Stell dir vor, du hast den größten Erfolg deiner Sportlerinnenlaufbahn erzielt - und statt purer Freude bereitet es dir Kopfzerbrechen.
Zwei Deutsche im Olympia-Dilemma
Mit einer beeindruckenden Leistung haben sich die deutschen Basketballspielerinnen Svenja Brunckhorst und Sonja Greinacher sowohl im traditionellen Fünf-gegen-Fünf als auch im dynamischen 3x3-Basketball für die Olympischen Spiele 2024 in Paris qualifiziert. Das Problem: Aus logistischen Gründen können die beiden Freundinnen nicht beide Qualifikationen wahrnehmen - und werden womöglich ausgerechnet ihren letzten Moment auf der größten Sportbühne nicht gemeinsam bestreiten.
Olympia: Doppel-Ticket sorgt für Dilemma
„Es ist krass, auf jeden Fall“, fasste Greinacher die außergewöhnliche Situation im exklusiven SPORT1-Interview zusammen. Gemeinsam mit Brunckhorst ist sie Teil beider Basketball-Teams. Nun stehen die Spielerinnen vor der schwierigen Entscheidung, für welche Disziplin sie letztlich antreten werden.
Im 3x3 liegt Deutschland aktuell auf dem sechsten Rang der Weltrangliste. Das DBB-Team im Fünf-gegen-Fünf belegt Platz 19. Da die beiden Disziplinen bei Olympia nicht am gleichen Ort ausgetragen werden - in Paris und Lille -, dürfte es praktisch unmöglich sein, an beiden teilzunehmen.
Am 19. Mai schnappten sich die deutschen Basketballerinnen das Ticket nach Paris für die Streetballvariante. Beim Qualifikations-Turnier in Ungarn konnten Sonja Greinacher und Svenja Brunckhorst zusammen mit Marie Reichert und Luana Rodefeld die Gastgeberinnen im allerletzten Moment besiegen.
Verantwortlich für diesen Erfolg war vor allem eine: Svenja Brunckhorst. Die 32-Jährige versenkte mit der Schlusssirene den entscheidenden Wurf zum 19:17. Dieser einschneidende Moment hinterließ die Deutsche „überwältigt, geplättet und sprachlos“.
Brunckhorst und Greinacher nur im Doppelpack?
Vor allem ist es die doppelte Qualifikation, die beide so bewegt. Bisher konnten sie ihren Erfolg kaum verarbeiten. „Bis jetzt heißt es nur realisieren und sacken lassen und dann werden Gespräche geführt“, erklärte Brunckhorst SPORT1.
Die beiden Spielerinnen sind sehr gut miteinander befreundet und haben in ihren Karrieren schon viel zusammen erlebt. Jetzt könnte es sein, dass sie ihren Traum von Olympia nicht gemeinsam wahr werden lassen.
Denn für Greinacher ist klar, dass sie sich beide unabhängig voneinander entscheiden müssen. Es komme bei der Entscheidung darauf an, was sie „einzeln am glücklichsten macht“. Zugleich scheint es für die 31-Jährige unvorstellbar, diesen Karriere-Höhepunkt womöglich ohne ihre Freundin zu erleben.
Dass sie überhaupt in beiden Disziplinen auf einem solchen Niveau spielen, ist kein Zufall, sondern harte Arbeit.
Bislang konnten sie beide Disziplinen verfolgen
Brunckhorst, die siebenfache Deutsche Meisterin im traditionellen Basketball und einfache im 3x3 ist, schaffte es in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich, beide Disziplinen unter einen Hut zu bekommen. Und das, obwohl es für sie immer wieder eine Herausforderung darstellte, wie sie verrät.
Denn: Das Training für beide Spielformen schaut ganz anders aus.
Eine wichtige Komponente für den Erfolg der beiden Basketballerinnen ist der Olympiastützpunkt Niedersachsen. Hier wird ihnen ermöglicht, beide Disziplinen auf höchster Ebene zu trainieren. Auch die FIBA spielt eine entscheidende Rolle. Die Ansetzung wichtiger Spiele und Turniere im Fünf-gegen-Fünf und 3x3 fanden bislang nie gleichzeitig statt, sodass die zwei Sportlerinnen immer an beiden Formaten teilnehmen konnten.
Beide Spielerinnen schätzen die Besonderheiten des 3x3-Basketballs. Greinacher sagt, sie durchlaufe bei den kurzen, intensiven Spielen emotionale Höhen und Tiefen: „Es kann wirklich alles passieren“. Im Gegensatz zum traditionellen Basketball werden in der Streetball-Variante nur zehn Minuten gespielt.
Brunckhorst zeigte sich besonders von den einzigartigen Spielorten mitten in der Stadt begeistert: „Es ist draußen, es gibt Musik, es ist schnell, es ist immer super emotional.“ Wettkampfstätte in Paris ist der Stadtpark La Concorde.
Olympia 2024 in Paris als Abschieds-Turnier?
Mit einem Blick in die Zukunft wird die Bedeutung der Sommerspiele noch deutlicher. Die nächsten Olympischen Spiele finden 2028 in Los Angeles statt und die Basketballerinnen werden dann in der Mitte ihrer Dreißiger sein. Beide schließen aus, dann noch auf dem Platz zu stehen.
Greinacher deutete an, dass ihre professionelle Basketball-Laufbahn nach Olympia zu Ende gehen könnte. Sie mache ihr konkretes Karriereende jedoch von dem Erfolg der aktuellen 3x3-Saison abhängig.
Brunckhorst hingegen wird wohl noch früher die Basketballschuhe an den Nagel hängen. „Es wird für mich höchstwahrscheinlich nach Olympia Schluss sein“, verkündete sie. Sie stellte fest: „Damit sind das die letzten Monate meiner Karriere.“
Umso bedeutungsvoller ist ein erfolgreiches Turnier in Paris: Natürlich möchten die Frauen möglichst viele Spiele gewinnen und auf dem Podest stehen, dennoch sind sich beide einig, dass es mehr darum ginge, „zu genießen“. Nach einer langen Zeit ohne Qualifikation zahlen sich die Mühen endlich aus und alle Zweifel seien beiseitegeschoben.
„Das ist für mich persönlich die Belohnung für alles“, erklärte Brunckhorst. In der Vergangenheit habe sie viel aufgeben müssen, vor allem die Zeit für Freunde und Familie sei knapp gewesen. An ein solches Ereignis im Spätherbst ihrer Karriere hätte sie nie gedacht. Eine olympische Medaille wäre also ein krönender Abschluss.
Vorbild Nowitzki „total bewundernswert“
Greinacher hat sich von einem ganz bestimmten Basketballer positiv beeinflussen lassen. Sie bezeichnete sich selbst als „eher grazile Spielerin“, die den Signature Move einer echten Basketball-Legende bewundere: Den Fadeaway von Dirk Nowitzki.
Dabei schätze sie den ehemaligen NBA-Profi für seine bodenständige Art und seinen Spielstil - und das, obwohl sie selbst die amerikanische Profi-Liga gar nicht verfolge. „Ich fand seinen Spielstil schon immer total bewundernswert“, verriet die gebürtige Essenerin. Weiter ergänzte sie: „Wenn ich also nur annähernd den Fadeaway von ihm nachmachen kann, dann ist das schon cool.“
Er gilt zwar als erfolgreichster deutscher Basketballer, konnte aber mit dem DBB nie die ganz großen Titel gewinnen. Anders taten es Moritz Wagner und sein Team im vergangenen Jahr bei der WM.
„German Basketball is mad sexy“
Basketball wirkt im Fußball-Land Deutschland zwar oft eher wie eine Randsportart, doch der WM-Titel der Männer im vergangenen Jahr hat zur Popularität des Sports beigetragen.
„German Basketball is mad sexy“, hatte Wagner letztes Jahr nach dem gelungenen Halbfinaleinzug gesagt. Die Worte des Deutschen haben laut Brunckhorst eine regelrechte Basketball-Euphorie ausgelöst. Und von der gewonnenen Weltmeisterschaft haben auch die Frauen profitieren können. Der Erfolg der Männer sorgte für ausverkaufte Hallen und mediale Präsenz. Diesen Aufschwung wollen sie nutzen.
Mit der doppelten Qualifikation für die Olympischen Spiele haben Svenja Brunckhorst und Sonja Greinacher bereits Geschichte geschrieben. Egal, für welche Disziplin sie sich entscheiden: mit Paris geht für sie so oder so ein Traum in Erfüllung.