Es war eine Niederlage, die sich so überhaupt nicht angedeutet hatte. Ohne einen einzigen verlorenen Satz dominierte Michael van Gerwen die ersten Runden der Darts-WM (Alle Spiele der Darts-WM LIVE bei SPORT1) - bis zum Viertelfinale, in dem er gegen Scott Williams selbstverständlich als haushoher Favorit galt.
Ein Großmaul fällt auf die Nase
Der Weg zu seinem vierten WM-Titel schien bereitet - doch MvG scheiterte. Wieder einmal. Der Niederländer verlor überraschend mit 3:5 in Sätzen gegen Williams. Aus der Traum des vierten WM-Titels, wie schon bereits bei der WM 2020, 2021, 2022 und 2023.
Der vermeintlich beste Darts-Spieler, auch nach eigener Auffassung, wird zum fünften Mal in Folge nicht Weltmeister.
Das verhängnisvolle „erste Dessert des neuen Jahres“
Durch eine schwache Doppelquote von 28,95 Prozent und einen Drei-Dart-Average von nur 93,41 Punkten hat sich der Niederländer sein Aus selbst zuzuschreiben. Viel zu wenig für die Ansprüche eines Michael van Gerwen, der während des Matches laut seinem Manager auch mit Magenproblemen zu kämpfen hatte.
Als noch nicht festgestanden war, ob er gegen Williams oder dessen vorherigen Gegner Damon Heta antreten muss, hatte „Mighty Mike“ noch groß getönt, dass es ihm egal sei, auf wen er träfe.
Es gebe keine Präferenz, aber „einer der beiden wird am 1. Januar das erste Dessert des neuen Jahres sein“. Worte, die ihm jetzt um die Ohren fliegen. Denn stattdessen war es wohl ein Burger der Kette Nando‘s, der zum verhängnisvollen „ersten Dessert des neuen Jahres“ wurde.
Hat van Gerwen ein Problem bei der Darts-WM?
Am Ende muss sich MvG aber nicht nur über die diesjährige Niederlage ärgern, sondern vor allem fragen, warum ein Spieler seines Formats und mit seinen Ansprüchen bei der WM eine für ihn ungewöhnliche Durststrecke erlebt. Zwar gewann er 2014, 2017 und 2019 - danach aber nie wieder.
Denn schließlich ist er nicht nur für WM-Halbfinalist Williams der „beste Spieler unserer Generation“. Er fügte jedoch auch an, dass sein Kontrahent nicht ganz er selbst gewesen sei.
Van Gerwen wird das wohl nur wenig trösten.
MvG mit großen Tönen: Selbstbewusst - oder arrogant?
Schließlich war es immer der selbstbewusste Niederländer selbst, der laut polterte und andere kritisierte. Erst vor wenigen Tagen hatte van Gerwen seine Rivalen bei der Darts-WM als „Hosenscheißer“ abgestempelt. Die großspurigen Attacken des vermeintlichen Platzhirschs auf die Konkurrenz waren dabei offensichtlich auch als Psychospiel angelegt mit dem Ziel in die oft sensiblen Köpfe der Rivalen vorzudringen.
Über Wunderkind Luke Littler hatte er ähnlich selbstbewusst gesagt: „Ich denke, dass ich vom Talent her etwas besser war, aber ihm ist es egal, gegen wen er spielt, und deshalb schätze ich ihn.“ Die Zahlen zeigen, dass Littler bei seiner ersten WM sogar besser unterwegs ist.
Auch Ricardo Pietreczko, der nach langem Kampf an Luke Humphries scheiterte, bekam sein Fett weg: „Wie ist sein Name nochmal? Pietreczko? Er hatte überhaupt keine Eier.“
Van Gerwen teilt auch gegen Price und Humphries aus
Doch nicht nur der gebürtige Berliner war von MvG mit Kritik bedacht worden. Auch der ausgeschiedene Ex-Weltmeister Gerwyn Price und Humphries kamen nicht ungeschoren davon. „Gezzy (Price, Anm. d. Red.) war unter Druck und hat es nicht gebracht“, zog er ein vernichtendes Urteil, nachdem der „Iceman“ 2:4 gegen Brendan Dolan verloren hatte.
Humphries dürfte nach Meinung des dreimaligen Weltmeisters gar nicht mehr im Rennen um den Titel sein. „Humphries hätte verlieren müssen, wenn man ehrlich ist.“ Aber Pietreczko habe eben „nicht die Eier gehabt“, um den Sieg einzufahren.
Nur er selbst laufe nicht Gefahr, so aus dem Turnier zu gehen, da er den Fokus auf das eigene Spiel lege, tönte er vor wenigen Tagen noch: „Wer immer auch kommt, du musst ihn schlagen. Egal, ob er Humphries, Heta oder Bunting heißt, es ist mir egal.“
Humphries dürfte es mit mit einem Lächeln zur Kenntnis genommen, dass er nun am Dienstag im WM-Halbfinale spielt, während Großmaul van Gerwen bereits auf der Heimreise ist. Sein Psychospiel ist nach hinten losgegangen.
„Phil hat Glück, dass ich nicht früher geboren wurde“
Van Gerwen hatte dabei im Vorfeld der WM nicht nur die Rivalen der Gegenwart, sondern auch die Legenden der Vergangenheit ins Visier genommen - allen voran Rekordweltmeister „The Power“ Phil Taylor. „Phil hat so ein Glück, dass ich nicht früher geboren wurde“, sagte er noch vor der WM zur englischen Boulevard-Zeitung The Sun und spielte damit auf das deutlich gestiegene Niveau der PDC an.
Verglichen mit der Zeit, in der Taylor die Darts-Welt dominierte, mag van Gerwen einen Punkt haben - trotzdem lieferte „The Power“ stets, wenn es darauf ankam. Ganze 14 WM-Titel bei 25 Teilnahmen holte sich Taylor, während van Gerwen es bisher auf drei WM-Titel bei 17 Teilnahmen bringt.
Besonders bitter: Auch im direkten Duell gegen Taylor konnte van Gerwen nicht überzeugen. Gegen den Engländer, der laut MvG auch durch schwächere Konkurrenz so viele Titel sammeln konnte, verlor „Mighty Mike“ alle seiner drei WM-Matches.
„Größter Fehler“: MvG knabbert noch an Taylor-Niederlagen
„Ich hatte Chancen, ihn zu schlagen“, ärgerte er sich rückblickend. „Das ist wahrscheinlich mein größtes Bedauern bei der Weltmeisterschaft, wahrscheinlich mein größter Fehler, den ich gemacht habe.“
Dazu sei auch gesagt, dass van Gerwen in den ersten beiden Aufeinandertreffen 2008 und 2009 noch am Anfang seiner Karriere stand. Einzig beim Duell im WM-Finale 2013 war van Gerwen kein unbeschriebenes Blatt mehr.
Ein Duell auf dem absoluten Höhepunkt der beiden Darts-Ikonen gab es jedoch nie, zu groß ist ihr Altersunterschied. Wer dann die Nase vorn hätte? Das wird wohl nie in Erfahrung gebracht werden.
Van Gerwen weit weg vom WM-Rekord von Taylor
Nach van Gerwens WM-Aus in diesem Jahr und seinem Scheitern in den vergangenen Jahren bleibt es aber zumindest fraglich, ob der Niederländer bei der Anzahl der WM-Titel auch nur in die Nähe von Taylors Rekord kommt.
Im Alter von 34 Jahren bleibt dem Niederländer natürlich noch eine Menge Zeit, doch die Konkurrenz ist groß und van Gerwen wirkt mit dem Satzmodus der WM angreifbarer als sonst.
An seinem Selbstbewusstsein wird das wahrscheinlich nur wenig ändern. Doch es bleibt abzuwarten, ob seinen großen Sprüchen rund um die WM in Zukunft auch wieder große Taten folgen.