„Österreich ist die größte Sensation!“ So euphorisch betitelte die Krone den jüngsten Coup der Österreicher bei der Eishockey-WM in Tschechien - und es fällt im Moment sehr schwer, da zu widersprechen.
Eine Mannschaft verblüfft die Sportwelt
Erst verblüffte der Underdog die Sportwelt mit einer knappen 6:7-Niederlage nach Verlängerung gegen die Eishockey-Großmacht Kanada, bei der die Österreicher bereits mit 1:6 zurücklagen. Nun legte Österreich auch noch nach und besiegte Mitfavorit und Olympiasieger Finnland sensationell mit 3:2.
Dabei begann der Start in die WM fast gewohnt schleppend. Zum Auftakt unterlag Österreich den Dänen klar mit 1:5 und auch gegen Nachbarland Schweiz zog man trotz einer Leistungssteigerung mit 5:6 knapp den Kürzeren.
Alles deutete auf den ersten Kampf gegen den Abstieg hin - doch das hat sich nach den jüngsten beiden Auftritten geändert. Die Österreicher liegen mit vier Punkten auf Rang fünf der Gruppe A und träumen sogar vom Viertelfinale.
Zwar ist die Alpenrepublik am Freitagabend gegen Tschechien wieder nur Außenseiter - eine Rolle, in der sich das Team augenscheinlich wohlfühlt -, danach warten mit Norwegen und Großbritannien aber lösbare Aufgaben, während die viertplatzierten Finnen noch unter anderem auf die starken Kanadier und Schweizer treffen.
Der Optimismus ist groß - nicht nur bei Österreichs NHL-Spieler Marco Rossi, der nichts von einem so gut wie sicheren Klassenerhalt wissen will. „An das denken wir nicht, wir wollen immer mehr und mehr und mehr“, sagte Rossi dem ORF.
Österreich schreibt Geschichte bei Eishockey-WM
Die Österreicher strotzen vor Selbstbewusstsein, nachdem sie mit dem größten Comeback (nie zuvor war ein Fünf-Tore-Rückstand aufgeholt worden) in der 87-jährigen Historie der Eishockey-WM Geschichte geschrieben haben.
Wie außergewöhnlich die Comeback-Qualitäten Österreichs sind, unterstrich das Team dann gegen Finnland. Nach nur neun Minuten lag das Team bereits mit 0:2 zurück und die meisten Beobachter dachten schon, dass die Sensation gegen Kanada nur eine Ausnahme war. Doch wieder ließ Österreich nicht locker, kämpfte sich zurück und erzielte 0,2 Sekunden vor Schluss sogar noch den Siegtreffer.
„Ich kann es gar nicht beschreiben. Finnland ist so eine gute Eishockey-Nation. Dass wir sie bei der Weltmeisterschaft schlagen können, ist meiner Meinung nach das Beste, was im österreichischen Eishockey seit langem passiert ist“, sagte Siegtorschütze Benjamin Baumgartner.
Tatsächlich hatte Österreich die Finnen noch nie zuvor bei einer WM besiegt. Auch der nationale WM-Torrekord winkt, schließlich hat das Team bereits 15 Treffer bei noch drei ausstehenden Spielen erzielt. Österreichs Rekord liegt - Tore im Penaltyschießen ausgenommen - bei 17 Treffern.
„Die Unterstützung ist unbeschreiblich“
International braucht es noch etwas Zeit, bis sich alle an die neue Stärke Österreichs gewöhnt haben. Zwar gab es vom finnischen Trainer Jukka Jalonen viel Lob für Österreichs Leistung, die finnische Presse watschte dagegen vor allem das eigene Team ab. „Die Löwen wurden gedemütigt“, schrieb die größte finnische Boulevardzeitung Ilta-Sanomat.
In Österreich zeigt man sich zwar einerseits überrascht, sieht die Erfolge aber auch als Lohn für die harte Arbeit. Die Freude ist jedenfalls groß, was aktuell rund um die Mannschaft passiert, wie ÖEHV (Österreichische Eishockeyverband)-Sportkoordinator und Integrity Officer Timo Gless SPORT1 verriet: „Die Unterstützung der zahlreichen österreichischen Fans sowie die überwältigenden Reaktionen in den Medien ist unbeschreiblich. Das ist unglaublich schön für uns, aber auch für den Eishockey-Sport im Allgemeinen, vor allem in Österreich.“
Immer mehr Österreicher schaffen Sprung in die NHL
Der aktuelle Aufschwung des österreichischen Eishockeys ist aber weder Zufall noch beruft er sich auf massig eingebürgerte Kanadier, wie man es schon in anderen Ländern erlebte - nein, Österreich hat so viele junge Talente wie nie zuvor aufzuweisen. Das kommt nicht von ungefähr.
„Es wurde vermehrt Wert auf die Nachwuchsnationalteams gelegt, die von der U15 bis zur U20 während der Saison an mehreren internationalen Turnieren mit Top-Nationen wie Deutschland, der Schweiz oder der Slowakei teilnehmen. (...) Zudem haben wir uns in anderen Bereichen in Sachen Aus- und Weiterbildung professionalisiert, um zum Beispiel den Trainerinnen und Trainern in den Vereinen eine gute Grundlage zu bieten für die Arbeit mit den Athlet:innen“, erklärte Gless.
Das zahlt sich aus - allein in den vergangenen vier Jahren wurden gleich sechs Österreicher im NHL-Draft ausgewählt, neben Rossi und Baumgartner waren dies Marco Kasper, Thimo Nickl, Vinzenz Rohrer und David Reinbacher. Letztgenannter wurde sogar an fünfter Position von den Montreal Canadiens gedraftet.
Es zeigt den klaren Aufwärtstrend in Österreich, denn ab 2009 war bis einschließlich 2019 nicht ein einziger Österreicher gedraftet worden. Doch der Nachwuchs im österreichischen Eishockey hat inzwischen ein neues Niveau erreicht, was auch den NHL-Scouts nicht verborgen geblieben ist.
Akademie in Salzburg bringt Talente hervor
Mitverantwortlich für den starken Nachwuchs ist auch der Bau einer hochmodernen Akademie in Salzburg vor zehn Jahren, die inzwischen einige talentierte Spieler hervorgebracht hat. Auch an anderen Orten trägt die Jugendarbeit Früchte und so schaffen immer mehr Spieler aus Österreich den Sprung in internationale Topligen.
„Die Akademie in Salzburg ist ein super Standort für junge Eishockeyspieler, wo sie ihren Sport und die Schule miteinander verbinden können. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn es mehrere solche Standorte in Österreich geben würde, dass dies aber mit viel Geld verbunden ist, und Eishockey ohnehin eine sehr teure Sportart ist, ist kein Geheimnis“, sagte Gless dazu.
Zwar gebe es auch einige andere Akademien in Österreich, die aber mit Salzburg nicht ganz mithalten könnetn: „Was für solche Standorte benötigt wird, sind halt die Eishallen - und davon gibt es leider zu wenige in Österreich.“
Doch die Vereine machen das Beste aus den aktuellen Begebenheiten und geben laut Gless in den vergangenen Jahren bewusst „vermehrt jüngeren Spielern die Möglichkeit, sich im professionellen Bereich zu zeigen“. Davon profitieren langfristig natürlich auch die Nationalteams.
Österreich hofft auf Viertelfinal-Einzug in Tschechien
Daher ist das vermeintliche Eishockey-Wunder bei der WM gar kein so großes, wie man aktuell glauben mag, sondern der Lohn für die in der Vergangenheit angestoßenen Entwicklungen.
Ob es wirklich für das Viertelfinale reicht, bleibt dennoch abzuwarten. Zweifelsohne haben die Topnationen um Finnland immer noch die besseren Karten in der Hand und Österreich weiß, dass es auch gegen kleinere Nationen wie Großbritannien kein Selbstläufer wird.
„Träumen kann man viel, aber was zählt sind die Resultate auf dem Eis“, sagte Gless, der zudem ankündigt: „Wir werden keinen Gegner unterschätzen und in jedes Spiel reingehen, als wäre es das Wichtigste. Wenn uns diese WM eines gezeigt hat, dann, dass keine Nation unterschätzt werden sollte.“
Doch selbst wenn es am Ende nicht für das Viertelfinale reichen sollte - die Zukunft für Österreichs Eishockey sieht rosiger denn je aus.