Die Nummer eins der Welt, aktueller Weltmeister und nun auch der erste Titel auf der European Tour des Jahres: Michael Smith befindet sich in der wohl besten Phase seiner Karriere.
Smith: Dann beende ich meine Karriere
Diese begann schon Ende 2022: Zahlreiche Finals hatte der Engländer verloren, ehe sich Smith im November beim Grand Slam of Darts endlich seinen ersten Major-Titel sichern konnte. Im Anschluss folgte die Krönung, der WM-Sieg! Auf dem Weg zum Titel bezwang er sowohl Martin Schindler als auch Gabriel Clemens.
Im aktuellen Kalenderjahr ließ die Form allerdings noch Wünsche offen. Beim German Darts Grand Prix, dem alljährlichen Turnier über das Osterwochenende, zeigte sich Smith jedoch wiedererstarkt und setzte sich im Finale mit 8:5 und einem Average von 102,88 Punkten gegen Nathan Aspinall durch.
SPORT1 traf den 32-Jährigen am Rande des Events in München. Dabei offenbarte Smith Tipps von Phil Taylor – und welchem Deutschen er einen Turniersieg zutraut.
Smith-Ansage an MvG und Price: „Will sie davon abhalten“
SPORT1: Michael Smith, am 3. Januar haben sie den größten Moment ihrer Karriere feiern dürfen: den ersten Weltmeistertitel. Zugleich wurden sie zur neuen Nummer eins der Welt. Welcher Teil hat Ihnen mehr bedeutet?
Michael Smith: Der Weltmeistertitel, ganz sicher. Natürlich wollte ich die Nummer eins werden, aber ich habe den dritten Ranglistenplatz erreicht, ohne irgendetwas gewonnen zu haben. Niemand wird sich daran erinnern, dass Michael Smith die Nummer eins der Welt war. Wenn ich also zurücktrete, werden sich die Leute an meinen Namen als Weltmeister erinnern, hoffentlich mehrmaliger. Und ich will auch noch mehr TV-Titel gewinnen.
SPORT1: Als Führender der Order of Merit haben sie nun alle Spieler im Nacken. Beeinflusst sie das mental?
Smith: Es interessiert mich nicht wirklich. Auch als Nummer eins schaut man Darts im Fernsehen. Und wenn man Darts schaut, sind Michael van Gerwen und Gerwyn Price die Spieler, die es zu schlagen gilt. Mein Name zählt da noch nicht so viel. Aber ich bin die Nummer eins, und sie wollen es wieder werden. Ich will mich fokussieren, um sie davon abzuhalten!
SPORT1: In diesem Jahr lief aber noch nicht alles nach Plan. Was könnte der Grund dafür sein?
Smith: In den ersten vier Monaten des Jahres war ich jetzt nicht der Beste. Ich glaube aber, es ist verständlich nach einem WM-Titel. Ich war noch nie in einer derartigen Situation und hatte einen solchen Druck. Es ist ein neuer Umstand, mit dem ich umgehen muss.
Michael Smith: „Man hört auf Phil Taylor“
SPORT1: Nicht viele Spieler haben diesen Druck erlebt, sie sind erst der zwölfte Spieler an der PDC-Spitze. Nach dem WM-Titel sprachen sie mit Phil Taylor über den Umgang mit dieser neuen Situation. Was hat er Ihnen mit auf den Weg gegeben?
Smith: Er hat einfach gesagt, dass man damit leben muss (lacht). Und er hat gesagt, dass ich auch lernen muss, „Nein“ zu sagen. „Denke nicht immer, nur weil du Weltmeister bist, musst du alles machen! Teile dir deine Zeit richtig ein, sodass du auf deine Trainingsstunden kommst, und manage auch deine eigene Zeit zum Relaxen!“ Man versucht auch mit Michael (van Gerwen; Anm. d. Red.) und Peter (Wright; Anm. d. Red) zu reden. Aber sie wollen dir nicht sagen, was zu tun ist. Phil (Taylor; Anm. d. Red.) hat seine Karriere beendet – und man hört auf Phil!
SPORT1: Sie beschäftigen sich also auch mental mit der Situation. Haben sie die Erfolge des vergangenen halben Jahres überhaupt schon verarbeitet?
Smith: Nein, noch nicht. Ich hatte noch keine Zeit zum Zurücklehnen und um zu realisieren, was da passiert ist. Am Tag nach meinem WM-Sieg hatte ich Pressetermine für acht Stunden, bin dann zur Promi-Darts-WM nach Deutschland geflogen und am Tag darauf flog ich schon nach Bahrain zum Start der PDC-Saison. Also in dem Moment, in dem ich zwei oder drei Wochen herunterkomme, werde ich wohl alles erst realisieren.
SPORT1: Nun stehen wieder wöchentliche Reisen auf der European Tour an. Unter der Woche spielen sie Premier League, zumeist in England. Am Wochenende kommen sie dann zu Turnieren, aktuell vor allem nach Deutschland: erst Leverkusen, dann Riesa und München. Nervt sie das Reisen?
Smith: Ich hasse es zu fliegen! Ich habe keine Flugangst, aber ich bin unterdessen gelangweilt davon. Als ich jünger war, habe ich einen Urlaub im Jahr gemacht. Da war ich aufgeregt, in das Flugzeug zu steigen, und konnte nicht schlafen. Jetzt bekomme ich nicht einmal mehr den Abflug oder die Landung mit (lacht). Das ist also langweilig geworden. Aber ich liebe es vor den Fans zu spielen. In der Minute, wenn auch das langweilig oder zur Last wird, höre ich auf. Ich liebe dieses Spiel. Wenn ich das nicht mehr tue, werde ich meine Karriere beenden.
Bully Boy: „Das Gute an deutschen Fans ist, dass ...“
SPORT1: Sie lieben es also vor den Menschen zu spielen. Wie empfinden sie das deutsche Publikum – auch im Vergleich zu den Fans in England?
Smith: Beide Fanlager sind super. Die Engländer feuern einen Spieler an, sie unterstützen ihren Favoriten. Wenn du in Deutschland gegen einen Deutschen spielst, schreien sie auch förmlich für ihn. Aber das Gute an deutschen Fans ist, dass sie nicht versuchen den Gegner aus dem Konzept zu bringen. Es gibt ein paar Idioten unter den Zuschauern, aber die Mehrheit der Fans ist überragend. Deshalb habe ich auch gesagt, als die Premier League losging, dass ich mich auf den Spieltag in Berlin freue. Es ist unbeschreiblich vor so vielen Fans auf der Bühne zu stehen. Auf der European Tour ist es ähnlich: Du spielst vor 4.000 oder 5.000 Leuten – das sind mehr als bei der Weltmeisterschaft! Es ist ein großartiges Gefühl.
Gewinnt Gabriel Clemens bald ein TV-Turnier?
SPORT1: Die deutschen Fans jubeln ihren Spielern zu. Wen sehen sie als den nächsten „großen Deutschen“?
Smith: Ich will mich nicht mit der Aussprache blamieren. Ricardo ... „Pikachu“ eben (Ricardo „Pikachu“ Pietreczko; Anm. d. Red.). Daniel Klose hat mich zuletzt auch geschlagen, er hat einen 100er Average gespielt, und im nächsten Spiel nur rund 60 Punkte im Durchschnitt. Ich weiß nicht, ob er ein gutes oder dann eben ein schlechtes Spiel hatte. So viel habe ich von ihm noch nicht gesehen. Aber Pietreczko, Martin Schindler und Gabriel Clemens sind es wohl momentan.
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SPORT1: Wann halten sie es für realistisch, dass ein Deutscher einen TV-Titel gewinnt?
Smith: Hoffentlich nie. Hoffentlich gewinne ich (lacht). Im Ernst: Darts-Deutschland würde ausflippen, wenn einer von ihnen ein TV-Turnier gewinnt. Ich glaube, Gabriel Clemens ist aktuell in einer schwierigen Phase, Martin Schindler hat absolut das Zeug dazu. Aber ich glaube, Gabriel Clemens ist einfach reifer und bewahrt einen kühlen Kopf. Also denke ich, wäre es er – aber aktuell will ich niemanden von ihnen als Sieger sehen.