An schwülwarmen Sommertagen schläft man im französischen Sevran gerne mit offenen Fenstern. So auch bei Familie Francisco, wo Sylvain gemeinsam mit acht Geschwistern in einer kleinen Wohnung aufwächst. Eigentlich nichts Besonderes, doch bereits in aller Herrgottsfrühe dröhnt das Dribbeln von Basketbällen in die Schlafzimmer der Anwohner.
Der irre Aufstieg eines Bayern-Stars
„Im Sommer bin ich mit meinem Bruder um 4 Uhr aufgestanden und vor die Tür auf den Freiplatz gegangen. Mein Alltag sah eigentlich immer gleich aus: Aufstehen, Basketball, dann ab zur Schule und danach wieder Basketball oder Fußball.“
Sport zu treiben war in Sevran, das zu den gefährlichsten Städten des Departements 93 und somit ganz Frankreichs gehört, keine schlechte Idee. „Sevran ist eine Stadt, die man definitiv nicht besucht, wenn man nicht von dort kommt.
Als Fremder ist die Gefahr dort ziemlich groß, überfallen oder ausgeraubt zu werden“, erinnert sich Francisco, der seit 2023 für die Basketballer des FC Bayern auf Punktejagd geht und zuletzt beim Liga-Erfolg gegen Braunschweig einmal mehr Topscorer war, im Gespräch mit BIG an seine Zeit als Schüler dort.
Entweder Sport oder dealen
„Schießereien und Pfefferspray-Angriffe gehörten quasi zum Alltag. Nach dem Aufstehen hat man regelmäßig bis zu 20 Polizeiautos und Polizisten gesehen, die versucht haben, die Dinge zu regeln. Es gab dort eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder du machst Sport oder du verkaufst Drogen.“
Sylvain, der auch ein guter Fußballer war, entschied sich für den Sport: Basketball. Auf dem Freiplatz direkt vor seiner Haustür zockte er täglich an der Seite seines großen Bruders, der später auch auf dem College in den USA spielen sollte.
„Mit den Leuten draußen hat man dann gezockt, viel Eins-gegen-eins, was sich sicherlich auch heute in meinem Spiel widerspiegelt“, grinst der Franzose. „Ich bin mit Allen Iverson und den And1-Mixtapes aufgewachsen: Irgendwann in die NBA zu kommen, war schon als Jugendlicher mein großer Antrieb.“
Francisco ist Autodidakt
Seine Skills hat er sich alle selbst beigebracht, in einem Verein spielte Francisco lange nicht, auch wenn er es gerne gewollt hätte. „Als Jugendlicher habe ich oft bei den großen Klubs mit renommierten Jugendprogrammen vorgespielt und alle Tryouts mitgemacht. Und ich fand, dass ich wirklich gut war, aber kein Klub wollte mich haben. Es hieß immer, dass mein Spiel zu amerikanisch und ich als Spieler zu klein sei.“
Mit 1,85 Metern wird der Spielmacher heute gelistet, eine Größe, die sicher kein Ausschlusskriterium sein sollte. Vielleicht hat ihm in Jugendtagen eher sein Sturschädel einen Strich durch die Rechnung gemacht – denn Francisco war nicht bereit, sein Spiel zu ändern, wie er selbst zugibt.
„Es gab nur den Ball, den Korb und mich“, lacht er heute. „Ich konnte zocken, aber nicht passen. Das habe ich erst später von erfahreneren Spielern gelernt.“
Durchbruch in Miami
Da Franciscos großer Bruder mittlerweile in den USA am College spielte, bekam er als Jugendlicher immer wieder die Möglichkeit, nach Amerika zu reisen. Dort, wo er mit dem von den Jugendtrainern in Frankreich attestiertem amerikanischen Spielstil wunderbar hinpassen sollte.
„Zuerst war ich in Phoenix. Dort hat es mir aber nicht so gefallen“, blickt der 26-Jährige zurück. „Über Umwege kam ich dann nach Orlando und Miami, wo ich letztlich auch in einer Highschool-Liga spielen konnte.“
Einige Colleges, unter anderem Arkansas und Massachusetts, zeigen Interesse an Francisco, doch der Sprung misslingt, zu schlecht sind seine Noten. „Dort werden Durchschnittsnoten aus den Highschool-Jahren zuvor berechnet. Diese waren bei mir schlicht nicht gut genug, da ich vor allem in meinen ersten beiden Jahren zwischendurch immer wieder nach Frankreich zurückgekehrt bin.“
Umweg über Frankreich
Francisco blieb also nichts anderes übrig, als den Traum vom College und der NBA zunächst zu begraben und erneut nach Frankreich zu gehen, wo er einen Profi-Vertrag bei Boulogne-Levallois unterzeichnen konnte.
Kein College, keine NBA, aber immerhin. Nach einer mäßigen Spielzeit mit durchschnittlich 3,5 Punkten bei einer Feldwurfquote von mauen 26,5 Prozent, bekam Francisco Probleme mit dem Coach und war so im Sommer drei Monate ohne Vertrag.
„Generell war mein Image schlecht“, sagt Francisco heute. „Ich galt als Sturkopf, der ein bisschen verrückt und nicht zu coachen ist. Meiner Ansicht nach entsprach das nicht der Wahrheit – aber wenn dein Coach dich so wahrnimmt, geht das mit dem öffentlichen Image schnell.“
Seine Eltern legen ihm in dieser Zeit nahe, etwas Anständiges zu machen, doch Francisco wäre nicht Francisco ohne seinen Sturkopf. „Ich arbeitete teilweise vom Vormittag bis nach Mitternacht in einer Halle an meinem Spiel, was sich dann auch ausgezahlt hat“, sagt er über seinen nächsten Karriereschritt.
Agentenwechsel fruchtet
Beim ambitionierten Klub Paris Basketball, dem heutigen Team von Tuomas Iisalo, kommt der Spielmacher letztlich in der zweiten Liga unter. Er steigerte seine statistischen Werte zunächst auf 9,7, dann auf 13,0 Punkte pro Spiel und empfiehlt sich für einen zweiten Anlauf in der französischen ersten Liga.
Bei Roanne lässt er sein Potenzial mit 14,7 Zählern und 4,7 Vorlagen aufblitzen, was ihm – nach dem zweiten Wechsel seines Agenten – ein Engagement in Spanien bei BAXI Manresa einbringt.
In der ACB steigert er seine Trefferquote aus dem Feld auf über 40 Prozent und zieht mit dem Klub aus Katalonien völlig überraschend ins Finale der Basketball Champions League ein.
„Spanoulis wie ein Bruder“
Sein neuer Spielervermittler Misko Raznatovic bringt Francisco schließlich bei EuroLeague-Legende Vassilis Spanoulis und dessen erster Trainerstation in Peristeri unter.
Ein Wechsel, der Francisco als Spieler reifen lässt: „Spanoulis war zwar mein Coach, aber er war auch wie ein Bruder für mich. Er hat mir immer den Rücken gestärkt, wahrscheinlich weil er selbst auch ein grandioser Spieler war. Er hat mich gezielt gefördert, im Training, in den Video-Sessions, in den Spielen.“
Durchschnittlich 27 Minuten lässt die griechische Basketball-Legende seinen Spielgestalter pro Partie aufs Parkett – und der zahlt das Vertrauen mit guten Leistungen zurück. Francisco führte die Mannschaft 2023 sogar völlig überraschend ins Finale um den griechischen Pokal.
Sein Faible für Pokalspiele zeigte Francisco auch prompt in München. Im Final Four um den BBL-Pokal wurde der Point Guard als MVP ausgezeichnet und trug maßgeblich als Topscorer im Finale gegen Ulm (81:65) zum Triumph der Bayern bei.
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