Im Moment der wohl krachendsten und demütigendsten Niederlage seiner Karriere bewies Michael van Gerwen Größe. (Die Darts-WM 2021 LIVE im TV auf SPORT1 und im LIVESTREAM)
Der Sturz des Darts-Dominators
Fair gratulierte der geschlagene Ex-Weltmeister seinem Gegner Dave Chisnall, nachdem dieser ihn im Viertelfinale der Darts-WM 2021 mit 5:0 "zerschmettert" hatte, wie es die Sun martialisch ausdrückte.
Doch van Gerwen, dem trotz großer Erfolge die Herzen der Darts-Fans nicht unbedingt zufliegen, blieb nach der Demütigung sportlich, ging mehrmals auf Chisnall zu, um ihn zu beglückwünschen - bevor er mit gesenktem Kopf seine Pfeile einpackte und mit einem leeren Gesichtsausdruck die Bühne im legendären Alexandra Palace verließ.
Mighty Mike war an diesem denkwürdigen Neujahrstag 2021 nicht mächtig genug, bekam von Chizzy eindrucksvoll seine Grenzen aufgezeigt. Ist die Zeit des uneingeschränkten Darts-Dominators vorbei?
Sollte Gerwyn Price jetzt den Titel holen, stürzt er van Gerwen sogar als Nummer 1 der Welt - seit sieben Jahren steht der dreimalige Weltmeister ganz oben im Ranking. (NEWS: Darts-Debakel für die Niederlande)
Van Gerwen nach Debakel "total am Boden zerstört"
"Ich bin total am Boden zerstört. Ich bin heute Abend nie in Gang gekommen und habe mich selbst enttäuscht", schrieb er van Gerwen später bei Twitter. Zuvor hatte er schon im Interview erklärt: "Ich bin nicht zum Match aufgetaucht, meine Scoring-Power war einfach nicht da."
Am Ort seiner größten Triumphe erlitt MvG eine erschütternde Niederlage. Erst zum zweiten Mal überhaupt bei einer WM verlor der Niederländer ohne Satzgewinn - zuletzt war ihm das bei der WM 2009 passiert, in der 2. Runde mit 0:4 gegen den damals übermächtigen Rekordweltmeister Phil Taylor.
Bei den vergangenen acht Weltmeisterschaften stand der 31-Jährige sieben Mal zumindest im Halbfinale, 2014, 2017 und 2019 holte er sich den Titel.
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MvG "definitiv noch nie schlagbarer als jetzt"
Doch nach einem durchwachsenen Jahr wirkte Mighty Mike vor der WM angezählt wie nie, auch wenn er mit dem Sieg bei den Players Championship Finals ein Ausrufezeichen setzte. (Ergebnisse und Spielplan der Darts-WM)
Beim Grand Slam of Darts scheiterte er im Viertelfinale, beim World Matchplay und bei der EM verlor er jeweils in der zweiten Runde. Im September hatte er zudem zum ersten Mal in seiner Karriere den Playoff-Einzug in der Premier League verpasst.
"Er war definitiv noch nie schlagbarer als jetzt", analysierte der deutsche WM-Starter Max Hopp vor dem Turnier im SPORT1-Interview.
Van Gerwen stark bei der Darts-WM
Dabei lief die WM lange nach Plan. Während sich viele Mitfavoriten wie Titelverteidiger Peter Wright (scheiterte in der 3. Runde am Deutschen Gabriel Clemens), Michael Smith oder Nathan Aspinall schon früh aus dem Turnier verabschiedeten, beeindruckte van Gerwen in den ersten Runden mit Darts der Extraklasse.
So fertigte er beispielsweise Ricky Evans mit 4:0 ab. Mit über 104 Punkten hatte er vor dem Viertelfinale den besten Drei-Dart-Average aller Spieler.
Noch im Achtelfinale gewann der 31-Jährige eines der besten WM-Spiele der vergangenen Jahre. Gegen den Engländer Joe Cullen drehte er dank Drei-Dart-Average von 100,1 einen 1:3-Rückstand noch in ein 4:3 um.
Der völlig entfesselnd aufspielende Cullen warf ihm dabei 19 Mal die 180 um die Ohren (MvG schaffte neun) und vergab zwei Matchdarts - aber auch mit etwas Glück zeigte MvG, dass er ein Mentalitätsmonster seinesgleichen ist.
Gegen Chisnall kämpfte sich der Niederländer in den Sätzen immer wieder nach 0:2-Legrückstand noch einmal heran - aber Chizzy hatte immer die passende Antwort parat. Gegen unfassbare 107,34 Punkte im Average war selbst Mighty Mike machtlos. (Alle Statistiken zum Spiel)
MvG über Chisnall: "Das beste Spiel seiner Karriere"
"Das war das beste Spiel seiner Karriere, ich ziehe meinen Hut", zollte van Gerwen dem Gegner Respekt: "Er hat super gespielt und ich nicht. Ich kann niemandem die Schuld geben außer mir selbst."
Auch wenn gerade Chizzy wohl das Spiel seines Lebens gegen van Gerwen machte: Der Panzer des noch 2019 so unbesiegbar scheinenden Superstars hat auch durch das krachende WM-Aus weitere Risse bekommen.
Mit dem verlorenen WM-Finale gegen Peter Wright (3:7) vor ziemlich genau einem Jahr nahm diese Entwicklung gewissermaßen ihren Anfang.
Nach zwei WM-Titeln und drei Finalteilnahmen seit 2017 muss van Gerwen den weiteren Turnierverlauf jetzt im TV verfolgen. Die UK Open bleiben das einzige Major, das er im vergangenen Jahr gewinnen konnte.
Aus dem Ally Pally verabschiedete sich der Niederländer trotz der Demütigung erhobenen Hauptes, posierte hinter der Bühne noch einmal mit Chisnall für ein Foto - und ließ sich dabei sogar ein Grinsen entlocken.
"Worte können nicht beschreiben, wie glücklich ich bin, diesen Mann geschlagen zu haben", schrieb Chizzy dazu bei Twitter: "Ein absoluter Gentleman, dieses Bild mit mir zu machen, nach diesem Spiel."