Ricardo Zonta befindet sich im Jahr 2000 in seiner zweiten Formel-1-Saison und fährt für das damalige Team British American Racing, welches zu den kleinen Teams gehört. Auch beim Großen Preis von Belgien hat er mal wieder nichts mit den vorderen Rängen zu tun.
Als Häkkinen die Welt verblüffte
Er fährt in der 41. Runde gerade durch die Senke von Eau Rouge als oben am Hügel von Raidillon links und rechts zwei Boliden mit 300 km/h an ihm vorbeibrettern. Der eine ist rot, der andere silberfarben. Er ist grade ungewollt Zeuge eines der spektakulärsten Überholmanöver in der Formel-1-Geschichte geworden.
Schumacher gegen Häkkinen
In der Fahrer-Wertung liefern sich Michael Schumacher und Mika Häkkinen ein erbittertes Duell um den Titel. Vor dem Großen Preis von Belgien führt der Finne nach zwölf Rennen mit zwei Punkten Vorsprung. Für beide Fahrer geht es um den dritten Weltmeistertitel ihrer Karriere. Schumacher hat noch den besonderen Anreiz, endlich den ersten Fahrer-Titel mit Ferrari zu holen.
Nach dem Qualifying hat Häkkinen die Nase vorn und startet in Belgien von der Pole. Für Schumacher reicht es nur zu Platz vier. Aber aufgrund der Witterungsbedingungen und einem Dreher von Häkkinen übernimmt Schumacher die Führung und verteidigt sie bis wenige Runden vor Schluss.
Volles Risiko für den Sieg
Häkkinen weiß, dass die einzige Überholmöglichkeit nach der Eau Rouge Richtung Les Combes besteht. Aber Schumacher blockt den Angriff Häkkinens mit einem harten Manöver. "Ich bin gut durchgekommen, vielleicht etwas besser als Michael. Als wir zur Bremszone von Les Combes kamen, entschied ich mich für ein Ausbremsmanöver. Ich schob meine Nase neben den Ferrari und bereitete mich auf den Bremsvorgang vor. Aber Michael sah mich kommen und zog bei 300 km/h herüber. Sein rechter Hinterreifen berührte die linke Endplatte meines Frontflügels, als ich vom Gas ging und das Manöver zurückzog", erinnert sich der Finne bei McLaren.com.
Der zweite Versuch wird historisch
Aber der Finne bleibt stur. Es muss an dieser Stelle passieren oder gar nicht. "Ich wusste, dass ich Michael nur am Eingang von Les Combes überholen konnte. Mir war aber auch klar, dass ich ein entschlossenes Manöver machen musste, denn Michael würde die Führung nicht einfach abgeben wollen. Das hat er ganz klar gezeigt."
Er nimmt die Eau Rouge mit Vollgas und schiebt sich direkt hinter das Heck des Ferraris. "Es war ein großes Risiko, aber kalkuliert. Ich habe die Eau Rouge voll genommen. Damals war das nichts für jemanden ohne Mut. Es war extrem schwierig. Wenn man es nicht schaffte, gab es einen schweren Unfall. Neben der Ideallinie war die Strecke auch noch feucht. Ich wusste, dass ich auf den Millimeter perfekt fahren musste. Das ist in der schwierigsten Kurve der Welt nicht einfach. Man presst den Fuß auf das Gaspedal und visiert den Scheitelpunkt für den blinden Kurvenausgang an."
Alles oder nichts
Jetzt heißt es alles oder nichts. Für Häkkinen gibt es nur die Möglichkeit, dass das Überholmanöver klappt oder er in die Bande rauscht. Auf dem Weg zu Les Combs taucht vor ihnen der zu überrundende Zonta auf. Häkkinen entscheidet blitzschnell, auf der anderen Seite als Schumacher den Brasilianer zu passieren.
"Ich wusste: Wenn Michael links an Zonta vorbeifährt, dann probiere ich es rechts. Sonst andersherum. Ich hoffte, dass sich Michael möglichst früh für eine Seite entscheiden würde, um die andere zu nehmen. Zonta hat zum Glück kapiert, dass da zwei Torpedos heranfliegen. Er blieb wo er war", so Häkkinen zu auto motor und sport.
Aber es geht um Sekundenbruchteile, in denen die Entscheidung getroffen werden muss. "Michael zog nach links, was ich irgendwie erwartet hatte, weil rechts die Spur noch feucht war. Hätte Michael nur eine halbe Sekunde länger gewartet, hätte ich lupfen müssen. Zwischen Zonta und dem Gras war genau Platz für ein Auto."
Happy End für Häkkinen
Fast wie im Formationsflug rauschen die beiden an dem verwunderten Zonta vorbei und Häkkinen befindet sich auf der Innenbahn zur Kurve. Er setzt sich knapp vor Schumacher und behauptet die Führung.
Zwar versucht der Kerpener nochmal alles, um den Finnen in einen Fehler zu treiben, aber der bleibt cool und bringt den Sieg nach Hause. "Ich behielt aber meine Nerven und sagte mir unter dem Helm: 'Mika, bleib ruhig, bleib ruhig, bleib ruhig'."
Aber kein WM-Titel
Mit dem Überholmanöver in Spa sorgte Häkkinen nicht nur für das Highlight der Saison, sondern für das Überholmanöver, das viele Experten als das beste in der Formel1-Geschichte ansehen. Aber am Ende triumphierte doch Schumacher. Er holt sich den Sieg in den verbliebenen vier Rennen und für Ferrari den ersten Titel seit über 20 Jahren.
Doch der Parallelflug in der Ardennenhölle bleibt unvergessen. "Es ist schon ungewöhnlich, jemanden auf diese Weise auf der Geraden zu überholen. Das war ein fabelhaftes Rennen - es hat Spaß gemacht", so der Finne nach dem Rennen. Und selbst Schumacher zollte ihm seinen Respekt. "Mika ist ja richtig an mir vorbei geflogen - das war ein außergewöhnliches Manöver."