Am Sonntag steht für die Formel-1-Fahrer das nächste Rennen auf dem Programm.
Heidfeld kritisiert Schumacher-Hype
In Le Castellet steigt der Große Preis von Frankreich (Sonntag, ab 15 Uhr im LIVETICKER - das Qualifying heute ab 15 Uhr im LIVETICKER). Vor dem Grand Prix spricht der frühere Fahrer Nick Heidfeld mit SPORT1 über das Duell zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen, den Welpenschutz für Mick Schumacher, die Form von Sebastian Vettel und die Frage, ob ein Pilot das Fahren verlernen kann.
SPORT1: Herr Heidfeld, Sie sind als Berater und Testfahrer bei Automobili Pininfarina und Mahindra in der Formel E immer noch mit schnellen Autos unterwegs. Der Battista hat bis zu 1900 PS. Das ist mehr als in der Formel 1, wo Sie 13 Podestplätze geholt und die Schumacher-Dominanz miterlebt haben. Wie wichtig ist es, dass Lewis Hamilton mit Max Verstappen und Mercedes mit Red Bull endlich wieder einen Gegner auf Augenhöhe hat?
Nick Heidfeld: Es ist das das Wichtigste überhaupt. Obwohl es früher immer wieder Zeiten gab, in denen einzelne Fahrer und Teams dominiert haben und es trotzdem nicht so langweilig war.
SPORT1: Wie gut ist Max Verstappen? Einige vergleichen ihn schon mit Ayrton Senna.
Heidfeld: Er ist ein Ausnahmetalent. Er macht Dinge auf der Strecke, wo man einfach nur den Hut ziehen muss und denkt: Das ist jetzt schon außergewöhnlich. Und er hat ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein, was enorm wichtig ist für jeden Sportler. Er war schon als Rookie auf einem hohen Level. Fahrerisch sowieso, aber er hat trotzdem extrem dazugelernt. (Alle Rennen der Formel 1 im LIVETICKER)
Erfolge von Hamilton schmälern Schumacher-Leistung nicht
SPORT1: Trotzdem könnte Lewis Hamilton seinen achten WM-Titel holen - zum Leidwesen von Michael Schumacher, in dessen Ära auch Sie gefahren sind.
Heidfeld: Ja, aber selbst wenn Lewis den Titel erneut gewinnt, das schmälert nicht die Genialität und die Erfolge von Michael Schumacher. (Fahrerwertung der Formel 1)
SPORT1: Hat Verstappen mit Sergio Pérez den besseren Partner als Hamilton mit Bottas?
Heidfeld: Ich glaube, dass Bottas schon sehr stark ist. Aber auch, dass Hamilton ein absoluter Ausnahmefahrer ist. Ich bin mir sicher, dass es ihm viel mehr Spaß macht, solche Herausforderungen zu haben wie in dieser Saison. Er kann unter Druck immer etwas Spezielles aus dem Hut zaubern und die volle Leistung abliefern. Natürlich nimmt er alle Titel gerne mit, aber so macht es letztendlich viel mehr Spaß, als wenn er kaum Gegner hätte. Man hat auch das Gefühl, dass Lewis dieses Jahr noch mal den Turbo zündet.
SPORT1: Wenn Sie Teamchef wären, würden Sie sich Gedanken machen, Bottas auszutauschen? George Russell drängt sich ja geradezu auf.
Heidfeld: Ich finde es absolut sensationell, was Russell speziell letztes Jahr in Bahrain gezeigt hat. Das war herausragend. Aber es zeigt für mich, wie wichtig es ist, im richtigen Moment im richtigen Auto zu sitzen. Auch vorher haben alle schon gesagt: Wir wissen, was Russell für ein Top-Fahrer ist. Er hat vorher alles gewonnen, er schlägt permanent seinen Teamkollegen. Aber das Standing, das er jetzt hat, hätte er nie bekommen, wenn er in Bahrain nicht im Mercedes gesessen hätte. Was mich da speziell beeindruckt hat, war nicht sein Speed, sondern wie er im Rennen alle Herausforderungen meistern konnte: Wie er beim Re-Start Bottas in Schach halten konnte, wie er ihn überholt hat. Es geht um diese Schlüsselmomente, wo es nicht nur auf den Speed ankommt. Das sind die Dinge, die jemanden ausmachen machen, der extrem erfolgreich sein kann.
Heidfeld: "Hatte gehofft, dass es bei Vettel sofort besser wird"
SPORT1: Aus deutscher Sicht hatte Sebastian Vettel zwei anstrengende letzte Jahre bei Ferrari. Bei Aston Martin ging es auch nicht wirklich gut los. In Monaco wurde er Fünfter, in Baku sogar Zweiter. Hat es jetzt "Klick" gemacht?
Heidfeld: Da würde ich gerne noch ein Rennen abwarten. Platz zwei in Baku freut mich für ihn. Aber ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass es - sobald er das Team wechselt - sofort besser wird. Dass es für ihn mental einfacher, schöner und spaßiger wird und dass ihm das Auto auch ein bisschen mehr zusagt. Als er sich da am Anfang dann wieder schwergetan hat, habe ich schon angefangen zu zweifeln. Jetzt freue ich mich umso mehr.
SPORT1: Kann ein Rennfahrer das Fahren verlernen, wie es ihm immer wieder nachgesagt wurde?
Heidfeld: Nein, das glaube ich nicht. Es kann passieren, dass dir ein Auto, ein Reglement, ein Reifen, auch mal das Wetter oder eine Strecke mehr oder weniger entgegenkommt. Aber dass du das Fahren komplett verlernst, das sehe ich nicht. Außer du hattest einen schlimmen Unfall und bekommst mental einen Knacks. Bei Vettel hat man zwischendurch ab und zu aber auch gesehen, dass das Talent noch da ist. Was mir eindrücklich in Erinnerung geblieben ist: das Rennen in der Türkei 2020, als es nass war. Da konnte man sehen, was er für eine Fahrzeugbeherrschung hat, wie gut er da klargekommen ist. Und dann trocknet es ab und auf einmal ging nichts mehr. Das war schon komisch. Das zeigte aber: Er hat eigentlich noch das Gespür und das Talent. (Rennkalender der Formel 1 2021)
Heidfeld: Das Gute daran: Es wird ihm jetzt wieder mehr Spaß machen, es wird ihm Auftrieb geben. Auch bei einem viermaligen Weltmeister wird so ein Comeback das Selbstbewusstsein stärken. Und wenn er später auf seine Karriere zurückschaut, wird er nicht nur einige Titel haben, sondern der Erste sein, der mit Aston Martin aufs Podium fährt. Das ist schon cool.
Schumacher genießt Welpenschutz
SPORT1: Sie haben den Vater als Gegner erlebt. Jetzt fährt der Sohn in der Formel 1: Mick Schumacher. Wie macht er sich?
Heidfeld: Er macht seinen Job bis jetzt gut. Man darf ja nie vergessen, unter welcher Beobachtung er steht. Was mir aber nicht gefällt: Welch großen Welpenschutz er in den Medien genießt. Es ist klar, dass jeder hofft: Jetzt kommt der nächste Schumacher, und der wird auch erfolgreich. Aber da macht er sein erstes Überholmanöver in der Formel 1 und es wird hochgejubelt, als wäre es das Größte der Welt. Das finde ich von außen betrachtet ein bisschen übertrieben. Dafür kann Mick aber nichts. Ich finde es natürlich besser, dass positiv berichtet wird, als wenn auf ihm rumgehackt wird. Aber die Gefahr ist natürlich gegeben, dass das irgendwann umschlägt.
SPORT1: In Baku hat Schumacher erstmals Emotionen gezeigt, als er sich über ein Zucken seines Teamkollegen Nikita Mazepin auf der Start-Ziel-Geraden bei Tempo 320 aufgeregt hat. Haben Sie so etwas auch schon mal erlebt?
Heidfeld: Auch ich hatte schon öfter mal Duelle, in denen es zum echten Kräftemessen kam. Oder wenn jemand meint, er zuckt jetzt mal rüber. Aber das hat mich ehrlich gesagt zum Glück nie sonderlich interessiert.