Die Sorgenfalten auf der Stirn von Mercedes-Sportchef Toto Wolff – sie werden immer größer.
Wie Red Bull Mercedes überholt hat
Sieben Rennen ist die Formel-1-WM 2021 jetzt alt. Drei Mal hat Max Verstappen gewonnen – und wenn ihm in Baku nicht der Pirelli-Pneu explodiert wäre, hätte der siegende Holländer noch einen vierten Erfolg auf der Haben-Seite.
Schmerzlicher aber für die Mannen von Mercedes: Der Sieg von Verstappen beim Großen Preis von Frankreich ist ein erstes echtes Zeichen der anstehenden Wachablösung in der Formel 1.
Denn eigentlich ist die Strecke namens "Paul Ricard" Hoheitsgebiet der schwarzen Silberpfeile. 2018 und 2019 gewann dort jeweils Lewis Hamilton. Der Brite hat alle bis heute gefahren Runden in Le Castellet an der Spitze beendet – bis auf eine.
Und auch dieses Jahr galt der Kurs mit seinen langen Geraden eigentlich als Mercedes-Hoheitsgebiet. Gejubelt haben am Ende aber Verstappen und Red Bull. Weil die Dauer-Weltmeister der letzten sieben Jahre unter Druck immer häufiger schwächeln.
Bottas schwächt Mercedes
Brisant: Nach Verstappens Verbremser am Start, der Hamilton kampflos erneut die Führungsrolle einbrachte, war es ausgerechnet Flügelmann Valtteri Bottas, der das Mercedes-Unheil auslöste. Der Finne kam schon früh zum ersten Boxenstopp und war damit Beginn einer Kettenreaktion, an deren Ende Verstappen erstmals einen französischen GP anführte.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff verrät: "Valtteri hat die Stopps getriggert, weil er eine Vibration hatte – am Ende haben wir damit eine schlechte Karte gezogen." Denn der Red-Bull-Star folgte Bottas in die Box und zwang so auch Hamilton zum Service.
Ein Vorgang, der Verstappens Klasse unterstreicht. Denn in seiner Runde in die Boxengasse nimmt der Niederländer Hamilton ganz zwei Sekunden ab. Wolff zuckt mit den Schultern: "Wir hatten das Rennen eigentlich kontrolliert und eine Drei-Sekunden-Sicherheit beim Undercut. Da muss irgendwo der Hund drin gewesen sein. Das müssen wir vermeiden und den Fehlerteufel beenden."
Sky-Experte Nico Rosberg dagegen meint: "Das war ein recht großer Strategiefehler von Mercedes. Es war unnötig, mit einem so frühen Stopp von Valtteri Druck auf Lewis zu machen und die Position zu riskieren."
Rosberg und Schumacher kritisieren Bottas
Doch damit nicht genug: Den nächsten Fehler macht Mercedes, indem das Team nicht auf Verstappens zweiten Boxenstopp reagiert. "Den haben wir spontan entschieden", grinst Verstappen stolz über Red Bulls taktische Flexibilität.
Hamilton und Bottas bleiben auf den harten Reifen auf der Strecke – und beschweren sich lautstark drüber. Doch da ist es schon zu spät. Verstappen kommt mit Siebenmeilenstiefeln näher und stellt Bottas erneut als Mercedes-Schwäche bloß.
Denn der Finne verschätzt sich im Duell gegen den WM-Leader und bietet null Widerstand. "Er hat es wirklich ganz schlecht gemacht", kritisiert Rosberg. "Er hat sich unnötigerweise völlig verbremst und Verstappen den Weg frei geräumt, dabei hätte eine Sekunde Zeitverlust bei Verstappen für Hamilton an der Spitze schon einen Unterschied gemacht."
Ralf Schumacher geht noch härter mit Bottas ins Gericht. "Schon im Kart lernt man, es so nicht zu machen."
Hamilton: "Das meiste auf den Geraden verloren"
Das anschließende Überholmanöver von Verstappen an Hamilton zwei Runden vor Schluss ist der bisherige Höhepunkt der WM 2021 – doch auch dieser Zweikampf offenbart Red Bulls Stärke und Mercedes' Schwäche. Hamilton berichtet selbst: "Heute haben wir das meiste auf den Geraden verloren. Das müssen wir uns anschauen."
Auch Rosberg beobachtet: "Es ist das erste Mal, dass Mercedes sich schwer tut auf den Geraden. Red Bulls Honda-Motor muss richtig gut sein."
Nach Informationen von SPORT1 ist die Antriebseinheit mittlerweile auf Augenhöhe mit dem bisherigen Klassenprimus Mercedes. Dazu kommt: Red Bull fuhr in Le Castellet frische Motoren, die Mercedes bereits in Baku eingesetzt hat. Auch das bringt ein paar Zusatz-PS.
Die noch wichtigere Entscheidung aber bezieht sich auf die Abtriebs-Konfiguration. Die Bullen gingen mit flacher eingestellten Flügeln ins Rennen und senkten auf den Geraden so den Luftwiderstand. Das geht nur, wenn das Auto genug Anpressdruck über den Unterboden generiert und ermöglicht einen besser verteilten Einsatz des Hybrid-Boosts über die gesamte Runde.
Red Bull: "Können sie überall schlagen"
Heißt im Klartext: Der Red Bull ist mittlerweile das bessere Formel-1-Auto. Teamchef Christian Horner schlussfolgert entsprechend: "Wenn wir Mercedes hier schlagen können, können wir sie überall schlagen." Vor allem auf der Heimstrecke in Österreich.
Schlecht für Mercedes: Ausgerechnet auf dem Red Bull-Ring finden die zwei nächsten Rennen statt. Und die will Red Bull beide gewinnen.
Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko schickt noch eine Kampfansage an Mercedes. Der Grazer zu SPORT1: "Wenn wir Mercedes unter Druck setzen, machen sie Fehler. Und wir werden den Druck in Zukunft noch verstärken."