Der FIFA-eSport ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Neue Teams, mehr Spieler und zahlreiche Wettbewerbe. Abgesehen von kleineren Cups oder privat organisierten Turnieren, steht trotzdem weiterhin die Global Series über allem. Der Traum, einmal auf der ganz großen Bühne zu stehen und um den Weltmeistertitel zu kämpfen, motiviert ungemein.
FIFA 22: Die dunkle Seite des eSports
Doch der Weg bis ganz an die Spitze ist lang und mühsam. EA Sports hat zwar Strukturen geschaffen, um eine Teilnahme an der WM theoretisch für jeden ab 16 Jahren möglich zu machen, aber der Wettkampf ist hart und hat seine Tücken. Auch in FIFA 22 stellt sich so langsam heraus, wie schwer es wirklich ist und welche Probleme das überarbeitete System mit sich bringt.
FIFA 22: Die Einführung der Elite Division
Die Elite-Division wurde zum Release des neuen Ablegers in FUT integriert und dient exklusiv als Möglichkeit, um sich für die Global Series zu qualifizieren. In den Vorjahren legte EA Sports den Fokus dagegen primär auf die Weekend League. In FIFA 21 konnten beispielsweise all jene an den Online-Qualifiern partizipieren, die sich zu Beginn des Release-Zyklus mit mindestens 27 Siegen aus 30 Spielen in FUT Champions verifiziert haben. Dies ermöglichte auch vielen ambitionierten Talenten den Sprung in die nächste Stage.
In diesem Jahr wurde der Spielerpool deutlich eingeschränkt, sodass lediglich die besten sowie formstärksten Profis die Online-Qualifier erreichen. Auf dem Weg zur Weltmeisterschaft der Einzelspieler qualifizieren sich nach dem Ende jeder der vier Seasons die ranghöchsten eSportler aufgrund ihrer erreichten Punkte. Das System versprach mehr Fairness, da die spielerischen Fähigkeiten komplett in den Vordergrund gestellt wurden. Durch ein konstant hohes Niveau sollten sich die Pros mit dem meisten Skill durchsetzen. Einzelne Niederlagen können ausgeglichen werden und wiegen daher nicht mehr so schwer wie in früheren Teilen.
Besonders in den Anfangsjahren, in denen die absolute Anzahl an Siegen in einem Monat in FUT Champions über die Qualifikation für ein Offline-Event entschieden haben, fiel ein Ausrutscher oder gar Verbindungsfehler arg ins Gewicht und konnte nicht mehr egalisiert werden. Auf den ersten Blick schien das neue Format also den richtigen Ansatz zu wählen. Doch der Schein trügte und kurz vor dem Ende von Saison 1 offenbarten sich die großen Schwächen.
Die Probleme der letzten Nacht
Auch wenn Halloween bereits etwas ins Land gezogen war, erlebten einige eSportler in den finalen Stunden ihre persönliche Schreckensnacht. Für den Osten Europas, zu dem laut FIFA-Weltkarte auch Deutschland zählt, war z.B. eine Teilnehmerzahl von 320 festgeschrieben, sodass sich der Kampf um die letzten Plätze immens zuspitzte.
Ein Großteil der Spieler bewegt sich in einem ähnlichen Skill-Punkte-Segment, weshalb durch ständige Änderungen der Rangliste zu keinem Zeitpunkt gewährleistet war, dass der aktuelle Stand auch gleichzeitig den Ausgang repräsentiert. Ohne eine Begrenzung der Partien, die in die Wertung mit einfließen, heißt es demnach: Zittern bis zum Schluss. Aus Angst, die erste Chance des Jahres um Haaresbreite zu verpassen, verbrachten viele Pros die Nacht vor der Konsole und versuchten trotz Erschöpfung weiter auf höchstem Level zu performen. In Kombination mit dem Zeitdruck kamen einige an ihre körperlichen Grenzen, da eine solche Situation auch enorme Auswirkungen auf die Psyche hat. Keine gesunde Ausgangslage für einen sportlichen Wettbewerb.
Zudem kristallisierte sich heraus, dass nun doch eine unverhoffte bzw. unverschuldete Niederlage analog zum dem Quali-Monat-System aus FIFA 18 den Unterschied machen kann, da eine verlorene Partie in der Elite Division in der Regel ein vielfaches an Minuspunkten im Vergleich zu einer siegreichen Begegnung einbringt. So kann plötzlich ein einziger Disconnect respektive Spielabbruch die gesamte Arbeit zu Nichte machen. Kein unwahrscheinliches Problem bei der Masse an Spielern.
Und tatsächlich machte eines dieser potenziellen Worst-Case-Szenarios am Tag nach der Bekanntgabe der Ergebnisse die Runde. Der deutsche eSportler Benedikt „BeneCR7x″ Bauer äußerte seinen Unmut via Twitter. Der ehemalige Wolfsburger, der mittlerweile für den VfL Bochum aktiv ist, musste in der letzten Nacht mehrere DC‘s hinnehmen, wodurch ihm die Teilnahme an der Ausscheidungsrunde ungerechterweise verwehrt blieb. Die Aufstockung des Teilnehmerfeldes sorgte im Falle von Benedikt zwar für einen positiven Ausgang, jedoch zeigt dieses Beispiel eine der großen Tücken des Systems.
Schwarze Schafe innerhalb der FIFA-Szene
Aufgrund der geringen Anzahl an Turnieren über das Jahr hinweg, wird der Qualifikation für das erste Online-Event bereits eine enorme Wichtigkeit zugesprochen. Einigen Spielern scheint daher jedes Mittel recht, um sich in eine gute Position zu bringen. Es existieren verschiedene Methoden, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Das Selektieren gehört wohl zu den am häufigsten angewandten Techniken. Hier wird gezielt darauf geachtet, guten Gegnern aus dem Weg zu gehen, um Niederlagen oder zumindest schwere Matchups zu vermeiden. Die nötigen Punkte sollen dann gegen schwächere Gegner gesammelt werden. Hierfür überprüft man vor einer Partie den Gamertag.
Andere treten lediglich in PS4-Version von FIFA 22 an. Das bedeutet, dass ein Aufeinandertreffen mit einem eSportler, der auf der Next-Gen-Konsole kompetiert, ausgeschlossen ist. Für manche schien dies allerdings noch nicht zu reichen. Besonders in der letzten Nacht gingen Spieler, die noch Skill-Punkte benötigten, immer perfider vor. Berichten zufolge sollen einige Pros nicht nur bei der Wahl der Kontrahenten äußerst vorsichtig gewesen sein, sondern sich gleich ganz auf die sichere Seite begeben haben. In diesem Fall wurde solange keine Partie gestartet, bis nicht gegeben war, dass der eigentliche Gegner ein Kollege oder Freund ist. So ist es möglich, Stück für Stück Punkte zu generieren, ohne Gefahr zu laufen, selbige wieder zu verlieren.
Illegal sind diese Vorgehensweisen nicht, aber ein hohes Ansehen innerhalb der Pro-Szene kann sich so nicht erarbeitet werden. Auch von Fairness und Sportsgeist kann keine Rede sein. Ob EA Sports im Laufe des Jahres dagegen vorgehen wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass es im FIFA-eSport zu viele schwarze Schafe gibt, die der Reputation der Szene schaden und ihren Teil zur schlechten Stimmung beitragen.