Zum Glück hatte der Papa das richtige Näschen. Und setzte sich mit seinen Plänen durch. Was in einer italienischen Familie, wo die Mamma gerne das heimliche Oberhaupt ist, nicht unbedingt selbstverständlich ist.
Rossi wird 40 - weiter bis 46?
Stefania hatte nämlich eine ganz bestimmte Karriere für ihren Sohn vorgesehen: Fußballer sollte er werden. Doch sie hatte gegen ihren Gatten Graziano keine Chance: Er hatte selbst eine Karriere als Motorrad-Profi hinter sich. Er bestritt zwischen 1977 und 1982 20 WM-Einsätze und gewann in der 250-ccm-Klasse drei Rennen. Den ersten davon feierte er am 17. Juni 1979 in Jugoslawien - also in dem Jahr, in dem Valentino Rossi das Licht erblickte.
Ein Zeichen. Fehlinterpretation unmöglich, weil unmissverständlich. Weshalb Graziano seinen Sprössling zum Kartsport brachte. Basta! Und für Valentino war es wiederum der Grund, warum er die Startnummer 46 seit 1996 auf seinen Maschinen trägt und noch nie gegen die "1" des Weltmeisters eingetauscht hat.
Die 46 ist speziell
"Mein Vater ist seine beste Saison in der 250ccm-Weltmeisterschaft im Jahr 1979 gefahren. Das ist auch mein Geburtsjahr. Er hat damals um den Titel gekämpft und hatte die Nummer 46. Das ist der Hauptgrund, weshalb die 46 für mich eine ganz besondere Nummer ist", sagte Rossi Junior.
Sein Aufstieg erfolgte auf Umwegen. Der Kartsport hatte sich trotz des Sieges bei der regionalen Meisterschaft aus finanziellen Gründen schnell erledigt, Graziano brachte seinen Sohn beim Minibike unter.
Die nächste goldrichtige Entscheidung.
Denn Erfolge stellten sich sehr schnell ein. 1991 gewann er als Zwölfjähriger sein erstes Rennen auf dem Minibike. Fünf Jahre später debütierte er in der 125ccm-Klasse und holte in seinem zweiten Jahr dort seinen ersten Titel.
Der Rest ist Geschichte. Höchste Motorrad-Kunst. Legendär. Welche Superlative man für den "Doctor" auch finden will - sie passen. Er hat den Sport ohne Zweifel geprägt.
Italienisches Feuer
Sportlich mit 115 Siegen in 383 Rennen, 232 Podestplätzen, 65 Pole-Positions und neun WM-Titeln sowieso, aber auch mit seiner Persönlichkeit. Italienisches Feuer, sein Ehrgeiz, das extrovertierte Verhalten haben ihn zum Publikumsliebling werden lassen. Zum Aushängeschild einer Sportart, wo die MotoGP-Helden auf einer Kanonenkugel reiten.
Wie Rossi, der den 40. am 16. Februar im Kreise seiner Familie feierte, tickt, was ihn ausmacht, weiß seine Mutter wohl mit am besten. "Er ist genau so, was man im Fernsehen sieht", sagte sie GPOne.com. Er sei sehr aufmerksam, in einigen Fällen reagiere er manchmal instinktiv, aber er sei eigentlich sehr besonnen, sagte Stefania: "Valentino gehört zu jenen Menschen, die den Leuten um sich viel Raum gewähren. Wenn etwas schiefläuft, dann bevorzugt er den Dialog und will sich nicht streiten." Und auf dem Motorrad "arbeitet er wie ein Chirurg. Wenn er Rennen fährt, dann arbeitet und denkt er wie ein Doktor, der im OP Leben rettet". Der "Doctor" eben.
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Ein weiteres Beispiel ist das Verhältnis zu seinem Motorrad - es ist speziell: "Ich sporne sie an. Ich glaube, dass sie mir zuhört. Vor allem vor dem Rennen rede ich mit ihr, wenn wir 40 Minuten allein sind, das ist dann wie ein romantisches Treffen." Wegen solcher Geschichten lieben sie ihn.
Ein heikles Datum
Und weil der Romantiker - privat aktuell liiert mit dem 15 Jahre jüngeren Model Francesca Sofia Novello - auch mit nun 40 Jahren immer noch um den Titel fahren kann. Er selbst redet aber nicht lange um den heißen Brei herum: "Ich bin ziemlich alt. Für mich ist es eine Herausforderung, in diesem Alter konkurrenzfähig zu sein. Das Wichtige ist die Motivation und vor allem, stark zu sein."
Die Stärke beeindruckt nicht nur den Papa ("Im Gegensatz zu anderen kann ihm das Alter scheinbar nichts anhaben"), sondern auch die Konkurrenz. MotoGP-Champion Marc Marquez staunt: "Es ist unglaublich und natürlich super, wenn man mit 40 noch die Motivation hat, das Bike am Limit zu bewegen. Es ist aber noch einmal etwas ganz Anderes, wenn du dann noch zu den Titelfavoriten gehörst. Ich finde das überwältigend."
Überwältigt ist Rossi in gewisser Weise auch von sich selbst. Denn er hätte nie gedacht, dass er bis 40 noch fährt. Klar: Es ist ein zweischneidiges Schwert. In Sachen Erfahrung macht ihm keiner etwas vor, er kennt alle Tricks, alle Herausforderungen, alle Strecken. Aber: Mit dem Alter lässt die Reaktionszeit langsam nach, die Konzentration ebenfalls. Auch die Knochen schmerzen länger und mehr als bei den jüngeren Kollegen.
Und ja: Auch die Angst ist weiterhin dabei, trotz der Erfahrung. "Jeder hat Angst, mehr oder weniger. Ein wenig Angst ist wichtig", sagte er. Je älter er werde, desto vorsichtiger werde er. Denn klar: Zu einer großen Karriere gehören immer auch Rückschläge, mitunter auch tragische. Wie der Tod seines Kumpels Marco Simoncelli 2011. Er konnte dem gestürzten Simoncelli damals nicht mehr ausweichen, überrollte ihn. So etwas bleibt für immer.
Was Rossi hingehen hilft, jung zu bleiben, ist seine VR46-Riders-Academy, die Arbeit mit seinen potenziellen Nachfolgern: "Ich fühle mich ihnen nahe, vor allem durch die Leidenschaft für die Motorräder, auch wenn ich leider viel älter bin. Es ist schön, mit den Jungen zu arbeiten."
Letzter Sieg 2017
Am schönsten ist es aber, wenn er wieder vorne mitfahren kann. Den letzten Titel holte er 2009, seinen letzten Sieg feierte er im Juni 2017, das letzte Podium holte er im vergangenen Juli. 2018 reichte es nur zu Gesamtplatz drei, mit Yamaha blieb er deutlich hinter Champion Marquez (Honda).
"Ich bin überzeugt, wenn wir das Motorrad verbessern können, können wir stark sein. Habe ich Hoffnung? Das muss ich einfach!", sagte Rossi vor der Saison, die am 10. März in Doha (Katar) beginnt. Die Testfahrten Anfang des Monats haben nicht unbedingt für grenzenlosen Optimismus gesorgt, was die Jagd auf Titel Nummer zehn betrifft.
Rossi: "Ich wäre ein bisschen besorgt, wenn wir schon morgen ein Rennen fahren müssten. Ich denke, wir liegen noch immer zurück, aber wir haben gutes Material getestet. Yamaha arbeitet sehr konzentriert, aber es wird seine Zeit brauchen."
Der Rekord-Weltmeister versteht Rossi
Zeit, die man mit 40 nicht mehr in Hülle und Fülle hat. Zumindest nicht als Titeljäger auf höchstem Weltklasse-Niveau. Rekord-Weltmeister Giacomo Agostini kann seinen Landsmann verstehen. "Valentino liebt Motorräder, die MotoGP, die ganze Atmosphäre", sagte der 76-Jährige, "da ist es schwierig zu sagen, jetzt mache ich Schluss. Ich habe drei Tage geweint, nachdem ich meine Karriere beendet hatte."
Wenn Rossi von der großen Bühne abtritt, dürften die Reaktionen in der Motorrad-Welt ähnlich sein. Wann das sein wird? Das weiß nur Rossi, der noch einen Vertrag über zwei Jahre hat.
Mit fortschreitendem Alter ist seine Startnummer aber nicht mehr nur Erinnerung an die Anfänge. Es könnte sich ein Kreis schließen. Denn Papa Graziano glaubt zum 40. Geburtstag seines Sohnes: "Er kann bis 46 weitermachen."
Die Fans hoffen, dass er auch diesmal wieder das richtige Näschen hat.