Bei einem Blick auf die Tabelle der Basketball-Bundesliga fällt auf: Nicht einer der üblichen Verdächtigen steht ganz oben.
Ein Aufsteiger, der die Liga aufmischt
Weder der amtierende Champion ALBA Berlin oder die Bayern-Basketballer als Vizemeister noch die aufstrebenden Hamburger Towers oder Playoff-Kandidaten Ludwigsburg oder Oldenburg führen die Tabelle vor dem fünften Spieltag an. Es ist zu aller Überraschung ein Aufsteiger - die Rostock Seawolves. (SERVICE: BBL-Tabelle)
Und am Sonntag kommt es für die Mecklenburger zum ersten Top-Duell der Liga. Gegen den Meister wollen sich die Seawolves nach Siegen gegen Ulm, Ludwigburg, Braunschweig und Göttingen nun auch den starken Albatrossen stellen und den nächsten Sieg einfahren. (BBL: Rostock Seawolves - ALBA Berlin, ab 18.00 Uhr im SPORT1-Liveticker)
Ein Erfolg gegen die Hauptstädter scheint auf den ersten Blick unwahrscheinlich. Rostock bewies aber, dass sie definitiv nicht zu unterschätzen sind und das sollte ALBA auch nicht tun.
„Gekommen, um zu bleiben“
Der BBL-Neuankömmling steht nicht zu Unrecht, da wo er steht. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, betonte Seawolves-Trainer Christian Held in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung das Motto für die kommende Saison. Und auch Geschäftsführer André Jürgens ist von den Stärken seines Teams überzeugt und zeigt sich fest entschlossen, dass die Seawolves ihren Platz auf der Basketball-Landkarte nicht allzu schnell räumen werden. (NEWS: Alles zur BBL)
„Vor der Saison haben wir uns gefragt, wie lange es dauert, bis wir das erste Spiel gewinnen“, gibt Geschäftsführer Jürgens zu, nun frage sich die gesamte Liga, „wann wir das erste Mal verlieren.“
Die Seawolves zeigen sich deshalb selbstbewusst vor dem Match gegen den Meister. Auch, wenn die aktuelle Tabellenkonstellation natürlich nur eine Momentaufnahme sei. Jedoch „eine sehr schöne“, wie Held verriet.
Kontinuität als Schlüssel zum Erfolg
Ein möglicher Grund für den bisherigen Erfolg der Seawolves ist der Kader, denn wie Held erzählt, profitiere sein Team von der Kontinuität. Damit ist gemeint, dass die Mannschaft sich in ihrem Konstrukt nicht gänzlich verändert hat im Vergleich zur Vorsaison. Oftmals wird beim Übertritt in eine höhere Klasse der Kader von Grund auf neu aufgestellt, was sich nicht immer als Vorteil beweist.
In Rostock hingegen laufen acht von zwölf Akteuren aus der Aufstiegssaison auch in dieser Saison im Rostock-Trikot auf. Einer von ihnen: Der heiß umworbene Aufstiegsheld Tyler Nelson, der als bester Scorer der zweiten Liga die Seawolves erst mit einem Dreier zur Schlusssekunde gegen Jena zum Sieg führte und damit den Aufstieg perfekt machte.
Neben den acht Aufstiegshelden wurde die Mannschaft gezielt verstärkt. Bei einer Verpflichtung trafen die Verantwortlichen voll ins Schwarze. Für den Flügel kam Derrick Alston junior und der US-Amerikaner schlug ein wie eine Bombe. Der 2,06-Meter-Hüne führt mit 24,5 Punkten im Schnitt nicht nur die Seawolves, sondern die gesamte Liga an.
Und auch in anderen Kategorien stehen die Rostocker ganz oben. Nijal Pearson dominiert die Bretter und holt pro Spiel die meisten Rebounds (8,8). Hinzu kommt Jequan Lewis, der als Aufbau seiner Rolle optimal nachgeht und mit 9,3 Assists pro Spiel die Nummer eins der Liga ist. Neben der individuellen Klasse spielt die Leidenschaft eine große Rolle. Gegen Braunschweig und Göttingen wurde in der Schlussphase nach deutlichen Rückständen das Spiel gedreht. (SERVICE: Alle Spiele und Ergebnisse)
„ALBA das Maß aller Dinge“
Moral bewies die Mannschaft von Held somit. Gegen die Hauptstädter wird auch diese wieder gefragt sein, denn auch der Coach lässt eine gewisse Ehrfurcht vor den Albatrossen vermuten.
„ALBA ist das Maß aller Dinge in der Bundesliga, die sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt hat“, stellte Held fest. Gleichzeitig betonte er auch, dass er seine Auswahl nicht als chancenlos sehe: „Wir wollen schon gewinnen und werden alles reinwerfen.“ Auch deshalb wolle er und sein Team das Spiel angehen, wie jedes andere.
Was den Rostockern in die Karten spielen könnte, sind die Verletzungssorgen des amtierenden Double-Siegers. Unter anderem fehlen die EM-Bronzemedaillengewinner Maodo Lo und Johannes Thiemann. Zudem kommen die Berliner mit einer Euro-League-Niederlage im Rücken nach Rostock.
„Wir haben immer noch viele Verletzte und die Seawolves gerade einen super Lauf“, sagte ALBA-Center Tim Schneider im Vorfeld der Partie zu der Verletztenmisere. Hinzu kommen die Rostocker Fans, die Schneider als sehr laut in Erinnerung habe.
Starke Form, trotzdem „Ziel Klassenerhalt“
Gegen die ersatzgeschwächten Albatrosse ist somit alles drin und auch, wenn es zu ersten Saisonniederlage käme, hätten die Seawolves einen überragenden Run hingelegt. Nach vier Siegen und wenn das Team die starke Form beibehält, ist das „absolute Ziel Klassenerhalt“ in greifbarer Nähe.
Doch auch, wenn der Geschäftsführer damit tiefstapelt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass Rostock zu einer festen Größe der ersten Liga reifen könnte. Laut Coach Held ist Rostock einer der mitgliederstärksten Klubs der Liga. Zudem liege der Etat bei 5,3 Millionen Euro und in etwa 100 Sponsoren greifen den Seawolves finanziell unter die Arme.
Vor acht Jahren stieg der Klub in die dritte Liga auf, vor vier Jahren in die zweite und nun stehen sie auf Platz eins der Bundesliga. Deshalb findet auch Jürgens, dass ein Playoff-Platz spätestens in vier Jahren drin sei.
Ein Vater-Sohn-Gespann mischt die BBL auf
Lange Zeit genossen die Rostocker Basketballer wenig Aufmerksamkeit. Fußball und Handball standen im Rampenlicht. Das änderte sich spätestens als 2020 Dirk Bauermann das Traineramt übernahm und damit ein ehemaliger Meister- und Bundestrainer an die Ostsee wechselte.
Und obwohl der Aufstieg auch mit Bauermann nicht realisiert werden konnte und sich beide Parteien nach einer Saison trennten, profitierte Rostock von diesem Deal. Der heutige Cheftrainer Held kam als Co-Trainer Bauermanns zu den Seawolves und führte in seiner ersten Saison den Klub direkt in die Basketball-Beletage.
Mit ihm sein Vater und Co-Trainer Ralph Held, der bereits in Trier und Oldenburg erfolgreich trainierte und Sportdirektor beim Deutschen Basketballbund war. Zudem hat er eine Trainerakademie und darin auch seinen eigenen Sohn ausgebildet. Ein Vater-Sohn-Gespann, dass äußerst vielversprechend agiert.
Nicht zuletzt wegen Bauermanns Historie erhoffen sich die Seawolves ein erfolgreiches Basketball-Projekt, ähnlich wie es die Bayern schafften. Dort brachte er als Bundestrainer 2010 die Münchner in die erste Liga und nach zahlreichen Titeln sind sie nun Dauergast in der Euro League. Auch der 64-Jährige, der mittlerweile die Nationalmannschaft Tunesiens trainiert, beurteilte die Chancen des Aufsteigers vor der Saison rosig:
„Ich glaube, die Seawolves haben auf allen Ebenen ein Team, das sich selbst, den Klub, die Stadt und das Land sehr gut repräsentieren wird“, sagte er der Ostsee-Zeitung.