Und plötzlich bist du der meistgesuchte Sportler des Jahres auf Google, dir folgt ein Kamerateam von Netflix auf Schritt und Tritt, jeder Journalist, jeder Fan schenkt dir seine Aufmerksamkeit. Dabei bist du selbst erst 17 Jahre alt und willst du nur ein bisschen Darts und hin und wieder FIFA auf der Xbox spielen. Willkommen in der absurden Welt des Luke Littler.
Zerbricht Luke Littler am Mega-Hype?
Dass die Aufmerksamkeit derzeit Züge annimmt, die nicht mehr einzufangen sind, wurde am Samstagabend im Londoner Alexandra Palace deutlich: Alle warteten nur auf das „Greenlight“, Littlers Walk-On-Song. Die Frage bleibt bloß: Kann er mit dem Mega-Druck umgehen oder zerbricht das Wunderkind am Hype?
Darts-WM: Littler bricht Interview unter Tränen ab
Eine Antwort darauf gab der Teenager nach seinem 3:1-Sieg über Ryan Meikle selbst, als er das Siegerinterview auf der Bühne mit SkyUK-Reporterin Abigail Davies nach nur einem Satz abbrechen musste, weil die Tränen nur so aus ihm herausbrachen: Es ist zu viel!
Littler wandte sich ab, trank einen Schluck Wasser, applaudierte gen Fans – und suchte Halt bei seinen Eltern, die das Geschehen in der VIP-Area verfolgten.
„Ich habe mein Wasser getrunken, Abi (Davies, Anm. d. Red.) gesagt, dass es mir gut geht, und dann, sobald die Frage kam: Bumm, Tränen“, gestand Littler seine Gefühlswelt auf der anschließenden Pressekonferenz: „Es war wahrscheinlich das härteste Match, das ich je gespielt habe.“
Doch wie überhaupt konnte es so weit kommen?
Die ersten sechs Turniertage hatte Littler noch zu Hause verbringen dürfen, habe nach eigener Aussage jede einzelne Session verfolgt – außer die, als er unter der Woche zur BBC Young Sports Person of the Year („Jungsportler des Jahres“) gekürt wurde. An WM-Tag sieben brach dann alles über ihn herein.
Die Pre-Match-Interviews vor seinem persönlichen WM-Auftakt filmte ein Netflix-Team mit, dabei geht das Projekt gar nicht um Littler selbst. Kommendes Weihnachten soll eine Dokumentation über Barry Hearn, den Präsidenten der PDC, erscheinen – und der weiß sehr wohl, wer sich vermarkten lässt, wer den Sport für eine ganz neue Zuschauerschaft geöffnet hat, und letztlich auch simpel, wer dem Sport mehr Geld bringt: Luke Littler. Und das hat Auswirkungen auf den Sport.
Ein Littler-Satz geht in die WM-Geschichte ein
„Als ich auf die Bühne kam, war ich ein bisschen nervös. Damit musste ich erstmal zurechtkommen“, gestand Littler, der seinen großen Aufstieg mit dem Finaleinzug bei seinem WM-Debüt im vergangenen Jahr genau dort erst lostrat: „Das Training lief gut, sogar die Practice Darts auf der Bühne liefen unglaublich“, schilderte er den Verlauf seines Abends, „aber sobald George (Noble, Caller, Anm. d. Red.) ‚Game on‘ gesagt hatte, habe ich fast nichts mehr getroffen. Ich habe mich gefragt, was ich hier mache.“
Den ersten Satz hätte er eigentlich verlieren müssen, den zweiten verlor er tatsächlich. Man konnte den Druck förmlich greifen, das Publikum wurde unruhig, Littler zeigte für ihn untypisch heftige Reaktionen auf gewonnene Legs.
Doch zur Wahrheit gehört eben auch: Es gibt einen Grund, weshalb Littler so gefeiert wird. Weshalb jeder sein Handy zückt. Weshalb jeder zuschaut. Der vierte und entscheidende Satz geht wohl in die Geschichtsbücher der Weltmeisterschaft ein. In drei Legs spielte Littler erst sechs perfekte Darts, dann acht, schrammte so nur hauchzart an einem Neundarter vorbei. Letztlich standen also zehn und zweimal elf Darts auf dem Scoreboard, ein Satz-Average von 140.91 Punkten – der höchste, der jemals in einem WM-Match gespielt wurde.
Littler der beste Spieler der Welt?
„Das wird wahrscheinlich schon in den Schlagzeilen stehen“, blickte Littler später zurück, „wenn mich aber jemand danach fragen würde, wie das genau passiert ist, kann ich nicht viel darüber erzählen. Ich weiß nicht, wo ich diesen Satz hergenommen habe.“
Das spielerische Niveau und der verpasste Neundarter wirkten an diesem Abend dennoch zweitrangig. Vielmehr handelte alles nur um die Person Littler, um diesen Superstar – und wie er als immer noch Minderjähriger das Rampenlicht händelt.
„Ich habe noch nie so etwas wie heute Abend gefühlt. Es war ein komisches Gefühl“, sollte er später sagen – und betitelte sich dennoch kurzerhand als besten Spieler der Welt: „Ja, das kann man wahrscheinlich so sagen.“ Druck herausnehmen sieht anders aus.