Martin Schindler überzeugte in diesem Darts-Jahr auf ganzer Linie. Seinen Aufschwung will Schindler nun bei der Darts-WM fortsetzen und in London im besten Fall für eine große Überraschung sorgen.
Schindler: „War schon schmerzhaft“
In der ersten Runde hat Schindler ein Freilos und erwartet anschließend den Sieger der Begegnung Martin Lukeman (England) - Nobuhiro Yamamoto (Japan). In der dritten Runde droht mit Michael Smith (England) eine schwere Aufgabe (Darts-WM 2023 vom 15. Dezember bis 3. Januar LIVE im TV auf SPORT1, im LIVESTREAM und LIVETICKER).
Im großen SPORT1-Interview spricht Martin Schindler über die Gründe für seinen Aufschwung, seinen Kollegen Gabriel Clemens und das anstehende WM-Spektakel.
Auf „schmerzhaften“ Verlust folgt „astreines“ Jahr
SPORT1: Herr Schindler, sportlich ging es bei Ihnen ja in eine Richtung: steil bergauf. Wie würden Sie Ihr Jahr beschreiben?
Martin Schindler: Mein Jahr verlief astrein, verlief wirklich sehr gut. Ich konnte mich zum ersten Mal für das Matchplay qualifizieren, für den World Grand Prix – zwei Majors, bei denen ich unbedingt mal mit dabei sein wollte. Ich habe ganz neue Erfahrungen sammeln können, habe mein erstes Finale bei der Pro Tour gespielt. Ich habe generell auch viele Halbfinals mitgespielt. Auf der European Tour war ich sehr erfolgreich. Es war wirklich ein fantastisches Jahr und ein wichtiger Schritt in meiner Entwicklung. Ich bin natürlich auch vorbereitet – weil ich weiß, wenn es schnell nach oben geht, kann man dementsprechend auch tief fallen. Deshalb muss man alles sehr behutsam sehen und dementsprechend vorsichtig sein. Ich weiß, dass die Leistung auch irgendwann mal runtergehen wird. Das ist normal, das ist in jedem Sport so. Aber ich blicke einfach weiter nach vorne. Ich kämpfe weiter für jeden Dart.
SPORT1: Was haben Sie gemacht, um auf dieses nächste Level zu kommen? Irgendwas muss doch da passiert sein.
Schindler: Es ist schwierig, genau zu sagen, was passiert ist. Ich meine, ich habe die Tour Card verloren. Das war schon schmerzhaft und ich hatte auch definitiv Angst davor, die Tour Card zu verlieren. Aber im Nachhinein hat es sich gar nicht so schlimm angefühlt. Ich hatte Angst vorher, Angst währenddessen und danach war es eigentlich ganz in Ordnung: Ich gehe zur Q-School hin und spiele ganz fantastisch. Und ich hab dann angefangen, mehr und mehr Spiele zu gewinnen, weil ich auch einfach einen viel tieferen Glauben an mich hatte. Wahrscheinlich auch mehr Absicherung dadurch, dass ich die Tour Card wieder für zwei Jahre hatte und nicht mehr direkt nach unten sehen musste, sondern vielmehr mich nach oben orientieren konnte. Ich habe gelernt, zu gewinnen. Ich weiß noch: Die ersten Jahre auf der Pro Tour habe ich so viele Spiele verloren in der ersten Runde. Und mittlerweile: Wenn ich mal die letzten 50 Players Championships angucke, habe ich vielleicht fünf bis sieben Mal die erste Runde verloren. Ansonsten habe ich immer gewonnen. Das ist für mich der größte und wichtigste Fortschritt überhaupt. Ich bin echt zufrieden mit allem, muss ich sagen.
Schindlers besondere WM-Vorbereitung
SPORT1: Sie haben es gerade angesprochen: Wer hoch fliegt, kann auch tief fallen. Jetzt kommt das Jahreshighlight mit der WM. Da will jeder Spieler auf dem Top-Performance-Level sein. Was machen Sie, um auf genau dieser Welle jetzt weiterreiten zu können?
Schindler: Ich arbeite natürlich mit meinem Mentalcoach zusammen, weil auf uns einfach der meiste Druck lastet. Bei der WM kannst du am meisten verändern – auch in der Rangliste. Und das ist auch das, worauf wir das gesamte Jahr hinarbeiten. Wir wollen bei der WM mit dabei sein, der Druck ist hoch. Aber ich werde natürlich viel trainieren. Ich werde abseits des Boards viel mit meinem Mentaltrainer trainieren und ich werde dementsprechend vorbereitet zur WM gehen. Ich hoffe, dass es funktioniert.
SPORT1: Wie kann man sich die Arbeit mit dem Mentalcoach vorstellen? Wie sieht die Arbeit aus? (NEWS: Alles Wichtige zum Darts)
Schindler: Es ist so ein bisschen wie Sportpsychologie. Es geht darum, diverse Situationen und Gefühle nochmal durchzugehen, die in den Spielen davor waren. Das kann man z. B. mit Kameras sehen. Was es auch gibt, ist, sich Generallösungen zu überlegen: Was macht man, wenn der Gegner einen guten Moment hat und man selber keinen guten Moment hat? Das ist für jeden anders, das wird auf jeden auch anders wirken. Und deshalb versuchen wir einen Weg zu finden, der für mich gut passt, und das dann auch gut umzusetzen.
„Wenn es privat gut läuft, wird es am Board besser laufen“
SPORT1: Mit Ihrem Mentalcoach verbringen Sie viel Zeit. Jetzt hat es für Sie auch eine private Veränderung gegeben. Sie haben geheiratet. Inwiefern spielt auch sowas eine Rolle bei der Entwicklung eines Spielers auch auf der Bühne?
Schindler: Wenn es privat gut läuft, wird es am Board schon besser laufen. Es ist nicht immer eine Garantie, aber das ist etwas, was ich bei mir gemerkt habe. Wenn es privat nicht gut lief – das können verschiedene Dinge sein – dann hat sich das auch immer ein bisschen bemerkbar gemacht, weil es im Unterbewusstsein ist. Und an das Unterbewusstsein ranzukommen, ist sehr, sehr schwer. Aber ja, es hat sich privat viel getan, es hat sich viel geändert. Und ich bin definitiv glücklich und froh, wie es bisher gekommen ist.
SPORT1: Jetzt verbringen Sie auf der Tour auch sehr viel Zeit mit Gabriel Clemens. Sie können zusammen reisen, Sie können zusammen trainieren. Inwiefern hilft Ihnen das auch, um das Dartspiel zu verbessern?
Schindler: Gaga und mir tut es gut, zu wissen, dass man nicht alleine bei Turnieren ist. Es ist nicht so, dass man nicht den Anschluss findet zu den anderen. Man kann sich schon artikulieren, aber das ist natürlich auf einer ganz anderen Ebene, als wenn man mit einem Muttersprachler spricht, mit dem man sich dann auch versteht. Beim Grand Prix z. B. waren wir beide auch alleine und das ist einfach eine coole Sache. Wir waren Minigolf spielen, das hat mega Spaß gemacht und lenkt einen auch ab. Und dementsprechend ist es auch ganz wichtig, dass man nicht alleine ist bei so einem Turnier.
„Wir werden noch eine Weile hinterherhinken“
SPORT1: Wo sehen Sie Darts in Deutschland grundsätzlich? Die Frage stelle ich jedes Jahr, ich weiß. Und trotzdem suche ich ein bisschen die Entwicklung. Wo stehen wir gerade oder hinken wir vielleicht auch ein bisschen hinterher? (PDC Order of Merit: Aktuelle Weltrangliste im Darts)
Schindler: Wir werden in dem Sinne noch eine Weile hinterherhinken. Man muss es einfach so sagen, wenn man sich die anderen Nationen anguckt. Holland, England, Wales, Schottland – dort sind einfach die Top Guns. Da sind immer noch die, die im Dart-Sport den Ton angeben. Das muss man ja leider wirklich so sagen, dass Michael van Gerwen, Peter Wright oder Gerwyn Price auf einer ganz anderen Schiene noch konstanter Darts spielen. Die spielen dir einen 12- bis 15-Darter nach dem anderen um die Ohren. Da arbeiten wir uns noch hin. Das ist einfach eine Barrikade, die wir brechen müssen. Die wir aber auch brechen werden. Dass wir die großen Namen schlagen können, das haben wir alle schon gezeigt. Wir müssen es konstanter hinkriegen. Wenn man van Gerwen schlägt, muss man in der nächsten Runde auch mal Gerwyn Price raushauen – so nach dem Motto. Aber das ist natürlich viel einfacher gesagt als getan.
SPORT1: Wo sehen Sie Clemens?
Schindler: Gaga spielt dieses Jahr auch sehr fantastische Darts. Ich habe mich in diesem Jahr natürlich viel auf mich selbst konzentriert, aber ich habe natürlich auch die Rankings verfolgt für das Matchplay, für den Grand Prix. Er hat sich für die beiden Majors qualifiziert. Du musst einer der besten Dartsspieler in dieser Saison sein, um dich zu qualifizieren. Und da führt kein Weg dran vorbei. Gaga ist für mich vielleicht sogar einer der Top 16 auf der Welt. Es sind nicht viele Prozente, die da fehlen. Er spielt fantastische Darts.
„Das wird wieder ein geiles Festival“
SPORT1: Jetzt steht die WM kurz bevor. Wenn man daran denkt: Dezember, kurz vor Weihnachten, Darts-WM. Welche Gefühle kommen da in Ihnen auf?
Schindler: Ich bin ganz ehrlich. Ich hoffe, dass ich bei der WM jetzt endlich mal mein erstes Spiel gewinnen kann. Letztes Jahr habe ich mich gut gefühlt, aber dann hat mir Flo (Florian Hempel, Anm. d. Red.) einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hoffe, dass es dieses Jahr besser wird und besser funktioniert. Ich freue mich auf die WM, ich freue mich, dabei zu sein und hoffe nur das Beste.
SPORT1: Wie ist es für Sie, als gesetzter Spieler in die WM zu gehen?
Schindler: Das ist eigentlich eine ganz coole Geschichte: Bislang habe ich noch kein Spiel bei der WM gewonnen und jetzt gehe ich als gesetzter Spieler an den Start. Es ist ein schönes Gefühl unter den Top32 der Welt zu sein. Das muss ich mir selbst schön auf der Zunge zergehen lassen. […] Die Favoritenrolle ist eine Sache, an die ich mich gewöhnen muss. So selbstverständlich ist das noch nicht für mich. Ich muss mich auf meine Fähigkeiten verlassen, das ist das Entscheidende. Die Favoritenfrage spielt am Ende keine Rolle: Wenn ich nicht gut Darts spiele, bin ich auch nicht der Favorit, logisch. Ich will einfach mein Ding machen.
SPORT1: Für uns von außen fühlt es sich wieder nach Normalität an nach diesen zwei Jahren Pandemie. Wie ist es für Sie als Spieler?
Schindler: Alleine vom Terminkalender war dieses Jahr wieder normales Programm. Die WM wird auch wieder normal sein mit den Zuschauern, der vollen Halle und so weiter. Das wird wieder ein geiles Festival – das weiß ich jetzt schon. Es wird geil sein, vor den Fans zu spielen. Es wird wieder eine geile Atmosphäre sein und ich freue mich tierisch darauf.
Schindler: „Er könnte der Stärkste sein“
SPORT1: Wen sehen Sie aktuell am stärksten und welcher Spieler birgt Überraschungspotenzial?
Schindler: Wer am stärksten ist? Da muss man wieder mit Gerwyn Price, Michael van Gerwen und Peter Wright gehen. Obwohl ich sagen muss: Peter Wright wirkt dieses Jahr nicht so selbstverständlich wie die Jahre zuvor. Ich glaube, van Gerwen hat es gezeigt, als er den Grand Prix und das Matchplay gewonnen hat – also die größten Majors nach der WM. Er könnte der Stärkste sein. Bei den Underdogs führt kein Weg mehr an Josh Rock vorbei. Der stellt ja dieses Jahr gefühlt einen Rekord nach dem anderen auf. Ein Jahr Tour Card - und er kommt so dicke in die Top 50 der Welt. Und je nachdem, was er bei den Majors noch macht, vielleicht sogar in die Top 32. Das wird man noch sehen, was da alles passiert um den Jungen.
SPORT1: Haben Sie sich mal mit ihm unterhalten, ihn kennenlernen dürfen? Was ist Rock für ein Typ?
Schindler: Er ist ein sehr aufgeweckter Typ. Er ist 21 Jahre alt, er hat sehr viel Energie in sich. Er wirkt auch echt sehr cool am Board. Sehr gelassen, sehr fokussiert, aber auch voller Energie. Und er hat mit mir gesprochen: Netter Typ, guter Kollege. Tut sich, um ehrlich zu sein, manchmal ein bisschen schwer mit Niederlagen. Aber das tut jeder von uns. Also ja, er ist ein netter Kerl.
- „Checkout - Der Darts-Podcast powered by SPORT1″ - bei SPORT1, Spotify, Apple Podcast und überall, wo es Podcasts gibt
„Gaga spielt fantastische Darts“
SPORT1: Was ist Ihr konkretes Ziel bei der WM – vorausgesetzt, Sie gewinnen Ihr erstes Spiel? Wie weit kann es gehen?
Schindler: Ich würde erst einmal gerne überhaupt dieses erste Spiel gewinnen. Dann könnte man sich einen Kopf darüber machen, was man eventuell noch schaffen will.
SPORT1: Bestes deutsches Ergebnis bisher war das Achtelfinale 2020 von Gaga Clemens. Trauen Sie ihm dieses Mal den Schritt darüber hinaus zu?
Schindler: Ich traue ihm den Schritt jederzeit zu. Ganz ehrlich. Gaga spielt fantastische Darts. Er hat auch dieses Jahr echt gut gespielt. Und wenn er es wie in den letzten Jahren schafft, eine Schippe draufzulegen, dann definitiv.