Das „erste Mal“ ist nicht selten Grund für schweißnasse Hände und ein wackliges Nervenkostüm. Viele Gedanken kreisen durch den Kopf, die Knie fangen an zu zittern. Nur augenscheinlich nicht bei Kai Gotthardt.
Der Mann ohne Nerven
Wie „The Tunnel“ am Montagnachmittag beim 3:1-Sieg über Alan Soutar bei seinem Debüt auf der Bühne des Alexandra Palace wirkte, konnte man beinahe annehmen, Unsicherheit würde in seinem Duktus mit Nervenstärke ersetzt. Nun bekommt es Gotthardt mit einem der großen Namen der Szene zu tun, sein Zweitrundengegner am Freitagnachmittag (ab ca. 16.45 Uhr, LIVE auf SPORT1) ist kein Geringerer als Top-Ten-Spieler Stephen Bunting.
Die Ausgangssituation auf dem Papier ist deutlich, David gegen Goliath. Bunting glückte immerhin mit dem Masters-Titel in diesem Jahr bereits ein Major-Erfolg, der erste seiner PDC-Karriere. Doch Kai Gotthardt hat eben ein Ass im Ärmel: Nervosität? Gibt’s nicht!
„Ich bin nicht der Typ dafür, ich kann das nicht erklären. Es ist ein Spiel wie jedes andere, auch wenn es die größte Bühne der Welt ist“, sagte Gotthardt bereits auf der Pressekonferenz nach dem Erfolg über Soutar, der bereits zwei Mal im WM-Achtelfinale stand: „Ich gehe hier nicht anders ran als bei anderen Turnieren.“
Beobachtet man den Württemberger hinter den Kulissen im Medienbereich des Ally Pally, wird schnell klar: Das sind keine Floskeln. Dabei war sein WM-Debüt gar kein Spiel wie jedes andere. Beim Stand von 1:2 in Legs im ersten Satz brach sein Barrell durch, Gotthardt musste seinen Manager hinter die Bühne bitten, um ihm einen neuen Dart zu bringen.
Darts-WM: Gotthardt spricht über Pfeilbruch
„Ich spiele seit viereinhalb Jahren mit dem gleichen Set Darts, das ist mir seitdem nie passiert. Und dann bricht der auf der größten Darts-Bühne der Welt“, blickte Gotthardt anschließend im SPORT1-Siegerinterview zurück. Grund genug, sich verunsichern, sich ablenken zu lassen, den Fokus zu verlieren. Nicht so mit Gotthardt.
„Marmor, Stein und Tungsten bricht, aber Kais Nervenstärke nicht“, scherzte Experte Max Hopp – auch im Rückblick auf Gotthardts langen Qualifikationsweg zur WM.
Über die PDC Europe Super League musste sich der 29-Jährige Anfang November in den Ally Pally spielen: vier Tage, 32 Spieler, nur ein WM-Ticket. Auffällig dabei: Gotthardt setzte sich ab dem Achtelfinale, folglich in jedem seiner vier K.o.-Spiele, erst im Decider durch.
„Ich hatte einfach die besseren Nerven und bin ruhig geblieben“, lautete die Erklärung im Interview vor der WM bei SPORT1-Experte Robert Marijanovic.
Audiodateien für den WM-Erfolg?
Einen Kniff, der ihm dabei half, hat Gotthardt lange nicht preisgegeben: „The Tunnel“ lässt sich von Mentalcoach Richard Weese vor seinen Spielen Audiodateien schicken, die er sich anhört, um sich besser konzentrieren und fokussieren zu können.
Das mentale Training hat immer mehr Einzug in den Dartsport gefunden, auch Gotthardt greift darauf zurück. In Zusammenarbeit mit Weese, der bereits einige Bücher rund um Erwartungen, den Erfolgsdruck und den Umgang mit Nervosität im Dartsport publiziert hat, scheint nun der Schlüssel zum Erfolg gefunden.
Denn Gotthardt weiß auch: „Der Druck wird in der Zukunft nicht weniger.“ Erst recht nicht, wenn es im Ally Pally gegen einen Engländer geht.