Das Los Beau Greaves wollte keiner haben - so die einhellige Meinung von Profis und Experten im Vorfeld der Darts-WM 2023.
Das Talent des Jahrhunderts?
Und das aus gutem Grund: Die 18-Jährige sorgte im laufenden Jahr unglaublich für Furore. Nicht nur dass sie Frauen-Weltmeisterin bei der WDF wurde und die Tour des Verbands beinahe nach Belieben dominierte. Auch bei der PDC machte das Mega-Talent auf sich aufmerksam. (NEWS: Alles Wichtige zum Darts)
Bei der Women‘s Series setzte sie neue Maßstäbe und spielte mit ihrer Konkurrenz teilweise Katz und Maus.
Nun will sie auch die WM der Männer aufmischen. Das nötige Selbstvertrauen dafür hat sie jedenfalls. „Ich habe vor niemandem Angst, denn es ist ein Bonus, hier zu sein. Wenn ich wirklich gut spiele, kann ich jeden schlagen“, kündigte sie im Interview mit der PDC an. (Alle Spiele der Darts-WM LIVE bei SPORT1)
Greaves lässt Sherrock eindrucksvoll stehen
Wie sich die Engländerin für das Mega-Event im Alexandra Palace qualifiziert hat, war beeindruckend. Vor dem abschließenden Wochenende der Frauen-Serie stand Greaves noch auf Platz vier in der Rangliste - und das bei wesentlich weniger Teilnahmen als ihre Rivalinnen.
Für die Qualifikation zur PDC-Weltmeisterschaft, die nur die ersten zwei der Rangliste schaffen, betrug ihr Rückstand 1800 Pfund an Preisgeld auf ihre direkte Konkurrentin: Fallon Sherrock, das Gesicht der weiblichen Darts-Szene.
Am Abschlusstag der Women‘s Series kam es zum Showdown der beiden Anwärterinnen. Im Finale des vorletzten Turniers siegte Greaves mit einem geschlechterübergreifend weltklasse Schnitt von 107,86 Punkten pro Aufnahme 5:3 gegen Sherrock - Rekord für eine Frau und gleichzeitig ein Signal an alle Profis.
Im abschließenden Wettkampf holte die 18-Jährige sich dann ihre achten (!) Titel in Folge, während ihre englische Landsfrau erneut früh scheiterte.
„Als ich nach Deutschland (vorletzte Turnierserie stieg in Hildesheim, Anm. d. Red.) ging, wusste ich nicht, dass ich mich noch qualifizieren kann. Offensichtlich habe ich in Deutschland sehr gut abgeschnitten, und dann gab es in den sozialen Medien das ganze Gerede, ob sie es schaffen kann“, erinnerte sie sich und ergänzte: „Ich bin einfach reingegangen, habe mein Spiel gespielt und es hat geklappt. Was für ein Erfolg!“
Erfolg wie Taylor und MvG
Mit ihrer Erfolgsserie steht sie in einer Reihe mit den beiden Darts-Legenden Phil Taylor und Michael van Gerwen. Nur diesen beiden ist es in der Geschichte der PDC gelungen, acht Ranking-Events in Folge zu gewinnen.
„Ich sehe sie als das Talent überhaupt im Damen-Darts-Sport. Sie hat 52 Spiele am Stück gewonnen. Das ist wahrscheinlich ein Rekord für die Ewigkeit, den sie ja noch hochschrauben kann“, unterstrich SPORT1-Experte Robert Marijanovic das Potenzial des jungen Shootingstars.
Der dreimalige WM-Teilnehmer sagte auch: „Ich bin schon länger begeistert von ihr. Sie ist ein absolutes Talent und im Moment eine Klasse für sich, zumindest bei den Damen.“
Marijanovic: Darum ist Greaves so gut
Mit seinem Lob ist er nicht alleine. So schrieb Darts-Ikone Wayne Mardle bereits im April auf Twitter: „Man kann jetzt schon die Frage stellen, ob Beau Greaves die beste weibliche Spielerin der Welt ist. Was sie macht, ist eine Stufe besser als jede Spielerin, die ich je gesehen habe. Sie sind vielleicht Zeuge einer neuen Darts-Dominanz. Ich bin in Ehrfurcht!“
Grund für sein Lob war der Triumph von „Beau ‚n‘ Arrow“ bei der Weltmeisterschaft der WDF im April. Dort stellte sie einen neuen Bestwert auf. Mit 18 Jahren ist sie der jüngste Darts-Star, der Weltmeister gewinnen konnte. Im Laufe dieses Jahres gewann Greaves darüber hinaus quasi alles, was es im Damen-Bereich auf der WDF-Tour zu gewinnen gibt.
Marijanovic erklärte die Stärken der jungen Frau: „Der Wurfstil macht sie aus, der ist sehr gerade aus und technisch optimal. Sie hat die Gabe, sich in ein Spiel reinzusteigern. Sie spielt das, was sie braucht. Wenn sie Druck kriegt, erhöht sie ihr Pensum und spielt immer besser. Wenn sie das nicht braucht, lässt sie das Spiel laufen und gewinnt halt so. Zumindest auf der Women‘s Series.“
Besonders beeindruckt zeigte er sich vom „Highscoring, die hohen Averages, die sie spielt und das konstant und nicht vereinzelt, sondern ständig“.
Greaves erfolgreich trotz Dartitis
Nun wird sie erstmalig beim wichtigsten Darts-Event überhaupt, der PDC-WM im Alexandra Palace, an den Start gehen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich überhaupt jemals in den Ally Pally kommen würde“, erklärte Greaves, die reihenweise Averages jenseits der 90 Punkte an die Scheibe zauberte, nach der gelungenen WM-Quali. (DATEN: Spielplan der Darts WM 2023)
Dieser Erfolg gelang ihr, obwohl sie bis vor kurzem noch unter Dartitis litt. Darunter versteht man die mentalen Probleme eines Spieler, den Pfeil loszulassen.
„Wenn die Weltmeisterschaft (der WDF, Anm. d. Red.) im Januar gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich abgesagt. Zu der Zeit hatte ich mit Dartitis zu kämpfen“, berichtete sie nach dem Halbfinalsieg gegen Lorraine Winstanley (3:0 in Sätzen) und ergänzte: „Die Tatsache, dass ich dieses Problem in den letzten Monaten überwunden habe, macht mich sehr stolz.“
Vor zwei Jahren war die Krankheit weitaus gravierender ausgeprägt. „2020 war ich wie versteinert, wenn ich ans Oche ging. Es ging bis zu einem Punkt, an dem ich dachte, ich würde es nie wieder tun. Die Dartitis kam und es war hart. Ich war eine der Top-Damen und kam dann zu dem Gedanken, dass es zu Ende ist“, schilderte Greaves kürzlich.
Heute sieht sie die schwierige Phase als lehrreichen Abschnitt ihres Lebens: „Ich hatte die Liebe zum Spiel verloren und die Dartitis hat mir geholfen, zu erkennen, dass ich ein Dartspieler sein will und dass ich eine gute Karriere haben will.“
Setzt Greaves ihren Siegeszug bei der PDC-WM fort?
Nun steht sie vor ihrem nächsten Meilenstein ihrer noch jungen Karriere. Bei der WM dürfte sie eine unangenehme Gegnerin werden. „Bei ihr muss man auch bedenken: Sie spielt teilweise gegen klar unterlegene Gegnerinnen und zieht ihr Spiel dennoch konstant durch. Sie ist daher auch die von den drei Damen, von der jeder Gegner denkt: Oh, das könnte schwierig werden“, stellte Marijanovic in seiner SPORT1-Kolumne zum Start der Darts-WM klar.
Das Los, das jeder vermeiden wollte, erwischte William O‘Connor. Der erfahrene Ire nimmt es am Freitagabend in der ersten Runde mit Greaves auf (ab 19.30 Uhr LIVE im TV auf SPORT1). Der Sieger des Duells bekommt es mit Gabriel Clemens zu tun. Zwar sieht der SPORT1-Experte die deutsche Nummer eins als Favoriten, dennoch dürfte es alles andere als eine leichte Aufgabe werden für „Gaga“. (DATEN: Alle Ergebnisse der Darts WM 2023)
Die Engländerin wird sich aber nicht verstecken und will mit der nötigen Lockerheit an den Start gehen. „Ich muss es einfach genießen, und wenn ich es genieße, dann werde ich gut spielen und hoffentlich die Gelegenheit nutzen und Spaß auf der Bühne haben“, nannte sie ihr Erfolgsrezept.
Dass Greaves auch auf einer Bühne vor großem Publikum für Furore sorgen kann, hat ihr WDF-Titel bewiesen. Der Hexenkessel Ally Pally ist allerdings noch einmal eine andere Nummer. Allein an ihrem sportlichen Potenzial gemessen sind ihr jedoch Wunderdinge zuzutrauen. Denn das ist im Frauen-Darts wohl einmalig.