Die Nachricht vom Ausschluss Russlands von den anstehenden Olympischen Spielen 2020 in Tokio und 2022 in Peking sowie der Fußball-WM 2022 in Katar sorgte am Montag für ein Beben in der Welt des Sports.
Härtere Strafe für Russland möglich
Wegen Manipulationen von Daten aus dem Moskauer Kontrolllabor, wo tausende Dateien - mit dem Ziel, das Ausmaß des Dopingskandals zu verschleiern - gelöscht oder verändert worden sein sollen, griff die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) vermeintlich hart durch.
Doch was auf den ersten Blick nach einer drastischen Strafe für sämtliche Sportler Russlands aussieht, ist für viele Kritiker nicht mehr als Augenwischerei, grenzt sogar an eine Farce.
Russische Sportler dürfen unter neutraler Flagge starten
Denn wie bereits bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang (Südkorea) dürfen russische Sportler, die nachweisen können, dass sie nicht vom Dopingskandal betroffen sind, als neutrale Athleten bei Olympia und der Fußball-WM teilnehmen – eine wirkliche Bestrafung sieht für viele anders aus.
"Der Ausgleich der Interessen ist hier wahnsinnig schwer, denn man muss die Interessen der Athleten berücksichtigen, die keine Verantwortung für die angeblichen Verstöße tragen", erklärt Christian Keidel, Rechtsanwalt mit Fokus auf Streitbeilegung im Sport, bei SPORT1 die Entscheidung der WADA.
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Insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Komplettausschluss aller russischer Athleten möglicherweise einem Karriereende gleichkommen würde, findet es der Sportrechtsexperte der Münchner Kanzlei martens Rechtsanwälte die richtige Entscheidung, die Sportler unter der Flagge des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) starten zu lassen.
"Man spricht hier von einem Zeitraum von vier Jahren. Man muss sich vorstellen, dass manche Athleten ihr ganzes Leben auf Olympische Spiele und Weltmeisterschaften mit fairen Mitteln hinarbeiten. Wenn diese Athleten vier Jahre an keinem internationalen Wettkampf teilnehmen dürften, wären deren Karrieren möglicherweise zu Ende oder wenigstens schwer beeinträchtigt", sagt er.
Härtere Strafe für Russland wäre möglich gewesen
Dennoch wäre ein Komplettausschluss rechtlich zumindest kein Problem gewesen, wie der Experte im Gespräch mit SPORT1 klarstellt: "Grundsätzlich würde das schon gehen. Die WADA und das IOC sind privatrechtliche Organisationen, und deren Regelwerk hat sich die RUSADA und das russische NOK unterworfen. Und wenn sie dagegen verstoßen, müssen sie auch mit der entsprechenden Strafe leben."
Generell sei das Konzept der verschuldensunabhängigen Haftung im Sport, also dass auch einzelne Sportler für das Handeln von Sportorganisation mithaften müssen, im Prinzip nichts Neues.
Zuletzt wurde etwa die AC Mailand wegen Verstößen gegen das Financial Fairplay von der Europa League ausgeschlossen. Obwohl selbst nicht dafür verantwortlich, müssen die Spieler die Konsequenzen für das Fehlverhalten ihres Klubs komplett mittragen.
Athleten könnten Komplettausschluss anfechten
Doch warum entschied sich die WADA – im Gegensatz zur FIFA – gegen einen Komplettausschluss aller russischer Athleten?
"Die Schwierigkeit ist, dass man sanktionieren will und muss, um den WADA-Code durchzusetzen – aber auf der anderen Seite hat man Athleten, von denen der große Teil vermutlich gar nicht beteiligt war. Und diese möchte man dann eben nicht bestrafen", gibt Keidel zu bedenken.
Zudem vermutet er, dass sich einzelne Athleten bei einem Komplettausschluss wohl zusammengetan und die Entscheidung möglicherweise mit dem Argument, dass ihnen ein Start unter neutraler Flagge als milderes Urteil zu gewähren ist, angefochten hätten.
Betroffene Athleten könnten in diesem Fall sogar prüfen, "ob sie Schadensersatzansprüche gegen die russischen Sportorganisationen haben, wenn sie aufgrund von deren angeblichem Fehlverhalten für vier Jahre ihren Beruf nicht ausführen können."
Russland hat drei Wochen Zeit für Einspruch
Doch noch ist das Urteil der WADA sowieso nicht rechtskräftig. Russland hat nun zunächst 21 Tage Zeit, die Entscheidung entweder zu akzeptieren oder aber Einspruch dagegen einzulegen. Dieser würde dann vor dem internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne verhandelt werden. Wann dies der Fall wäre und wann man mit einem Urteil rechnen könnte, ist aktuell noch unklar.
Russlands Staatspräsident Wladimir Putin kündigte bereits an, neben einem Einspruch auch andere Überlegungen zu haben und bezeichnete die Sperre – wie zuvor auch Premierminister Dimitri Medwedew - als "politisch motiviert".
Letzterer räumte allerdings auch ein, dass es in Russland "erhebliche" Probleme mit Doping gebe und es unmöglich sei, "dies zu leugnen".