und hat seine Vorstellungen, die er als Profi umsetzen will. Sinan ist kein Mensch, den man trösten muss. Er ist sehr lebensfroh und auch jemand, der nicht groß darauf hört, was über ihn geschrieben wird. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Wenn Sinan mit dem glücklich ist, was er hat und wie er das macht, dann ist es doch okay. Mich musste man auch nicht trösten. Ich war immer zufrieden mit meinem Leben - auch in schwierigen Zeiten. Und das bin ich auch jetzt. Und die Vorfreude auf das, was jetzt kommt, ist groß.