Darts-Profi Martin Schindler erlebte ein unglaubliches Jahr 2024. „The Wall“ gewann als erster Deutscher zwei Titel auf der European Tour, warf einen Neun-Darter auf einer TV-Bühne und löste zudem auch noch Gabriel Clemens als deutsche Nr. 1 ab.
Schindler: „Im Notfall verliere ich halt“
Umso größer sind die Erwartungen an Schindler bei der anstehenden Darts-WM (ab 15. Dezember LIVE auf SPORT1 im TV, Stream und auf YouTube). Im SPORT1-Interview blickt er auf sein Darts-Jahr zurück, gibt ganz persönliche Einblicke in sein Leben und erklärt auch selbst, mit welchen Erwartungen er in die Darts-WM geht.
SPORT1: Herr Schindler, wenn jemand Anfang des Jahres zu Ihnen gesagt hätte, dass Sie die neue deutsche Nr. 1 werden und zwei Titel auf der European Tour gewinnen, was hätten Sie dann gesagt?
Martin Schindler: Ich hätte wahrscheinlich gesagt: Bist du des Wahnsinns? Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich gleich zwei Titel auf der European Tour hole und, dass ich am Ende des Jahres an Nummer 1 gesetzt bin bei den European Darts Championship. Ich hätte einfach so insgesamt nicht gedacht, dass ich wirklich auch so lange Zeit einer der besten Spieler des gesamten Jahres bin. Ich muss sagen, ich hatte echt auch ein bisschen zu kämpfen mit einigen Tiefphasen, mit schlechten Spielen, aber hab das irgendwie alles immer relativ schnell abschütteln können und bin echt zufrieden, wie dieses Jahr lief und bin echt glücklich darüber und hoffe, dass es so weiter geht.
SPORT1: Was hat Ihnen dabei geholfen, dass Sie diesen Schritt nochmal machen konnten? Robby (Robert Marijanovic, Anm. d. Red.) und Basti (Sebastian Schwele, Anm. d. Red.) sehen Sie sogar in den Top 16 mittlerweile.
Schindler: Das ist aber sehr nett von den Zweien (lacht). Was mir aber mit am meisten geholfen hat, ist - glaube ich - die Zeit und auch die Erfahrung, die ich über die Zeit jetzt bekommen konnte. Ich bin auch einfach erwachsener geworden im Vergleich zu früher. Ich meine, ich bin jetzt immer noch erst, für einen Dartsspieler, 28 Jahre alt. Aber ich bin schon seitdem ich 20 bin, was für Darts halt extrem jung ist, auf dem Circuit mit unterwegs. Ich musste das Leben aus einem ganz anderen Blickwinkel sehen. Ich glaube, das hat mir sehr geholfen. Wichtig ist auch, das Leben einfach mal aus einem Winkel zu sehen. Ich bin jetzt verheiratet, habe ein Kind. Da erlernt man einfach ein ganz anderes Verantwortungsbewusstsein. Das hat mir einfach ein komplett neues Gefühl im Leben gegeben. Dementsprechend kriegt man auf den Darts-Sport nochmal einen ganz anderen Blickwinkel.
Schindler geht offen mit eigenen Ängsten um
SPORT1: Sie haben in einem Interview mit der Sportschau gesagt, dass Sie es geschafft haben, so ein bisschen Ihre Ängste in den Griff zu kriegen. Hat da Ihr Kind auch ein bisschen geholfen, etwas gelassener zu werden und die Dinge anders zusehen?
Schindler: Ja, ich denke auch, dass ich genau deswegen besser mit der Angst umgehen kann, eben weil ich wesentlich reifer und erwachsener geworden bin. Auch durch meine Tochter sehe ich gerade viele Dinge anders als vorher. Ich gehe mittlerweile auch einfach ganz anderes mit Thema Angst um. Ich stelle mich meinen Ängsten und will mich nicht mehr davor verstecken. Wenn ich Angst habe, habe ich kein Problem zu sagen, dass ich Angst habe. Ich stelle mich den Herausforderungen, die kommen und im Notfall verliere ich halt und dann geht morgen auch wieder die Sonne auf.
SPORT1: Es natürlich ein paar tolle Momente in diesem Jahr. Unter anderem warfen Sie als erster Deutscher einen 9-Darter auf der TV-Bühne. Was war denn Ihr persönliches Highlight?
Schindler: Ich kann noch nicht genau sagen, was mein Höhepunkt sein wird, es steht ja zum Beispiel noch die Weltmeisterschaft an. Aber natürlich war gerade der Moment in Riesa, als ich dieses Turnier gewonnen und meinen allerersten Titel geholt habe, ein Highlight. Da hatte ich wirklich schlaksige Beine, es hat alles gezittert und ich hatte das Gefühl, dass ich gleich sowas von losheulen muss. Gleichzeitig war es eine Explosion von Gefühlen, das war Wahnsinn. Ich meine, ich habe zwei bis drei Stunden später immer noch mit meiner Frau telefoniert, ich habe geweint und habe sie voll angesteckt damit. Es war brutal. Ich meine, ich habe sieben Jahre auf dieses Ziel hingearbeitet, diesen ersten Titel zu holen. Mal sehen, wohin die Reise noch geht, aber der erste Schritt, von dem ich immer geträumt habe, ist jetzt Wirklichkeit geworden.
Schindler will große Erwartungen nicht zu sehr an sich ran lassen
SPORT1: Die Erwartungshaltung ist jetzt auch nochmal eine andere. Gerade weil sie als deutsche Nr. 1 in die WM starten werden. Macht Sie das ausschließlich stolz oder ist da auch ein bisschen Druck bei?
Schindler: Ich weiß natürlich, dass gerade in Deutschland viele wollen, dass ich bei der WM einen tiefen Run mache. Und dass sie gerne sehen wollen, wie ich weit komme in dem Turnier. Da muss ich natürlich auch gleichzeitig sagen, davon will ich mich gar nicht kirre machen lassen. Ich will mir deshalb auch gar nicht so große Gedanken machen, wer da alles von zu Hause zuschaut oder nicht. Ich bin für meine eigene Leistung da. Ich muss auf mein eigenes Spiel achten, dass ich selber gut spiele und mich da nicht zu viel mit Themen beschäftige, die drumherum passieren.
SPORT1: Wann wäre es für Sie denn eine gute WM?
Schindler: Also ich möchte auf jeden Fall über die Runde der letzten 32 hinaus. Das ist das Mindestziel. Das heißt, die zweite und die dritte Runde überstehen, dann bin ich in der Runde der letzten 16. Ab da kann dann alles passieren. Ob ich jetzt bis ins Viertel- oder Halbfinale, vielleicht sogar Finale komme, das wird sich alles dann zeigen. Die letzten 16 ist definitiv erst mal der erste Schritt, damit ich sagen kann, dass ich mit der WM halbwegs zufrieden sein kann (lacht).
„Ich hätte lieber das Spiel gewonnen“
SPORT1: Sie werden für immer der erste Deutsche sein, der im TV einen 9-Darter geworfen hat. Wie war das Gefühl bei den letzten drei Darts?
Schindler: Natürlich kann mir das mit dem 9-Darter niemand mehr nehmen. In dem Moment war mir das aber überhaupt nicht bewusst. Für mich ging es darum, mal wirklich einen 9er zu werfen auf einer TV-Bühne. Das war eher ein Meilenstein für mich selbst. Ich weiß jetzt natürlich auch, für viele hängt da viel dran, aber ich bin ehrlich, im Endeffekt war es ein Leg. Ich hätte, glaube ich, lieber das Spiel gewonnen, aber es ist natürlich trotzdem ein geiles Achievement. Es ist immer etwas, auf das ich zurückschauen kann, auch wenn es nüchtern betrachtet eben nur ein Leg war.
SPORT1: Wo gab es mehr Reaktionen von Fans und Weggefährten - beim Turniersieg oder beim 9-Darter?
Schindler: Definitiv als ich mein erstes oder zweites Turnier gewonnen habe. Man merkt schon, Titel sind für die Ewigkeit. Klar, der erste 9-Darter, von mir aus auch als Deutscher, ist im Prinzip auch für die Ewigkeit, aber das ist jetzt nicht das, wo man sagen kann, das ist es. Das sind vielleicht gute 60 oder 90 Sekunden und so ein Titel ist über mehrere Tage auch gegen die Besten der Welt.