„Wow Luke, einer der besten Sätze, die man je auf dieser Bühne miterleben durfte. In elf, dann zehn und wieder elf Darts die Legs zu gewinnen, das war außergewöhnlich...“ Das waren die Worte von Abigail Davies an Luke Littler, als sie ihn nach seinem 3:1-Zweitrundenerfolg über Ryan Meikle noch auf der Bühne empfing. Und Littler fing an zu weinen – musste letztlich gar das Interview abbrechen.
Die Frau hinter Littlers Tränen
Man merkte dem 17-Jährigen an, dieser ganze Hype, diese ungeteilte Aufmerksamkeit, sie wurde ihm einfach zu viel. Doch was war da überhaupt auf der Bühne los? Beantworten kann das wohl nur eine: Abigail Davies selbst. Im Gespräch mit SPORT1 verrät die Reporterin von SkyUK, was sonst keiner mitbekam.
„Was die Leute nicht in der Übertragung gesehen haben - ich bin zu Luke hingegangen und habe ihm gesagt: ‚Du kannst direkt an mir vorbeigehen, wenn du willst. Es gibt keine Verpflichtung, ein Interview mit mir zu machen. Du kannst von der Bühne gehen und deine Familie sehen, sorge dich nicht, du hast keine Verpflichtung!‘
Doch Littler stellte sich – wohl aus einer falschen Selbsteinschätzung heraus. „Er hat danach gesagt, er hätte gedacht, er wäre bereit für das Interview gewesen, aber gerade, als ich die Frage stellte, seien die Emotionen über ihm hereingebrochen“, schildert Davies die Situation, „dann pushe ich ihn natürlich nicht dazu, mir irgendwelche Antworten geben zu müssen.“
Darts-WM: Wird der Druck auf Wunderkind Littler zu groß?
Sie ließ Littler ziehen, sich im Kreise seines engsten Umfeldes erholen, um schließlich bei den ‚Broadcast Partnern‘ – darunter auch SPORT1 – in den TV-Studios für Gespräche zur Verfügung zu stehen.
Dass die Situation eine außergewöhnliche war, für Littler sowie für Davies, wurde schnell klar: „Er kommt hierher mit zehn PDC-Titeln in diesem Jahr, mit vier Neun-Dartern auf der Tour – er hat den Sport mehr in den Blickpunkt gestellt als irgendjemand vor ihm. Mehr als jemand sich hätte erträumen lassen. Jetzt aber hat man gesehen, dass das alles auf ihn zurückgefallen ist“, schätzt Davies im Nachgang den Abend ein: „Es war das erste Mal, dass das Ausmaß der Ereignisse Luke Littler so wirklich getroffen hat.“
Immerhin begleitete ein Kamerateam von Netflix das 17 Jahre alte Wunderkind über den gesamten Abend hinweg. Nach dem Finaleinzug beim WM-Debüt im vergangenen Jahr zählt eigentlich nur der WM-Titel für die Erfüllung der Fan-Erwartungen.
Doch Littler ist eben noch nicht einmal volljährig – und so sieht Davies auch die Aufgabe bei sich, Rücksicht auf das Wohlbefinden der Spieler zu nehmen: „Es ist immer gut, den Spielern zu zeigen, dass wir nur in ihrem Interesse handeln – und er verdient ein noch höheres Maß an Rücksicht, er ist erst 17 Jahre alt! Das wird in all dem Hype schnell vergessen“, so die 33-Jährige: „Was er für den Sport leistet, ist herausragend. Er soll gelobt, er soll wertgeschätzt werden, aber das war eben auch eine Erinnerung: Da steht ein Kind, das geschützt werden muss.“
Das Bewusstsein für eine solche Situation kommt im Leben der Britin nicht von ungefähr, sie selbst musste in ihrem Kindheits- und Jugendalter schwerste psychische Situationen durchlaufen, entwickelte im Alter von nur neun Jahren eine schwere Essstörung, die sich derart ausprägte, dass Davies gar mit Suizidgedanken in eine Psychiatrie kam: „Die Wahrheit ist, ich wollte nicht mehr hier sein.“
Phil Taylor brachte Davies zum Darts
Doch ihr Onkel und der Sport hätten sie gerettet. „Als mein Onkel mich mit 15 Jahren zu einem Swansea-Spiel mitgenommen hat, habe ich angefangen, kleine Spielberichte zu schreiben. Nur für mich. Aber das hat mir wieder einen Sinn im Leben gegeben, ich habe das immer öfter gemacht“, erzählt Davies, die neben Fußball auch passionierte Snooker- und Darts-Zuschauerin war: „Beim Darts habe ich das dann auch gemacht, das war zu den Zeiten von Phil Taylor und Raymond van Barneveld vor über 15 Jahren.“
Aus kleinen Matchberichten wurde ein Masterstudium in ‚Sports Broadcasting‘ in der walisischen Hauptstadt Cardiff, Arbeitserfahrung bei der Darts-WM in Diensten von SkyUK über einen Dozenten, den Davies als Mentor ansah. „Hinter den Kulissen durfte ich dann ein paar Interviews führen, der Sport war also mein Weg aus der Situation hinaus, mein Retter quasi“, so Davies.
Nun darf sie ihren Traum leben, Siegerinterviews bei der Darts-WM auf der größten aller Bühnen führen, dazu bei „Soccer Saturday“ (britische Fußballsendung) arbeiten – und hat darüber hinaus gar noch das private Glück gefunden: im Darts.
Denn ihr Verlobter ist Dan Dawson, selbst Darts-Experte bei Sky und oftmals als Master of Ceremonies auf der European Tour im Einsatz. Den Antrag unterbreitete ihr Dawson in diesem Herbst im Rahmen eines European-Tour-Events in Hildesheim – dabei dachte Davies erst, der Ring sei für jemanden anderes bestimmt gewesen.
„Mein Verlobter ist ein großer Fan von Steve Beaton, wir haben sogar ein Bild von Steve Beaton im Whirlpool auf unserer Gästetoilette hängen, da kam es schon mal zum unangenehmen Augenkontakt (lacht)“, so die Reporterin, „ich dachte, der Ring wäre tatsächlich für Steve Beaton gewesen. Ich bin keine Romantikerin, ich mach‘ mir nichts aus Hochzeiten. Aber das war dann doch schön.“
Bei der Darts-WM 2025 arbeiten beide regelmäßig 17-Stunden-Tage ab. Zeit für Romantik würde da ohnehin nicht bleiben, doch der Sport steht an erster Stelle, ob privat oder beruflich. „Wenn er mich zu einem romantischen Dinner ausführen wollen würde, sage ich ihm: ‚Nein, ich schaue lieber Mickey Mansell gegen Andrew Gilding bei der Players Championship 13“, witzelt Davies.
Doch vorerst heißt es für sie noch eine Woche: Interviews bei der Darts-WM zu führen – hoffentlich nur noch mit Freudentränen.